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Wege ins postkarbone Zeitalter

Der Politologe Claus Leggewie hält nichts davon, das Ruhrgebiet zu einem Zentrum der Kreativwirtschaft umzuformen. Es gebe an der Ruhr eine ausgeprägte Wissenschaftslandschaft und dementsprechend viele Ingenieurstudierende. Die müsse man einbinden in den "Prozess der Wiedererfindung des Ruhrgebiets".

Claus Leggewie im Gespräch mit Karin Fischer | 12.01.2010
    Karin Fischer: Es wird in den kommenden Monaten hier noch öfter von der Metropole Ruhr die Rede sein, heute auch, denn zwei Tage nach der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres in Essen findet im Kulturwissenschaftlichen Zentrum dort eine Tagung statt, die ans Eingemachte geht, denn die Zeiten von Kohle und Stahl an der Ruhr sind unwiederbringlich vorbei, und der Weg zur Kulturlandschaft wurde auch schon vor längerer Zeit geebnet mit der legendären IBA Emscher Park. Das KWI will unter der Leitung von Claus Leggewie deshalb groß denken und auch die Identitätsfrage neu stellen, denn die wirkliche Herausforderung der Zukunft sei der Weg von der Kohle in ein postkarbones Zeitalter. Zwei Tage lang hat man in Essen darüber nun diskutiert. Claus Leggewie, haben Sie ihn gefunden, diesen Weg?

    Claus Leggewie: Wir sind auf dem Wege, sagen wir mal so. Es ist ja nicht das Werk von wenigen Wissenschaftlern, sich das auszudenken. Unsere Vorstellung ist die, dass die Kulturhauptstadt nicht nur den Weg ebnet in irgendeine kulturindustrielle Dienstleistungsenklave im Ruhrgebiet, sondern dass sie im Grunde genommen die industriellen Pole, die dort einmal auf der Basis von Kohle und Stahl entstanden sind, an der Stelle, wo wir das als einen Irrweg erkannt haben, auch neoindustrielle Pfade sich selbst wieder entwickeln, das heißt, der Geist der Innovation und der Kreativität, der jetzt durchs ganze Ruhrgebiet weht, dafür genützt wird, nicht nur die alten Industrieruinen zu bespielen, sondern tatsächlich neue Wege zu finden. Und da ist das Stichwort postkarbon, das wäre also ein industrieller Weg, der im Wesentlichen auf regenerativen, erneuerbaren Energien basiert. Und hier haben wir in der Tat interessante Ansätze im Ruhrgebiet. Es wird demnächst geben ein Projekt, das sich noch "Innovation City" nennt, es gibt aber auch in allen Gemeinden interessante Ansätze, sich klimaverträglicher, nachhaltiger aufzustellen. Das war bisher nicht gerade mit dem Namen Ruhrgebiet verbunden, kommt aber jetzt mehr und mehr auch hier im Ruhrgebiet in das Bewusstsein von Unternehmen, von Stadtverwaltung, von politischen Entscheidern und vor allen Dingen auch der hiesigen Bürgergesellschaft.

    Fischer: Sie haben "Innovation City" genannt, Claus Leggewie, das ist ein Projekt, das auch zu den nachhaltigen der Kulturhauptstadt gehören soll, eine Niedrigenergiestadt im Ruhrrevier. Warum hört man derzeit so wenig davon?

    Leggewie: Es ist noch nicht die volle Einigkeit herbeigeführt zwischen den Entscheidungsträgern, aber man wird demnächst die Vorstellung dieses Projektes bekommen. Es ist ja auch nicht ganz einfach. Man muss sich vorstellen, dass man es hier nicht mit einer Stadt sagen wir mal wie Freiburg oder Tübingen zu tun hat, wo man ein grünes Milieu hat, wo man relativ überschaubare Verwaltungsverhältnisse hat. Hier hat man es zu tun mit einem alten Industrierevier, was aber politisch keine Spitze hat, was in 53 Kirchtürme aufgespalten ist, die von 53 Städten und Gemeinden mit sehr konkurrierenden und auch widerstrebenden Interessen. Hier muss auch eine alte Industriebelegschaft, das sind die Arbeitnehmer, aber eben auch die Industriebarone, die Ruhrbarone, die hier die traditionelle Verbundwirtschaft einmal hochgezogen haben in der Energiewirtschaft, in der Logistik, die müssen ja erst mal überzeugt werden. Und wenn es dann hier gelingt – das ist jetzt der Reiz eines solchen Projektes –, dann gelingt es nun auch wirklich überall. Weil, es nützt uns ja nichts, 1500 Freiburgs oder Greifswalds in Deutschland zu schaffen, wir müssen ja an die industriellen Kernregionen heran.

    Fischer: Kultur ist wichtig, für manche lebenswichtig, aber trotz dieses Worts von der Kreativwirtschaft doch eher ein weicher Standortfaktor, der eben neue Player und neues Publikum zieht, aber die alten Strukturen der Region nicht bruchlos ersetzen kann. Es gibt Kollateralschäden des bisherigen Wandlungsprozesses. Wie kann man die auffangen und die eventuell Zurückgebliebenen noch mitholen auf diesen neuen Weg?

    Leggewie: Es gibt in einem solchen Weg der Dekarbonisierung immer auch Verlierer, nämlich die Industrien, die besonders viel Energie verbrauchen. Aber selbst die, zum Beispiel die Stahlindustrie, sind nun wild entschlossen, mit einem niedrigeren, effizienteren Umgang mit Energie die Produktionen zu fahren und auch den Weg in eine klimaverträgliche Zukunft mitzugehen.

    Fischer: Muss das Wort Kulturindustrie in der Region wieder einen etwas technischeren Klang bekommen?

    Leggewie: Ja, man sollte vor allen Dingen sich vor den Illusionen hüten, hier eine Kreativwirtschaft hinzuziehen, die mit 1000 Kreativquartieren sozusagen die Künstler Deutschlands und Europas ins Ruhrgebiet zieht. Das ist ein zu hoher Anspruch, das wird so nicht gelingen. Ich glaube, man sollte im Ruhrgebiet das machen, worin man besonders gut ist, nämlich Energie umformen, Produkte herstellen, Wege aufzeigen, wie man Reichtum aus der Erde schafft, nur eben nicht mehr auf der Basis des alten Industrialisierungsmusters, sondern eben eines neuen. Und wir haben im Ruhrgebiet die dichteste Forschungs- und Wissenschaftslandschaft, wir haben unglaublich viele Ingenieurstudierende beispielsweise, die jetzt zum großen Teil gezwungen sind, die Region zu verlassen und anderswo hinzugehen. Das heißt, warum behalten wir die Leute nicht hier und lassen sie teilhaben an diesem innovativen, kreativen Prozess der Wiedererfindung des Ruhrgebiets?

    Fischer: Herzlichen Dank an Claus Leggewie, den Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, der Veranstalter war einer Tagung zur europäischen Metropole Ruhr im postkarbonen Zeitalter.