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Wenn ich mir was wünschen dürfte

Der Mensch strebt nach Glück. Nur weiß er nicht so recht, wie er es erreichen kann. Hoffnungsvoll gingen daher im vergangenen Jahrhundert Ökonomen daran, dieses uralte Problem empirisch zu erforschen. Sie befragten Menschen systematisch danach, was sie glücklich macht.

Von Martin Hubert | 03.01.2010
    Es klingelt, zwei Herren stehen vor der Tür. Sie stellen sich kurz vor, werden hereingebeten. Im Wohnzimmer legen sie Laptop und einige Papiere auf den Tisch. Dann stellen die Interviewer ihre Frage: Sind Sie mit ihrem Leben zufrieden?

    "Wir wissen heute viel besser, welche Faktoren die Menschen glücklicher machen."

    Seit Mitte des letzten Jahrhunderts fragen speziell ausgebildete Interviewer regelmäßig Menschen danach, was sie von ihrem Leben halten.

    "Großangelegte Studien, wo die individuellen Unterschiede eigentlich wenig beachtet werden."

    Die Forscher möchten dem Glück so objektiv wie nur möglich zu Leibe rücken. Geld oder Liebe, Luxus oder Gesundheit, Materielles oder Kulturelles ? Was ist entscheidend? Lange Zeit hatten sich fast nur Philosophen oder Psychologen mit dem menschlichen Glück beschäftigt. Vor über 40 Jahren aber entdeckten auch Ökonomen und Soziologen zunehmend das Thema. Beide waren an möglichst objektiven Zahlen über das Glück vieler Menschen im gesellschaftlichen Maßstab interessiert. Und vor allem die Ökonomen wollten natürlich wissen, wie materieller Wohlstand und Lebenszufriedenheit zusammenspielen. Daher begannen sie mit großangelegten, repräsentativen Untersuchungen in der Bevölkerung, die messen sollten, in welchem Ausmaß wachsendes Einkommen glücklicher macht. Das Ergebnis allerdings war überraschend.

    "Man kann nicht alles mit Geld kompensieren."

    Das alte Sprichwort. "Geld allein macht nicht glücklich " scheint zu stimmen. In der Sprache der Glücksforscher lautet es: Materieller Reichtum ist für das menschliche Glücksgefühl zwar wichtig, aber er zählt nicht bedingungslos. Dieser Befund trägt den Namen Easterlin-Paradox, denn er geht ursprünglich auf den amerikanischen Ökonomen Richard Easterlin zurück. Der hatte 1974 unter anderem die Nachkriegsentwicklung in Japan untersucht und festgestellt: als das Land noch unter den Nachkriegsfolgen litt und der Wohlstand gering war, wurden die Menschen umso zufriedener, je stärker das Bruttosozialprodukt und die Einkommen stiegen. Nachdem der Einkommensspiegel jedoch ein Niveau erreicht hatte, das den meisten Menschen einen grundlegenden Wohlstand ermöglichte, koppelten sich beide Größen voneinander ab.

    Easterlin fand diesen Trend auch in 19 anderen Ländern in unterschiedlichen Kulturen. Für die Glücksforscher, die sich auf statistische Erhebungen berufen, wurde das Easterlin-Paradox daher zu einem kaum mehr bezweifelten Lehrsatz. Doch nun sind Studien aufgetaucht, die erstmals grundsätzlich an diesem Fundament zu rütteln scheinen. Außerdem hat sich eine globale Krise entwickelt, die die traditionellen Vorstellungen des Menschen von seinem Glück auf den Kopf stellen könnten. Seitdem steht erneut die Frage im Raum: Ist der Mensch doch hauptsächlich materialistisch orientiert, wenn er sein Glück sucht? Oder behalten diejenigen Recht, für die andere Faktoren mindestens genauso wichtig sind? Auch grundsätzliche Fragen werden neu debattiert: Wie gut lassen sich sich die Faktoren des menschlichen Glücks wirklich identifizieren und messen? Und was ist das überhaupt: das Glück?

