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Was kostet ein Ökosystem?

Umwelt. - Wie viel kostet eine Feldlerche oder ein Feuchtbiotop? Was auf den ersten Blick bizarr erscheint, macht im großen Maßstab durchaus Sinn, um globale Folgekosten des Raubbaus an der Umwelt zu bestimmen.

Von Monika Seynsche | 20.05.2008
    Franz Gatzweilers Büro schaut auf einen kleinen begrünten Innenhof am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn. Auf einem Schrank hinter seinem Schreibtisch stehen fünfzehn verschiedene Kaffeesorten in bunten Packungen. Der Ökonom trinkt gern Kaffee – und er will ihn schützen.

    "Die Wiege des Coffea arabica - und dort wächst er noch ursprünglich im Unterwuchs des Waldes - das heißt, er ist nicht angepflanzt worden, sondern wächst dort wild. Und wir haben uns die Frage gestellt, was der Wert dieses wilden Kaffees ist, und zwar der ökonomische Wert, monetär berechnet."

    Coffea arabica ist die wirtschaftlich bedeutendste Art der Gattung Kaffe und die wilden Pflanzen dieser Art im äthiopischen Bergregenwald verfügen über eine große genetische Vielfalt. Aber die ist zunehmend in Gefahr, da immer größere Regenwaldflächen für die Landwirtschaft gerodet werden. Um zu berechnen, wie viel die genetische Vielfalt des wilden Coffea arabica wert ist, gingen Franz Gatzweiler und seine Kollegen davon aus, dass sie das Ausgangsmaterial für neue Züchtungen bieten könnte für ertragreichere Pflanzen, für Kaffeesorten, die resistenter gegen Schädlinge sind oder solche, die einen niedrigeren Koffeingehalt haben. Durch solche neuen Züchtungen würde der Ertrag steigen und gleichzeitig würden die Kosten für Pflanzenschutzmittel und die Entkoffeinierung sinken.

    "Und wenn man diese Werte über eine bestimmte Periode - ich glaube in unserem Fall waren es 30 Jahre eines Züchtungsprogramms - ansetzt, die Kosten des Züchtungsprogramms abzieht, dann kommt man zu einem Wert, den wir berechnet haben, zwischen einer halben und anderthalb Milliarden US-Dollar und zwar als Jetzt-Wert, als Gegenwartswert."

    ...als Wert dafür, die äthiopischen Bergregenwälder und mit ihnen den wilden Arabica-Kaffee zu schützen. Franz Gatzweiler schränkt allerdings ein, dass seine Berechnungen auf vielen zum Teil unsicheren Annahmen beruhen. Aber seiner Ansicht nach geben sie einen ersten Anhaltspunkt für den hohen Geldwert von genetischer Vielfalt. Nur gibt es viele Arten, deren Erhalt sich anders als beim wilden Kaffee nicht einmal theoretisch zu Geld machen ließe. Wie also lässt sich herausfinden, wie viel diese wert sind?

    "Im Prinzip geht’s darum, was möchten die Leute gerne zahlen dafür..."

    ... sagt Peter Michael Schmitz von der Universität Gießen. Er und seine Kollegen haben in den vergangenen sechs Jahren immer wieder Bürger und Landwirte in ländlichen Regionen von Mittelhessen gefragt, was ihnen zum Beispiel ein intaktes Ökosystem wert ist, eine hohe Wasserqualität oder der Erhalt der Kulturlandschaft. Ihre Probanden mussten immer wieder abwägen zwischen verschiedenen Gütern. Also zum Beispiel: höheres Einkommen oder mehr Biodiversität? Bessere Wasserqualität, wenn diese gleichzeitig eine schlechtere Nahrungsmittelversorgung bedingt? Die insgesamt etwa 1500 Testpersonen mussten sich am Computer durch zahlreiche solche Beispiele hindurchklicken und waren immer wieder gezwungen sich zu entscheiden.

    "Und über die Summe dieser vielen Vergleiche und auch über Personen kann man nachher eine Einschätzung bekommen, wie die Wertigkeit zwischen den Produkten ist und wenn man den Preis des einen Produktes kennt und die Wertigkeiten, die die Konsumenten beantwortet haben zwischen den Gütern, kann man impliziert den Preis des anderen Gutes ausrechnen, ohne dass es da jemals einen Markt für gegeben hat."

    Die Forscher ermittelten so die Zahlungsbereitschaft unter anderem für Wasserqualität und biologische Vielfalt – sie lag zwischen 80 und 120 Euro pro Haushalt und Jahr. Nach Ansicht von Peter Michael Schmitz sind diese fiktiven Preisschilder ein effektives Werkzeug, um ökonomische und ökologische Belange miteinander zu vergleichen.

    "Kann man einen Vogel mit einen Preis belegen oder eine Schildkröte - das hört sich zunächst ein bisschen befremdend an, das muss man zugeben. Auf der anderen Seite werden ja im wirklichen Leben durch Unternehmen, durch Politiker Entscheidungen getroffen zwischen Alternativen, etwas zu produzieren oder nicht zu produzieren, und wann immer solche Optionen entschieden werden müssen, zwischen Alternativen muss man irgendwie auch bewerten."

    Und das kann man mit kaum einem anderen Mittel so einfach wie mit Geld.