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"Was ist guter Unterricht, was ist ein guter Lehrer?"

Torge Lorenzen, der am Hamburger Osterbek-Gymnsaium unterrichtet, erinnert daran, dass Bildung zwar Geld brauche, um beispielsweise Klassengrößen überschaubar zu halten: Kerngeschäft bleibe aber das Unterrichten.

Torge Lorenzen im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.10.2008
    Jasper Barenberg: Torge Lorenzen ist Lehrer an einem Gymnasium in Hamburg, genauer gesagt am Osterbek-Gymnasium im Stadtteil Bramfeld. Guten Tag nach Hamburg.

    Torge Lorenzen: Schönen guten Tag, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Lorenzen, wie müssen wir uns den Stadtteil vorstellen, in dem Sie unterrichten? Was für Schüler besuchen den Unterricht bei Ihnen?

    Lorenzen: Bramfeld ist nicht Blankenese. Wir haben durchaus einen hohen Anteil von Migranten, aber es ist jetzt unbedingt kein sozialer Brennpunkt, sondern sehr, sehr gemischt. Wir haben es mit Allem zu tun.

    Barenberg: Das heißt, Sie haben es auch mit den klassischen Problemen zu tun, die das Bildungswesen im Moment plagen: mit der sozialen Ungleichheit, mit mangelnden Sprachkenntnissen?

    Lorenzen: Richtig. Man kann sich das Gymnasium heute nicht mehr vorstellen wie in den 50-er Jahren, sondern auch wir haben in der 5., 6., 7. Klasse viele Schüler, die nicht in der Lage sind, vernünftig zu schreiben, und dort müssen wir massiv nachschulen. Das ist richtig.

    Barenberg: Das heißt, Sie müssen heute anders als früher erst mal die Voraussetzungen schaffen, dass überhaupt Unterricht stattfinden kann?

    Lorenzen: Ganz genau.

    Barenberg: Wie machen Sie das?

    Lorenzen: Wir haben gesonderte Sprachförderungsprogramme. Wir versuchen natürlich auch, zu differenzieren, so weit wir die Mittel dafür haben, dass wir diese Schüler extra fördern können. Anders geht es nicht. Und das kostet natürlich viel Geld.

    Barenberg: Und haben Sie dieses Geld? Haben Sie diese Mittel?

    Lorenzen: Wenn ich ehrlich bin, im Moment nicht. Es geht natürlich immer auf Kosten der restlichen Schüler. Das bedeutet, wenn ich einen Förderkurs einrichte, dann müssen die anderen Klassen wachsen. Das heißt, in vielen Klassen habe ich dann 31, 32 Schüler, um mir diese Förderprogramme leisten zu können. Das ist natürlich auch nicht im Sinne aller, weil eine Klassengröße über 25 macht auch keinen Sinn.

    Barenberg: Viele sagen ja, Geld würde die Probleme lösen. Hätten wir mehr Geld, hätten wir mehr Mittel, könnten wir kleinere Klassen haben, bessere Betreuung durch Sozialarbeiter, Psychologen etc. Sind das die Wege der Zukunft, oder wo sehen Sie Lösungsmöglichkeiten?

    Lorenzen: Geld ist sicherlich eine wesentliche Voraussetzung. In einer Klasse mit mehr als 30 Schülern kann ich wie gesagt keinen vernünftigen Unterricht machen. Ganz, ganz wichtig ist aber auch, dass wir weg von dieser Strukturdebatte kommen, dass wir nicht immer nur auf Strukturreformen schauen. Wir müssen uns einfach aufs Kerngeschäft konzentrieren, wir müssen uns darauf konzentrieren, was macht der Lehrer eigentlich vor der Klasse, was ist guter Unterricht, was ist ein guter Lehrer. Das sind ganz, ganz wichtige Fragen, die meines Erachtens in letzter Zeit vernachlässigt werden.

    Barenberg: Und wie könnte das jenseits der Strukturdebatte geschehen? Individuelles Fördern ist ja ein Schlagwort, was immer wieder genannt wird. Findet das bei Ihnen schon statt? Muss das erst noch gelernt werden? Muss es Weiterbildung oder Fortbildung geben, oder ist das schon Alltag bei Ihnen?