    "Bist Du denn glücklich, Mutter?" Das hast Du mich einfach zurückgefragt, mein Sohn, nachdem ich Dir dieselbe Frage gestellt hatte. Du warst das erste Mal nach längerer Zeit wieder mal vom Studium nach Hause gekommen, hast erzählt vom Leben in der Stadt, von der Universität, von der Freundin. Da ist mir die Frage einfach herausgerutscht. Und Du hast – ganz provokativer Sohn – hart gekontert. Seitdem bin ich unruhig. Nicht weil ich mich unglücklich fühle. Mich verwirrt, dass ich zwar meinem spontanen Gefühl Ausdruck geben konnte, dass ich eigentlich ganz glücklich bin – aber konnte gar nicht richtig beschreiben, was das ist: mein Glück. Deshalb habe ich mich hingesetzt und schreibe Dir diesen Brief.

    Der Begriff "Glück" schillert in vielen Facetten. Für manche ist Glück nur die Abwesenheit von Schmerz und Leid. Für andere besteht es darin, dass man einfach bekommt, was man sich wünscht. Wieder andere definieren es als Hochgefühl, das man dauerhaft erleben möchte. Oder als "Flow", als lustvoll erlebten Tätigkeitsrausch. Der Glücksforscher Bruno Frey vom Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich lächelt daher, wenn man ihn fragt, was "Glück" eigentlich sei. In der empirischen Forschung, antwortet er, gehe es darum, die richtigen Fragen zu stellen.

    "Es gibt etwas ganz Kurzfristiges und das wird üblicherweise Glück genannt, und da werden die Leute gefragt: 'Wie glücklich sind Sie?' Und dann werden die meisten Leute überlegen und sagen: 'Ja, im Moment bin ich gerade glücklich, weil schönes Wetter ist, oder weil meine Freundin mir etwas Nettes gesagt hat.' Während eine andere Frage ist eben die nach der subjektiven Lebenszufriedenheit, da stellen wir den Leuten die Frage: 'Alles in allem: wie zufrieden sind sie mit dem Leben, das sie führen?' Und da sieht man sofort: Das ist etwas Längerfristigeres, etwas Grundsätzlicheres."

    Die Forscher interessieren sich hauptsächlich für diese stabile Größe des längerfristigen Glücks, für die Lebenszufriedenheit. Um sie quantitativ einschätzen zu können, bieten sie den Befragten zum Beispiel drei Antwortmöglichkeiten an: "Sind Sie sehr zufrieden, ziemlich zufrieden oder nicht so zufrieden?" Andere Studien nutzen sieben- oder sogar elfteilige Skalen zwischen "ganz und gar zufrieden" bis "ganz und gar unzufrieden". Die Antworten werden dann zum Beispiel zur ökonomischen Situation der Befragten in Beziehung gesetzt.

    Wächst die Lebenszufriedenheit mit dem Einkommen, obwohl andere Faktoren wie Gesundheit oder Arbeitsplatzsicherheit konstant bleiben, dann kann man daraus schließen, dass das Einkommen für das wachsende Glücksgefühl verantwortlich ist. Das Easterlin-Paradox besagt allerdings, dass das nicht immer so ist. Ab einem bestimmten Schwellenwert koppeln sich beide Größen voneinander ab. Dieser wurde sogar für mehr als 20 Länder berechnet. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lag er bei bei circa 15.000 Dollar Jahreseinkommen pro Person. Das Easterlin-Paradox bedeutet also: Vor allem in ärmeren Ländern steigt bis zu diesem Wert die Lebenszufriedenheit parallel zum Einkommen. Je reicher jedoch eine Gesellschaft wird, desto weniger verleiht das Geld dem Leben seinen Glanz. Nun werden andere Faktoren immer wichtiger: soziale Anerkennung, sinnvolle Arbeit oder kultureller Genuss.

