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Wenn Beta Julia auf Schollenhubers Hund kommt

Man wird dieses Buch wohl eher zufällig in einer Buchhandlung in die Hand nehmen, da man Autor und Genre sind nicht recht einzuschätzen. Dann aber bleibt man beim Blättern hängen im philosophischen Vexiergarten des Professor humoris causa Stephan Groetzner.

Von Florian Felix Weyh | 01.03.2012
    Mit der Philosophie ist es so eine Sache: Einerseits verlangt die Welt unaufhörlich danach, dass man ihr geistig auf den Grund gehe; andererseits ist Sprache ein Teil der Welt und damit selbst unergründlich. Generationen von Philosophen haben sich in diesem circulus vitiosus verirrt – oder heimtückerischerweise ihre Schüler und Leser darin verirren lassen. Höchste Zeit, dass die eigentlichen Hüter der Sprach-kunst, die Dichter, das Terrain zurückerobern und lauthals fragen: He Welt! Was bist du eigentlich?

    "Die Welt ist alles, was beschnüffelbar ist. Das Beschnüffelbare lässt sich mittels Beschnüffeln daraufhin überprüfen, ob man es entweder fressen oder aber besteigen kann; drittenfalls ist es zu bepinkeln. Das ist der kynozentrische Standpunkt.

    Bekanntermaßen kam einst ein Philosoph auf den weißgelockten Pudel, wie hieß der Mann doch gleich … Schollenhuber? Schollenhuber! Schollenhubers Hund jedenfalls begründete eine ganz eigene Ontologie:

    "Die hier vertretene Auffassung des Kynozentrischen ist ausgesprochen olfaktorisch, so dass man sie mit Recht auch rhinozentrisch heißen könnte. Eine Philosophie, die die Nase in den Mittelpunkt stellt und behauptet: Ohne Riechorgan keine Erkenntnis der Wirklichkeit, muss sich die Frage gefallen lassen, wie denn dieses Riechorgan sich selbst wahrnimmt. Da die Nase sich schlecht selbst be-schnüffeln kann, ist sie dann in einer rein olfaktorischen Welt überhaupt existent? Diese Überlegung zeigt, dass der rhinozentrische Empirismus letztlich auf einer metaphysischen Grundlage fußt."

    Willkommen im philosophischen Vexiergarten des Professor humoris causa Stephan Groetzner, seines Zeichens Traditionalist einer sprachpositivistischen Pataphysik. Will heißen: Einer der dem Klang und der Mehrdeutigkeit von Worten sonderbare Welten ablauscht. Oder um ihn selbst zu zitieren: Ein "Adoptivsohn des Gottes Derridao und der Göttin Derridada". Keine Bange, Adoptivkinder gehen immer auf die Suche nach ihren eigenen Wurzeln, und die liegen jenseits der Derrida'schen Grammatologie. Den langen Sentenzen französischer Strukturalisten lässt sich näm-lich mit einem kurzen deutschen Wort begegnen, das da lautet: Ulk.

    "Wenn ein Alpha Romeo sich zu einer Beta Julia verhält wie ein Gamma-Strahl zur aufgehenden Sonne über einem Fluss-Delta, dann steht ein einsames Epsilon ziem-lich dumm da."

    Es gibt Bücher, die überleben im harten Kampf um Aufmerksamkeit nur, weil sie Blätter-Stopper sind. Man wird "Die Kuh in meinem Kopf" wohl eher zufällig in einer Buchhandlung in die Hand nehmen, da man Autor und Genre nicht recht einschätzen kann. Dann aber bleibt man beim Blättern irgendwo hängen, denn Groetzner ist ein Meister der irritierenden Fußangel. Ein Leserfischer, Buch-Hineinzieher, szenischer Miniaturist:

    "Der Denker im Restaurant. Ein Denker sitzt an einem weiß gedeckten Tisch und fragt sich: Warum bin ich hier? Da tritt ein geheimnisvoller Chinese heran und reicht ihm eine in Leder gebundene Schrift. Der Denker blättert in dem schmalen Band und beginnt zu begreifen, dass er sich entscheiden muss. Schließlich tippt er aufs Ge-ratewohl auf irgendeine Stelle und sagt: 42. Chop-suey, fragt der Chinese in einem unbekannten Dialekt, Chop-suey? 42, bestätigt der Denker, 42!"

    Hier ausnahmsweise verkneift sich der Autor eine Fußnote, weil er seine Leser nicht für blöde hält: "42" ist als literarischer Witz wohlbekannt. Ansonsten gehört die Fuß-note zum zwingenden Inventar der Groetznerschen Prosa, da man in ihr einerseits Denkspiralen auf schwindelnde Höhen hinaufschrauben, sich andererseits an Zitaten anderer Autoren trefflich reiben kann. Witz bedarf bekanntlich einer Bezugsgröße; hier dienen dazu der akademische Jargon, philosophische Sentenzen und manchmal schlichte, doch verstörende Alltagssätze großer Denker à la Ernst Bloch:

    "Unsere Hände dienen dazu, Früchte zu sammeln, die Keule zu werfen, nicht aber Klavier zu spielen."

    Was bei Groetzner zum lebensklugen Rat gerinnt: Man soll nicht mit der Keule nach dem Klavier werfen! Der Autor liebt nämlich die Musik. Weil Sprache immer auch musikalisch schwingt, bemächtigt er sich zweier Konzertsaalklassiker. Edvard Griegs "Peer-Gynt-Suiten" werden bei Stephan Groetzner zu "Günter P. – Zwei Suiten", und Schuberts Forellenquintett geht als "Schwammerlquartett" an Land, beides exzeptionelle Fälle literarischer Hochkomik, folgt der Autor doch konsequent dem eigenen Motto:

    "Wovon man nicht schweigen kann, darüber muss man schwätzen."

    Doch das ist pure Selbstironie, denn als "Schwätzen" kann man diese sprachlich hoch präzisen Themenvariationen wahrlich nicht bezeichnen. Sie stecken voller Wort-Trouvaillen wie "lenzesweise" und zeigen noch in ihrem Abgesang, dem "Kleinen ABC der Losigkeiten" von "arbeitslos" bis "zahnlos", eine schwebende Grazie, wie sie der österreichischen Literatur seit jeher eignet. Konsequent wienerisch endet denn auch Schuberts "Schwammerlquartett" in Arbeitsver-weigerung: Wurschtigkeit ist aller Unvollendung Anfang!

    "Das Finale muß leider entfallen, da ich schon gar zu müd bin. Gut Nacht!"

    Stephan Groetzner: "Die Kuh in meinem Kopf"
    Literaturverlag Droschl
    136 Seiten, 16,00 Euro