    Lorenzen: Wir sind auf einem guten Weg. Wir versuchen es. Wir fangen an in den kleineren Klassen. Das wächst sich dann hoch. Aber natürlich müssen wir dort uns auch weiterbilden. Die Lehrerausbildung ist bisher noch nicht darauf ausgelegt. Wir müssen lernen, dass wir Lernprozesse organisieren und nicht mehr dort vorne stehen und im 45-Minuten-Takt irgendetwas erzählen, sondern diese Lernprozesse organisieren und uns als Moderator verstehen. Das ist etwas anderes, als was es bisher war.

    Barenberg: Das würde aber auch heißen, dass man mehr Lehrer braucht, weil die Betreuung intensiver würde, oder verstehe ich das falsch?

    Lorenzen: Genau. Man muss natürlich die Klassen dann auch teilen, differenzieren. Ab und zu ist auch eine Einzelförderung durchaus sehr, sehr wichtig, und dafür bräuchte ich einige Lehrerstellen. Wenn Sie sich ausrechnen, dass im Durchschnitt 30 Schüler in einer Klasse sitzen, und mit 30 Schülern ist es schwierig zu differenzieren. Da werde ich dem Einzelnen nicht mehr gerecht und das ist ganz, ganz entscheidend.

    Barenberg: Ich will doch noch mal kurz auf diese Strukturdebatte zurückkommen, weil wir Sie in Hamburg erreichen und dort jetzt ja gerade große Veränderungen im Gange sind - unter anderem das Ziel, die Grundschule auf sechs Jahre auszuweiten. In anderen Bundesländern (Schleswig-Holstein etwa) probt man die Gemeinschaftsschule, eine Schule für alle. Wie erleben Sie diese Reform, wie erleben Sie diese Umstellung, sinnvoll oder schwierig?

    Lorenzen: Das ist insofern schwierig, als es nicht die erste große Umstellung ist, sondern seit Pisa sind wir eigentlich ständig am reformieren. Wir haben erst die Verkürzung der Gymnasialzeit auf 12 Jahre, damit einhergehend die Einführung der Ganztagsschule. Wir haben jetzt eine Oberstufenreform mit der Abschaffung des bisherigen Leistungs- und Grundkurssystems. Wir haben in Hamburg vor einem Jahr beschlossen, dass wir die Hauptschulen abschaffen und eine Stadtteilschule einführen, die in 13 Jahren zum Abitur führen soll. All das sind Reformen, die noch gar nicht in der Realität angekommen sind, und jetzt kommt schon wieder eine neue, nämlich die sechsjährige Grundschule, was bedeutet, dass man jede Schule verändern muss. Meine Befürchtung ist einfach, dass da sehr viel Energie und Zeit verloren geht und für die entscheidenden Fragen, wie werde ich dem einzelnen gerecht, wie kann ich möglichst den einzelnen Schüler optimal fördern, ist kein Raum, keine Energie mehr da. Das ist das Problem.

    Barenberg: Sie haben eben das Gespräch, das ich mit dem Kultusminister von Baden-Württemberg geführt habe, mitgehört, der sich optimistisch über die Ergebnisse und Beschlüsse des Bildungsgipfels geäußert hat. Was versprechen Sie sich, was erhoffen Sie sich vom Bildungsgipfel?

    Lorenzen: Ich erhoffe mir natürlich auch konkrete Zusagen. Da geht es erst mal um das Geld. Ich erhoffe mir so eine konkrete Zusage: keine Klasse über 24. Ich erhoffe mir eine konkrete Zusage: Ganztagsschule von Klasse 1. Oder auch, was die Frühförderung im Kindergarten angeht. All das sind Dinge, die uns enorm weiterhelfen würden, und ich hoffe, dass dabei etwas herauskommt.

    Barenberg: Torge Lorenzen, Lehrer in Hamburg. Vielen Dank für dieses Gespräch, vielen Dank für Ihre Eindrücke.

    Lorenzen: Danke auch.