    Die Wissenschaftler erklären dieses Paradox psychologisch: jeder Menschen passe sich automatisch an veränderte materielle Bedingungen an. Frey:

    "Also zum Beispiel ein schönes Auto kaufen, eine neue Wohnung erwerben, dann denken Sie: 'Oh, das macht mich sehr glücklich in der Zukunft.' Und da überschätzen Sie das. Man gewöhnt sich ganz offensichtlich rasch an das neue Auto, rasch an die schönere, größere Wohnung."

    Für Bruno Frey ist dieser Gewöhnungseffekt durch zahlreiche Studien eindeutig belegt. Selbst Gewinner hoher Lottosummen sind meist ein paar Jahre nach ihrem Glückstreffer nicht zufriedener mit ihrem Leben als andere Menschen. Das Erreichte gilt plötzlich als selbstverständlich. Neben der Anpassung oder Gewöhnung gibt es noch einen weiteren Faktor, der den Wert materiellen Reichtums relativiert. Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

    "Mittlerweile wissen wir, dass viel von Vergleichsprozessen abhängt: Mit wem vergleichen sich die Menschen gerade aktuell, wer ist relevant? Ist es Familie, ist es Nachbarschaft, sind es Arbeitskollegen, sind es Vereine, soziale Einbettungen, und ähnliches mehr, die da wirksam sind?"

    Letztlich macht mehr Geld die Menschen nur dann zufriedener, wenn sie im Vergleich zu anderen Gruppen aufholen oder sie sogar überholen. Mehrere Studien legen schon seit vielen Jahren nahe: wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft im gleichen Maßstab mehr verdienen, wird dadurch keiner zufriedener. Offenbar müssen manche ökonomisch absteigen, damit andere auf Grund ihres materiellen Gewinn glücklicher werden können. Materielles Glück beruht auf Rivalität.

    Als ich dann hier so saß, um meinen Brief an Dich, mein Sohn, zu schreiben, habe ich mich zuerst gefragt, wer eigentlich in meiner Umgebung glücklich wirkt. Aber dann sagte ich mir: Das kann ja nicht mein Maßstab sein. Dann habe ich in mich hineingeschaut und bin auf ein altes Gefühl gestoßen, das einen Reigen schöner Bilder auslöste. So habe ich mir als junges Mädchen immer das Glück vorgestellt: ich sah hellblaue Farben, die sich in einen unendlichen Raum erstrecken, ein Boot, das still auf einem See kreist, freundliche Augen eines lächelnden Jungengesichts, ein paar gelockte Kinderköpfe, tanzende Menschen, ein Meer von Blumen. Die roch ich sogar. Dazu stieg ein wohlig-sorgloses Gefühl aus meinem Bauch empor, auch heute wieder. Eine schöne Erinnerung. Aber eben nur Mädchenträume. Ganz so rosig kann das Glück gar nicht sein, denn sonst könnte kaum einer wirklich glücklich werden. Aber ein bisschen davon muss es schon haben.

    "Ökonomisches Wachstum und subjektive Zufriedenheit. Eine Neubewertung des Easterlin-Paradoxons" Das ist der Titel einer Studie, mit der die beiden jungen Ökonomen Betsey Stevenson und Justin Wolfers von der University of Pennsylvania im Jahr 2008 gewaltig für Furore sorgten. Fast alle führende Zeitungen der USA brachten Artikel darüber, wissenschaftliche Debatten in Fachorganen und auf Konferenzen schlossen sich an. Denn es handelte sich um eine Metastudie, die das bisherige Datenmaterial, das für das Easterlin-Paradox spricht, neue sichtete – und zu anderen Schlüssen kam. Betsey Stevenson fasst ihre provokative These so zusammen:
    "Wir stellen fest: das absolut steigende Einkommen der Menschen zählt, wenn es um menschliche Zufriedenheit geht.Wir können nicht völlig ausschließen, dass auch das relative Einkommen eine Rolle spielt, wenn sich jemand mit anderen Menschen und früheren Lebensphasen vergleicht. Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass dessen Einfluss im Vergleich zum absolut steigenden Einkommen beträchtlich geringer zu veranschlagen ist."

