Archiv


Weggelaufen vom Amt

Über 250 hochrangige Politiker traten in der Geschichte der Bundesrepublik zurück. Nicht immer gingen die Betreffenden freiwillig, manchmal wurden sie auch gedrängt. Viele Politiker konnten trotzdem noch eine Karriere nach der Karriere starten.

Von Wolfram Stahl |
    Er liebte nicht den Staat, sondern seine Frau. Der Konflikt mit Bundeskanzler Konrad Adenauer ging ihm zu weit. Gustav Heinemann trat 1950 als Innenminister und erster Politiker der Nachkriegsgeschichte zurück. 1969 wurde er Bundespräsident.

    "In der Tat."

    Vom Bundespräsidenten zum Innenminister ist bei Horst Köhler nicht vorstellbar. Weihnachtsansprachen sind in diesem Ressort nämlich nicht vorgesehen.

    "Meine Frau und ich wünschen Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, alles Gute."

    Umständlich, unbeholfen, dünnhäutig und mimosenhaft wirkte er oft. Wie eine beleidigte Leberwurst machte er sich zusammen mit seiner Frau vor Bundesfahne auf die Flucht.

    "Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten – mit sofortiger Wirkung."

    Köhlers Rücktritt ist immer noch unverständlich. Ungeklärt ist aber auch noch die Frage, ob er von oder über Bord ging oder das Amt einfach satthatte, wie Roland Koch.

    "Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens, aber Politik ist nicht mein Leben."

    Noch mal was anderes machen wollen nannte der hessische Ministerpräsident als Grund seines Rücktritts. Verdruss ist wohl auch mit dabei, weil der ehrgeizige Koch für Merkel nur noch Kellner war. Ohne weitere Aussichten auf Aufstieg, dann wenigstens noch ein zeitiger Ausstieg. Stillhalten in der zweiten Reihe war eh nicht sein Ding.

    "Ich glaube, dass auch bei allem, was danach geschieht, natürlich ein politisches Wesen bleiben werde, und ich weiß, dass es mich einige Disziplin kosten wird, gelegentlich Politik von der Seitenlinie zu beurteilen und manchmal wird die Ungeduld dabei vielleicht auch ein wenig groß werden."

    Höflich ließ Koch nach dem Rücktritt seinem Innenminister Volker Bouffier den Vortritt. Letztendlich doch ein Abschied mit Würde. Ganz anders seinerzeit Oskar Lafontaine. Der verließ im März 1999 beleidigt das Finanzministerium und hinterließ eine konsternierte SPD, während sein Haus in Saarbrücken umlagert war.

    "So, macht schön Eure Fotos und dann lasst Ihr uns in Ruhe! Seid Ihr so nett heute?"

    Die ganze Republik war gekniffen und rätselte tagelang. Die Erklärung für seinen fluchtartigen Abgang lieferte der divenhafte Lafontaine erst Tage später nach.

    "Der Grund meines Rücktritts ist das schlechte Mannschaftsspiel, das wir in den letzten Monaten geboten haben. Ohne ein gutes Mannschaftsspiel kann man nicht erfolgreich arbeiten."

    Die Kritik am Spitzenpersonal scheint SPD-immanent zu sein. Ähnlich klang es nämlich auch bei Kurt Beck, der im September 2008 den Parteivorsitz hinwarf und sich wieder ganz nach Mainz verkrümelte.

    "Ich habe im Leben nie ein bisschen was gemacht, wenn ich es gemacht habe, habe ich es gemacht, sicher mit Fehlern auch, aber nicht, was die Linien angeht, nicht, was den Stil angeht und nicht, was die Bereitschaft angeht, die manche von mir abverlangen wollten, mich zu verbiegen."

    Kurt Beck war dann einfach mal weg. Der große Zauderer Edmund Stoiber blieb gleich daheim. Dabei sollte er 2005 Superminister der Großen Koalition in Berlin werden, aber der Zuschnitt des Ministeriums unter Angela Merkel war ihm doch zu klein. Womöglich überkam ihn auch die Angst vor der eigenen Courage. Stoibers Rücktritt vor dem Antritt, gefolgt von weitere selbstherrlicher Amtsführung in Bayern.

    "Die CSU ist ein Stück meines Lebens. Ich leide wie ein Hund."

    Das Weglaufen vor beziehungsweise von der Verantwortung erschwerte Stoiber fortan auch das Regieren im Freistaat. "Er hat Bayern blamiert bis auf die Knochen", zürnten seine Landeskinder; der Rest ist bekannt. Fröhlich lief bisher nur einer davon: Gregor Gysi. Drei Rücktritte hat er schon hinter sich. Seine Bonusmeilen-Affäre nutzte er 2002 als ideale Fluchtmöglichkeit aus dem lästigen Amt des Berliner Wirtschaftssenators.

    "Also, dass nun meine Traumvariante ist, auf die ich jetzt ständig gewartet habe und die erste Gelegenheit genutzt habe, das ist, glaube ich, ein bisschen albern. Ich bin ja auch ehrgeizig. Ob ich Parteivorsitzender war mehrere Jahre oder Vorsitzender der Abgeordnetengruppe oder Fraktion mehrere Jahre, dann will ich das wenigstens immer so lange machen, bis ich sagen kann, irgendeine Spur ist auch hinterlassen, worauf man vielleicht auch ein bisschen Stolz sein kann, zumindest ein Ergebnis, mit dem man umgehen kann."

    Über 250 hochrangige Politiker traten in der Geschichte der Bundesrepublik zurück. Nicht immer gingen die Betreffenden freiwillig, manchmal wurden sie auch gedrängt. Viele Politiker konnten trotzdem noch eine Karriere nach der Karriere starten.