Freitag, 26. April 2024

Archiv


"... weil es mir um mein Land geht"

Der Afghane Maulawi Qalamuddin war Chef der berüchtigten Religionspolizei der Taliban. Er saß kurzfristig im Gefängnis und stand bis vor zwei Jahren auf der Sanktionsliste der Vereinten Nationen. Heute guckt der Maulawi selber Fernsehen und sitzt im Hohen Afghanischen Friedensrat.

Von Sandra Petersmann | 19.05.2012
    Großer dunkler Turban. Schwarzer, langer Bart. Kein Lächeln. Doch Maulawi Qalamuddin begrüßt seine Gäste höflich an der Tür und geleitet sie respektvoll in sein Arbeitszimmer, das mit dickem roten Teppich und großen Kissen ausgelegt ist. Eine zierliche Tochter bringt ein Tablett mit grünem Tee und Fruchtbonbons herein. Sie sagt kein Wort und zieht sich sofort wieder zurück. Der Maulawi schenkt selber ein und philosophiert über sein Land.

    "Stellen sie sich ein ausgetrocknetes Flussbett vor, durch das nur noch ein kleines Rinnsal fließt, bis eine große Flutwelle kommt und alles wegspült. - Afghanistan war so ein kleines Rinnsal, als die mächtigsten Länder der Welt wie eine Flutwelle über das Land hereingebrochen sind."

    Maulawi Qalamuddin war Chef der berüchtigten Religionspolizei der Taliban – und ihr stellvertretender "Minister zur Erhaltung der Tugend und Unterdrückung des Lasters". Er ließ Frauen wegen unislamischen Verhaltens schlagen und Männer mit zu kurzen Bärten verhaften. Er ließ Kinos, Fernseher und Musikinstrumente zertrümmern und das Drachenfliegen verbieten. Er saß kurzfristig im Gefängnis und stand bis vor zwei Jahren auf der Sanktionsliste der Vereinten Nationen. Doch heute guckt der Maulawi selber Fernsehen und sitzt im Hohen Afghanischen Friedensrat, der im Auftrag von Präsident Hamid Karsai Friedensgespräche mit den Aufständischen führen soll. Mehrere Mitglieder des Gremiums sind schon ermordet worden. Doch Qalamuddin lebt in Kabul ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen, als würde er kein Attentat fürchten.

    "Ich unterscheide zwischen der Regierung und dem Land. Ich arbeite mit der afghanischen Regierung zusammen, weil es mir um mein Land geht. Afghanistan gehört den Afghanen, und wir wollen, dass endlich Frieden einkehrt. Ich will dabei helfen, eine Regierung zu bilden, die für ganz Afghanistan und für die Welt akzeptabel ist."

    Der Islamist ist kriegsmüde. Er spricht verachtend über die Exzesse "krimineller Aufständischer" und meint Selbstmordattentate. Den Kampf der "wahren Taliban" für ihre Religion hält er für legitim. Qalamuddin gehört zu der Gruppe, die viele Politiker im Westen als moderat bezeichnen.

    ""Ich wünsche mir ein wahrhaft islamisches Afghanistan, das für alle Afghanen und für die internationale Staatengemeinschaft akzeptabel ist. Afghanistan sollte ein ziviles Land sein, in dem die Menschenrechte gelten. Es sollte ein Land sein, das seine Frauen im Einklang mit dem Islam und der Scharia beschützt. Ich wünsche mir ein friedliches Miteinander mit unseren Nachbarländern."
    Früher, als fundamentalistischer Religionswächter der Taliban, hätte er niemals die Fragen einer westlichen Journalistin beantwortet, die mit ihrem Mikrofon direkt neben ihm sitzt. Heute ist es möglich, nachdem ein afghanischer Kollege den Kontakt hergestellt hat. Qalamuddin vertraut dem jungen Mann, der seine Muttersprache Paschto spricht und übersetzt. Die Diskussion nimmt Fahrt auf. Ein wahrhaft islamisches Afghanistan - bedeutet das ein Land ohne Mädchenschulen und Frauenrechte - wie zu Taliban-Zeiten? Qalamuddin weicht aus.

    "Fortschritt und Entwicklung sind ohne Sicherheit nicht möglich. Frauen brauchen absolute Sicherheit, um arbeiten zu können. Sie müssen unangreifbar sein. Erinnern Sie sich an die Zeit des afghanischen Bürgerkriegs unter Präsident Rabbani? Damals waren die Frauen so verzweifelt, dass sie von Häuserdächern gesprungen sind. Schulen wurden nicht aus Prinzip geschlossen. Schulen wurden aus Notwendigkeit geschlossen. Wer kann im Krieg zur Schule gehen? Niemand."

    Als die Taliban das bürgerkriegsverwüstete Kabul 1996 einnahmen, begrüßten die Bewohner die radikal-islamische Bewegung tatsächlich zunächst als Friedensbringer - bis die Taliban begannen, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren und Frauen aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Gibt es eine Garantie, dass das nicht wieder passiert?

    "Die internationale Staatengemeinschaft hat die Regierung der Taliban von Anfang an nicht anerkannt. Das ist nicht die Schuld der Taliban, sondern das ist die Schuld des Westens. Der Westen hätte erst dann das Recht gehabt, die Taliban zu isolieren, wenn er von Anfang an Beweise dafür gehabt hätte, dass die Taliban gegen die Menschenrechte verstoßen. - Wir sagen heute selbe, dass die Taliban Fehler gemacht haben. Aber die Welt stand ihnen vom ersten Tag an feindlich gegenüber, ohne ihnen eine Chance zu geben."

    Maulawi Qalamuddin will nicht über die die Fehler der Vergangenheit reden. Sein Grundargument während des einstündigen Gesprächs bleibt unverändert: wenn die Taliban vom ersten Tag an genauso viel Hilfe und Unterstützung vom Westen bekommen hätten wie die Regierung Karsai, dann hätte es niemals Krieg gegeben und alles wäre anders gelaufen. Damals seien die meisten Taliban unerfahren und ungebildet gewesen. Das sei heute anders. Anders? Und warum kappen die Taliban dann nicht alle Verbindungen mit Al Qaida?

    ""Al Qaida kämpft für internationale Ziele. Die Taliban kämpfen für ihre Rechte in Afghanistan, für ihr Land und für den Islam. Die Taliban bestimmen nicht, was Al Qaida macht. Es gibt keinen Grund zu verlangen, die Beziehungen zu beenden. Afghanistan ist ein unabhängiges islamisches Land und unterhält Beziehungen mit den USA, Deutschland, Russland und vielen anderen Ländern. Die Taliban sind eine unabhängige Bewegung und Al Qaida ist eine unabhängige internationale Organisation. Auf dieser Basis gibt es Beziehungen, aber es gibt keine Mitgliedschaft im Netzwerk."

    Das Wort Terrororganisation kommt in seinem Wortschatz nicht vor. Qalamuddin setzt sich im Hohen Friedensrat dafür ein, dass die USA Taliban-Häftlinge entlassen – nur dann könnten ernsthafte Verhandlungen beginnen. Im Moment stockt der Prozess.

    "Die Taliban haben das Recht, Verhandlungen abzulehnen, solange die Amerikaner wichtige Mitglieder in Guantanmo und in Bagram festhalten. Vor allem die Amerikaner führen Krieg gegen die Taliban. Deswegen muss es zunächst konkrete Ergebnisse mit den Amerikanern geben. Danach wird es dann auch direkte Gespräche mit der afghanischen Regierung geben."