    Stevenson und Wolfers haben vor allem die Leitstudie von Richard Easterlin zur japanischen Gesellschaft neu unter die Lupe genommen. Sie nutzten das gleiche Datenmaterial, mit dem Easterlin belegt hatte, dass die japanische Gesellschaft von einem bestimmten Wohlstandsniveau ab nicht mehr zufriedener wurde. Dabei fielen ihnen methodische Fehler auf. Stevenson:

    "Als wir die Fragen, die man in Japan gestellt hatte, genau übersetzten, entdeckten wir, dass sie sich im Verlauf der Zeit verändert hatten."

    Bis Mitte der 60er-Jahre hieß es in den japanischen Umfragen: "Sind Sie im Allgemeinen mit Ihrem Leben zufrieden?" Ab 1964 jedoch lautete die Frage "Sind Sie vollständig zufrieden?" Betsey Stevenson:

    "Wir analysierten das Datenmaterial von Easterlin daraufhin noch einmal nur in Bezug auf die Phasen, in denen gleiche Fragen verwendet wurden. Und dabei fanden wir eine permanent hohe Korrelation zwischen Zufriedenheit und Einkommen. Dann versuchten wir die verschiedenen Resultate rechnerisch aufeinander zu beziehen, indem wir die Brüche berücksichtigten, die durch die unterschiedlichen Fragen entstanden waren. Auch dann zeigte sich, dass die Japaner im Verlauf der Zeit immer zufriedener wurden. Easterlin hatte diese ernsthaften Brüche, die durch unterschiedliche Fragen entstanden waren, einfach nicht bemerkt und berücksichtigt."

    Stevenson und Wolfers fanden, dass auch das Material anderer Studien den Thesen Easterlins nicht entsprechen. Auf den ersten Blick also scheint ihre Studie eine klare Sprache zu sprechen: es gibt keine Grenze, von der an Geld nicht mehr glücklich machen könnte. Das Easterlin-Paradox scheint damit unterminiert zu sein. Auf den zweiten Blick aber relativieren die beiden Autoren ihre eigenen Ergebnisse auch wieder. Betsey Stevenson gesteht zum Beispiel ein, dass ihre Behauptung zwar für Europa und Japan gilt, aber keineswegs für alle Staaten:

    "In den USA finden wir diesen Zusammenhang nicht."

    Stevenson und Wolfers räumen auch ein, dass die Beziehung zwischen wachsendem Einkommen und Zufriedenheit nicht auf eine eindeutige Formel zu bringen ist. In manchen Ländern ist die Zufriedenheit zum Beispiel höher als es das Einkommen eigentlich erwarten ließe, wenn man die die vorherige Entwicklung beider Größen als Maßstab ansetzt - in anderen ist sie niedriger. Stevenson und Wolfers haben aber nicht untersucht, woran das liegen könnte. Manche Kritiker relativierten die Ergebnisse von Stevenson und Wolfers noch stärker. Ihr Argument lautet, dass ja nicht immer das erhöhte Einkommen die höhere Lebenszufriedenheit verursachen müsse. Es könne genausogut umgekehrt sein: Manche Menschen würden mehr Einkommen erarbeiten, weil sie glücklich und daher sehr leistungsfähig sind. Doch ganz so schnell gibt sich Betsey Stevenson nicht geschlagen:

    "Wir fanden insgesamt eine klare Korrelation zwischen Einkommen und Zufriedenheit, woraus sich tatsächlich nicht unbedingt ein kausaler Zusammenhang ableiten läßt. Aber betrachten wir doch einmal die umgekehrte Aussage: 'Zufriedenheit erzeugt höheres Einkommen.' Wenn wir die mit den verfügbaren Daten vergleichen, glaube ich, dass es wirklich ziemlich merkwürdig wäre, das für richtig zu halten. Wir wissen zum Beispiel, dass Burundi viel ärmer ist als die USA. Und ich glaube nicht, dass man sagen kann: Burundi ist ärmer, weil die Menschen dort weniger zufrieden sind."

