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"WasserFarben" von Olafur Eliasson
Denken und zeichnen

Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson lässt farbige Wasserfälle von der New Yorker Brooklyn Bridge prasseln und taucht die Louis Vuitton Foundation in Paris in gelbes Licht. Eine Ausstellung beschreibt seinen kreativen Prozess und zeigt, wie aus seinen Zeichnungen Installationen entstehen.

Von Christian Gampert | 07.06.2018
    Olafur Eliassons Lichtinstallation 'Inside the Horizon' im Louis Vuitton Foundation, Paris
    Olafur Eliassons Lichtinstallation 'Inside the Horizon' im Louis Vuitton Foundation, Paris (dpa / Foto: Ian Langsdon)
    Olafur Eliasson ist ein Kunst-Unternehmer, der über 100 Mitarbeiter beschäftigt, vom Konstrukteur bis zur Köchin - aber er ist natürlich auch ein minutiöser Planer, der genau weiß, dass die Arbeit in der Klausur beginnt. Wer im Museum die Sonne aufgehen lassen will - das berühmte "Weather Project" von 2003 - oder eine Außentreppe in Form einer Doppelhelix baut, der fängt normalerweise mit einer Zeichnung an. Eliasson ist da keine Ausnahme, im Gegenteil: er ist ein Künstler, der in der Zeichnung denkt. Das jedenfalls ist die These der Ausstellung, und sie wird auf vielfältige Weise belegt. Es geht in München aber nicht so sehr um die Vorbereitung einzelner Großprojekte, von Licht- und Spiegelstrukturen als vielmehr um Eliassons Annäherung an Naturphänomene, an seine unverstellte, nicht-zweckgebundene Raumwahrnehmung, an das Meditative.
    Romantische Tradition
    Eliasson ist nicht nur in Dänemark, sondern zum großen Teil auch in Island aufgewachsen, und die tief stehende Sonne des Nordens, das oft graue Licht, die Gletscher, das spiegelnde Wasser haben seine Weltwahrnehmung geprägt. Das führt zu einer Kunst, die in der romantischen Tradition eines Caspar David Friedrich zu stehen scheint, dabei aber mit postmodernen Strategien arbeitet. Die mit zerlaufendem Gletschereis gefertigten Farbvariationen, schwefelgelb, bräunlich oder zartblau, die auf Papier große runde Einheiten bilden, wirken wie Ansichten der Erdkugel aus dem Weltraum. Das sind die neuesten Arbeiten (von 2018), und sie könnte man noch als Aquarelle bezeichnen. Andererseits läuft Eliasson ständig mit einem Zeichenblock herum, fixiert architektonische oder skulpturale Ideen in energischem Strich, begibt sich aber auch in die Selbstversenkung, wenn er etwa in zwölf Varianten versucht, einen "perfekten Kreis" zu zeichnen - der natürlich immer wieder anders aussieht.
    "Das ist auch die Grundidee der Ausstellung, Olafur Eliasson als Zeichenkünstler vorzustellen, aber auch die Zeichenkunst in Kontakt zu seinen installativen Arbeiten, seinen Raumskulpturen, seinen Aquarellen und Glasarbeiten zu zeigen."
    Religiöse Anmutung
    Sagt Kurator Michael Hering. Eliassons Spiegel- und Leuchtskulpturen kommen in der Ausstellung kaum vor, die Schattenspiele nur in einem einzigen Raum. Und doch begreift man hier etwas von den Arbeitsprozessen eines Mannes, der sich zwar selbst nie als Universalkünstler bezeichnen würde, dessen Arbeit aber – in den Fußspuren von Leonardo da Vinci - etwas Ingenieurhaftes und gleichzeitig Religiöses hat. In der Ausstellung sehen wir mehrere Vitrinen, Modellkästen mit mathematisch berechneten Objekten, Kristallstrukturen, Drahtmodellen, Muschelgebilden – komplexe Formen, ideale Körper, der Natur nachempfunden. Das ist die eine Seite des Olafur Eliasson: seine Zeichnungen sind Skizzen für große, räumliche Interventionen. Andererseits ist da die Faszination für das Mystische und Übersinnliche, das Da-Sein - Michael Hering schildert seine erste Begegnung mit Eliassons Werk in einer Berliner Galerie Ende der 1990iger Jahre.
    "In der Galerie lagen Gletschereisbrocken, aquamarinblaue Gletschereisbrocken. Ich habe in meinem Leben nie wieder etwas Schöneres gesehen…"
    In der Münchner Ausstellung wird klar: man kann mit der Hand zeichnen, entwerfen, man kann aber auch die Natur, den Zufall zeichnen lassen - auch der Zufall ist eine Struktur. Mit seinem Künstlerkollegen Doug Aitken fuhr Eliasson quer durch Amerika und ließ eine eingefärbte Kugel die Bewegungen und Erschütterungen des Eisenbahnzugs aufzeichnen. Mit einer anderen Kugel ließ er in Island auf einem Boot den Wellengang des Meeres protokollieren. Daraus entstehen komplexe Muster. In der Ausstellung sieht man auch eine mechanische Zeichnungs-Maschine: mit Gewichten kann man ein Blatt in Rotation versetzen, auf dem wunderschöne geometrische Schwingungen aufgezeichnet werden.
    Eigenständige Werke
    Olafur Eliassons Welt des Lichts und der Durchsichtigkeit wird in der Ausstellung dann mit einigen abstrakten Aquarellzeichnungen vorgeführt: in fast lyrischen Farbschichtungen scheint über dem Wasser die Sonne aufzugehen. Man muss sich da hinein versenken - bevor man mit den größeren Arbeiten aus Glas und Treibholz und den mechanischen Pendeln belohnt wird oder mit dem ausgehöhlten Felsblock mit dem programmatische Titel "The Presence of Absence". Die Zeichnungen sind der Rezeptblock für die Installationen; aber sie können auch als eigenständige Werke bestehen.