Archiv


Was ist deutsch?

Spargel und Schwarzwälder Schinken, Bach und Bohlen, Audi und ALDI: Deutschland kann vieles sein. Die aktuelle Ausstellung "Was ist deutsch?" im Nationalmuseum Nürnberg versucht diese Frage zu beantworten und blickt dabei auf 200 Jahre Kulturgeschichte zurück.

Von Martina Wehlte-Hoeschele |
    Keine andere Nation hat so tiefgreifende Identitätskrisen durchgemacht und sich immer wieder derart gründlich ihrer selbst vergewissert wie die deutsche: um 1800 als erwachende Kulturnation in Abgrenzung gegen das napoleonische Frankreich und solchermaßen als 'Nation vor der Nation’. 1870/71 als Reichsnation mit einem Kaiser von Gottes Gnaden und einem hehren Reichskanzler Bismarck. Schließlich nach dem Auf und Ab des zwanzigsten Jahrhunderts, mit dem erfolgreichen Modell 'Bundesrepublik’ als geschichtlichem Puffer zur nationalsozialistischen Vergangenheit stellt heute eine neue Generation von Historikern und Kunsthistorikern die lange verpönte Frage "Was ist deutsch?". So lautet der Titel einer großen Sonderausstellung des Germanischen Nationalmuseums in Zusammenarbeit mit dem Kunstpädagogischen Zentrum Nürnberg.

    Und mit dieser Frage entlässt die gerade eröffnete Schau ihre Besucher auch. Sie gibt keine in knackige Statements verpackte Antworten sondern eine Fülle visueller Anregungen und Denkimpulse, die man als Aufgabe zur nationalen Selbstfindung mit nach hause nimmt. Die Kuratoren Matthias Hamann, Thomas Brehm und Katja Happe spannen mit ihren gut siebenhundert Objekten den kulturgeschichtlichen Rahmen der letzten zweihundert Jahre und haben fünf Themenfelder abgesteckt: Geist, Charakter, Glaube, Vaterland und Sehnsucht – gedankenschwere abstrakte Begriffe einer grübelnden Nation. Doch keine Angst, es mangelt bei allem geistigen Tiefgang auch nicht an Witz und Selbstironie.

    Orientierungslos im Weltgefüge erscheint der Deutsche, weil auf der steten Suche nach den letzten Dingen – und das mit gebotener Gründlichkeit. Sinnbildlich, wenn auch wohl unbeabsichtigt haben die Ausstellungsmacher dem Rechnung getragen, indem die in alle Richtungen verteilten Schauräume nur mit Hilfe von Wegweisern in der Eingangshalle des Museums zu finden sind. Aber wer wollte schon zusammenhängend und auf direktem Wege zum kollektiven Ich vordringen? Das könnte doch nur Wischiwaschi sein und wir würden fragen is-das-soo?, womit schon unsere beiden verbalen Exportschlager in die USA und nach Nigeria genannt sind; das haben wir schriftlich auf der Museumswand, im Entrée zum Raum des Geistes; – und Ungeistes, wie eine Vitrine mit Dokumenten zum Musenhort Weimar aber auch zum benachbarten KZ Buchenwald zeigt. Traumseligkeit und Aufbruchstimmung: diese gegensätzlichen Gemütslagen sind charakteristisch deutsch und werden an einer gut durchdachten Hängung ersichtlich, beispielsweise von Böcklins "Villa am Meer", einer Inkunabel des bürgerlichen neunzehnten Jahrhunderts, gegenüber Immendorfs "Café Deutschland" oder Schinkels "Gotischer Kirche" gegenüber Harald Metzkes "Fenster zum Pariser Platz".

    An der unerwarteten Kombination von Objekten der Hoch- und der Alltagskultur ist der Ansatz erkennbar, nicht nur wissenschaftlich theoretisieren zu wollen sondern auch dem Volk aufs Maul zu schauen. Dieses durchgängige Konzept scheut vor der Präsentation von populärem Kitsch wie dem Gartenzwerg oder der Andenken-Schneekugel nicht zurück, weil sie ebenso zum deutschen Kulturprofil gehören wie Schillers "Glocke" oder Uta von Naumburg. Der Blick in die soziokulturelle Breite bewährt sich besonders bei so vielschichtigen Begriffen wie "Vaterland". Den kommentiert nämlich Aisha Queitzsch’ gespaltener Deutschland-Stuhl von 1989 ebenso treffend wie gleich daneben das wandfüllende Sammelsurium von Ansichtskarten aus deutschen Feriengebieten, die Pickelhaube eines Infanterieoffiziers oder Heinrich Heines "Deutschland – Ein Wintermärchen".

    Die Ausstellung lebt aus dem Zusammenführen von Gegensätzen, aus dem Spannungsverhältnis von Anspruchsvollem und Banalem, dem Wechselbad der Gefühle zwischen Stolz und Scham, in das sie den Besucher stürzt. Sie zeigt ohne didaktische Überfrachtung und ohne erhobenen Zeigefinger gute wie schlechte Traditionslinien, ein Panoptikum für den unbedarften Flaneur, ein Erkenntnisgewinn für denjenigen, der sich auf das Thema einlässt. Seine Identität als Deutscher oder Deutsche muss allerdings schon jeder selbst finden.