    Bruno Frey von der Universität Zürich läßt sich durch solche Argumente jedoch nicht wirklich überzeugen. Er meint, dass es ja immer auch darauf ankäme, was die Menschen mit ihrem zusätzlichen Geld anzufangen wissen. Daher gilt für ihn das Easterlin-Paradox weiterhin, jedenfalls im Prinzip.

    "Ich finde die Debatte nicht besonders wichtig, ich glaube, das wichtige daran ist, dass eben das Materielle nicht parallel läuft mit der Lebenszufriedenheit."

    Du weißt, mein Sohn, dass ich im Grunde ziemlich pragmatisch bin. Ich habe Geld nie verachtet, im Gegenteil. Ich kann mich noch gut an eine Phase meins Lebens erinnern, in der es uns materiell nicht so gut ging. Drei, vier Jahre lang schwebte ein Gefühl der Unsicherheit wie ein Damoklesschwert über uns. Und ich denke gern daran, wie dieser innere Druck allmählich verschwand, als wir materiell auf sicheren und dann sogar auf ziemlich guten Beinen standen. Ich würde also niemals behaupten, dass der schnöde Mammon für mein Glück unwichtig war und ist. Aber wenn ich den Satz hinschreiben müsste: "Mein Geld ist mein Glück", sträubt sich alles in mir.

    Michael Eid vom Psychologischen Institut der Freien Institut Berlin wiegt nachdenklich seinen Kopf, wenn man ihn nach dem Zusammenhang von materiellem Wohlstand und Wohlbefinden fragt. Betrachtet man rein statistisch allein die großen Zahlen, meint er, dann sei der Zusammenhang sehr eng. Einzelne Lebensläufe sagen jedoch etwas anderes:

    "Aus dieser individuellen Perspektive betrachtet ist der Zusammenhang zwar da, aber doch äußerst gering. Und man kann erwarten, dass dieser Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Einkommen für unterschiedliche Personen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Man weiß beispielsweise, wenn Personen sehr materialistisch orientiert sind, dann spielt das Einkommen für die Bewertung der Lebenszufriedenheit eine sehr viel größere Rolle als für Personen, die andere Werte im Leben haben. Also es ist die Frage: Welche Bedeutung wird dem Einkommen zugemessen?"

    Psychologen der Universität Berkeley untersuchten den Werdegang von 124 Ökonomen, um herauszubekommen, inwieweit ihre Glücksgefühle von individuellen Einstellungen beeinflusst werden. Das Ergebnis: Betriebswirtschaftler, die vor allem des Geldes wegen studiert hatten, machte ein guter Verdienst im Beruf zufriedener als Kollegen, die ihr Studium eher aus Interesse am Wirtschaftsleben gewählt hatten. Die eigenen Werte und Motivationen bestimmen maßgeblich mit, was als Glück empfunden wird. Mit Hilfe psychologischer Einzelfallstudien versuchen Forscher genauer herauszubekommen, welche Faktoren diesem individuellen Glücksempfinden zuträglich sind. Zum Beispiel sind sozial orientierte und offene Menschen mit ihrem Leben meist stärker zufrieden. Eid:

    "Oder wenn man wenig neurotisch ist, das bedeutet, dass man grundsätzlich wenig negative Emotionen im Leben erlebt. Oder wenn man hohe Selbstwirksamkeit aufweist, das heißt, dass man selbst von sich überzeugt ist, dass man in der Lage ist, die wichtigen Ziele, die man im Leben hat, zu erreichen. Optimismus ist eine Variable, die eine große Rolle spielt, also die grundsätzlich positive Bewertung von Dingen im Leben, das sind alles Persönlichkeitsmerkmale, die eine große Rolle spielen zur Erklärung von Unterschieden zwischen Menschen in ihrem Wohlbefinden."

