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Historiker zum Ende des 1. Weltkriegs
"Wer von Weimarer Verhältnissen spricht, will die Krise herbeireden"

100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hat der Historiker Jörn Leonhard für einen vorsichtigen Umgang mit historischen Vergleichen plädiert. Neben Analogien zwischen 1918 und heute müssten auch die Unterschiede beachtet werden, sagte Leonhard im Dlf. Er sehe heute keine Weimarer Verhältnisse.

Jörn Leonhard im Gespräch mit Katja Lückert |
    Versailler Vertrag
    Die Unterzeichnung des Friedensvertrages im Schloss von Versailles am 28.6.1919. Eröffnung der Sitzung durch den französischen Ministerpräsidenten Georges Benjamin Clemenceau (Zeichnung von George Scott). (picture alliance/dpa)
    Die Gefühle der Deutschen am Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren waren nach Ansicht des Historikers Jörn Leonhard sehr widersprüchlich. Für die Menschen damals sei die Plötzlichkeit des Kriegsendes überraschend gewesen. Aber auch auf die Niederlage sei niemand vorbereitet gewesen. Viele hätten gedacht, dass Deutschland den Krieg noch hätte gewinnen können.
    Den Versailler Friedensvertrag bewertet Jörn Leonhard zwar als eine erhebliche Belastung für die Deutschen. Doch er sieht in ihm auf keinen Fall die allein entscheidende Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik. Wenn das Hitler-Regime die zwangsläufige Konsequenz der Entwicklung von 1918 und der Folgejahre gewesen wäre, hätte die Weimarer Republik das Krisenjahr 1923 mit Hyperinflation und Hitlerputsch nicht überlebt, ist der Historiker überzeugt.
    Keine Weimarer Verhältnisse
    Andere Faktoren, die zum Scheitern der Weimarer Republik geführt haben, sieht Leonhard in der Erosion des Parteiensystems, der Militarisierung weiter Teile der politischen Öffentlichkeit sowie in ungelösten Problemen der Weltwirtschaftskrise. Es sei zu einfach, den Versailler Friedensvertrag als Hauptursache für das Scheitern der Weimarer Republik zu betrachten und damit einem von außen aufgezwungenen Diktat die Schuld zu geben.
    Explizit wandte sich Jörn Leonhard gegen die Aussage, wir hätten heute Weimarer Verhältnisse. Er sehe weder eine Massenverelendung der deutschen Gesellschaft noch Straßenschlachten mit militarisierten Parteiorganisationen in Großstädten, die zahlreiche Tote forderten. Wer im Augenblick vorschnell von Weimarer Verhältnissen spreche, versuche die Krise herbeizureden. Wichtig sei es, auch die Unterschiede der Situationen damals und heute zu sehen. Die AfD operiere bewusst mit historischen Vergleichen. Und zu oft sprängen wir über die Stöckchen, die uns die AfD hinhalte.