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Waldemar Petersen
Spitzenmanager der NS-Kriegsplanung

Nach Waldemar Petersen, einem ehemaligen Rektor der TU Darmstadt, sind Straßen und Stiftungen benannt. Zu Unrecht, findet der Politikwissenschaftler Manfred Efinger. Er dokumentiert in einer Biografie, wie Petersen an vorderster Front der Nazi-Kriegswirtschaft für den Erfolg des NS-Regimes gearbeitet hat.

Von Ludger Fittkau | 21.10.2014
    Das Private ist politisch. Das nimmt der in Mainz lebende Politikwissenschaftler Manfred Efinger ganz wörtlich. Weil er gerne Schach spielt, veröffentlichte er vor Jahren ein Buch, in dem er unter anderem die Ausgrenzung jüdischer Schachspieler aus dem Mainzer Schachverein während der NS-Zeit beschreibt. Oder das Schicksal des Bubenheimer Schachliebhabers Fritz Bockius, der seit 1920 Vorsitzender der hessischen Zentrumspartei war, Widerstand gegen die Nazis leistete und im März 1945 im KZ Mauthausen starb.
    Doch nicht nur das Private ist für Manfred Efinger politisch, sondern auch das Berufliche. Nachdem er 2008 Kanzler der TU Darmstadt wurde, stieß der Politologe mit dem historischen Sinn schnell auf den Namen Waldemar Petersen. Der Elektrotechnik-Professor war in den 1920er-Jahren Rektor der Darmstädter Hochschule. Auf dem heutigen Campus der Uni gab es bis vor Kurzem eine Petersen-Straße. Immer noch gibt es eine Petersen-Stiftung, die für die TU in den Alpen ein großes Erholungsheim betreibt, das ebenfalls den Namen Waldemar Petersens trägt.
    "Mitarbeit an den Aufgaben des neuen Reiches"
    Die Petersen-Straße gibt es heute nicht mehr, und das Erholungsheim wird wohl auch bald anders heißen. Der Grund ist die kritische Petersen-Biografie, die Manfred Efinger jetzt vorgelegt hat: Sie zeigt minutiös, dass Waldemar Petersen als sogenannten "Wehrwirtschaftsführer" an vorderster Front der Nazi-Kriegswirtschaft für den Erfolg des Regimes gearbeitet hat. Als Top-Manager der von Juden "gesäuberten" Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft - kurz AEG - in Berlin. Sowie als Vertrauter vor Hitlers Rüstungsorganisator Albert Speer, einem der Hauptangeklagten in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. Manfred Efinger zitiert aus dem Brief, mit dem sich Petersen unmittelbar nach der Machtergreifung der Nazis 1933 ganz von der Lehre an der Darmstädter Hochschule abmeldet, um sich voll und ganz in den Dienst Hitlers zu stellen:
    "Die Übernahme der allein verantwortlichen Leitung sämtlicher Fabriken der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft, insbesondere aber die Mitarbeit an den Aufgaben des neuen Reiches, beschränken meine Zeit derartig, dass ich nur noch einzelne Gastvorlesungen halten kann."
    Im Buch beschreibt Manfred Efinger minutiös, wie stark sich Waldemar Petersen in den Dienst Albert Speers stellt, der für Hitler die Rüstung organisiert. Petersen leitet zahlreiche technische Kommissionen für das NS-Regime, die das Ziel haben, die Bewaffnung zu optimieren. Noch 1943 nimmt er in Peenemünde in leitender Funktion an einem sogenannten "Vergleichsschießen" teil. Dabei soll Hitlers sogenannte "Wunderwaffe" gefunden werden, um die schon absehbare Niederlage des Regimes noch zu verhindern. Manfred Efinger dokumentiert im Buch ein Foto, dass Petersen in Peenemünde im Kreis hochrangiger Nazis zeigt:
    "Und dieses Bild, das in einem privaten Nachlass gefunden wurde, zeigt ein Teil dieser Menge und in der Menge mittendrin mit dem Hut am linken Bildrand in Zivil Waldemar Petersen."
    "Er musste wissen, was im NS-Staat los ist"
    Für Efinger besteht kein Zweifel: Waldemar Petersen hat auch von den Nazi-Verbrechen in den Konzentrationslagern gewusst, wenige Wochen nach seinem Besuch in Peenemünde wird auch dort ein KZ-Außenlager eingerichtet, um die Raketen zu bauen, die Petersen mit ausgesucht hat:
    "Jemand, der eine solche Funktion hat, der in so vielfältiger Weise auch durchs Land gereist ist - Petersen hatte ja durch die Papiere, die er aus dem Ministerium von Albert Speer bekommen hat, jederzeitige Zugangsrechte, er konnte Tag und Nacht durch das ganze Reich fahren, man musste ihm jede Art von Hilfe gewähren - er musste wissen, was im NS-Staat los ist."
    Und heute eben, so die Schlussfolgerung Manfred Efingers, muss die TU Darmstadt wissen, dass man Waldemar Petersen nicht länger ehren kann. Denn nicht nur das Private ist politisch, sondern eben oft auch das Berufliche. Efinger hat dies mit großer Genauigkeit in einem wichtigen Buch zur NS-Verstrickung der deutschen Wissenschaft deutlich gemacht.
    Manfred Efinger: Waldemar Petersen. Athen. Darmstadt. Berlin. Justus von Liebig-Verlag, Darmstadt, 24,80 Euro.