    Wie aber schafft man es, optimistischer, offener, sozialer, selbstbewusster und weniger empfänglich für negative Stimmungen zu sein? Zwillingsstudien legen nahe, dass 40 Prozent der Unterschiede zwischen den Menschen genetisch festgelegt sind. Das heißt aber keinesfalls dass es einzelne Glücksgene gibt, die das Lebensschicksal steuern. Die Gene legen höchstens Rahmenbedingungen dafür fest, wie eine Person auf positive oder negative Lebensereignisse normalerweise reagiert. Michael Eid selbst schränkt die Aussagekraft von Zwillingsstudien ein, die immer nur verschiedene Personen miteinander vergleichen können.

    "Das bedeutet nicht, dass das individuelle Glück zu vierzig Prozent von den eigenen Genen abhängt, sondern die Unterschiede zwischen Menschen, die wir finden. Das bedeutet auch nicht, dass das Glück nicht veränderbar ist: sechzig Prozent dieser Unterschiede gehen auf andere Faktoren zurück und diese Prozentzahl hängt auch immer davon ab, welche Person man untersucht unter welchen Gegebenheiten"

    Betsey Stevenson verweist etwa auf solche nichtgenetische Faktoren, wenn sie einen erstaunlichen Umstand in den USA erklären will: Dort sind die Menschen trotz steigenden Einkommens in Durchschnitt nicht nur nicht glücklicher geworden – im Vergleich zu den 70er-Jahren wurden die Frauen sogar unzufriedener. Stevenson:

    "Es ist denkbar, dass Frauen in den 70er-Jahren meinten, sie müssten enthusiastischer über ihr Glück sprechen, weil sie einfach höflich sein wollten. Also übertrieben sie ihre Antworten. Heute ist das wohl anders. Das ist sicherlich auch einer der Folgen der Frauenbewegung der 70er- und 80er-Jahre, die die Frauen ermutigte, offen über ihre negativen Gefühle zu sprechen. Es könnte aber auch sein, dass die Frauen ihr Leben heute als viel verwirrender empfinden, da die alten statischen Rollenmodelle nicht mehr gelten. Sie müssen sich daher im Vergleich zu früher viel häufiger zwischen schwierigen Alternativen entscheiden."

    Glück und Zufriedenheit haben auch mit den kulturellen Deutungsmustern zu tun, in die man hineingeboren wird. Und mit den Aufgaben, vor die einen die soziale Welt stellt. Wobei es wieder stark von der einzelnen Person abhängt, wie stabil sie auf wechselnde Situationen reagiert. Michael Eid:

    "Es gibt Personen, die fühlen sich immer gut, quasi stabil gut. Es gibt Personen, die fühlen sich stabil schlecht. Es gibt Personen, bei denen schwankt das Stimmungserleben sehr stark von Situation zu Situation, also es gibt beträchtliche Unterschiede zwischen Personen sowohl im momentanen Wohlbefinden auch als in dieser überdauernden Wohlbefindenslage."

    Die große Frage ist dann natürlich: Woran soll sich der Einzelne orientieren, um das beeinflussen zu können? Psychologische Studien zeigen: Nicht das große positive Lebensereignis, dem man ein Leben lang hinterherrennt, macht dauerhaft glücklich. Wichtig sind vor allem die vielen kleineren positiven Erlebnisse im Alltag. Eid:

    "Und es zeigt sich auch, dass das Negative häufig zäher ist als das Positive, das heißt, man braucht sehr viel mehr positive kleine Lebensereignisse, weil deren Effekt auch schneller vorbei geht, als negative Lebensereignisse, weil die die Person doch länger beschäftigen. So daß wenn man das regulieren kann - die Anzahl der negativen runterfahren, die Anzahl der kleinen positiven hochfahren - dann hilft das oft schon. Und wenn das in der Tagesgestaltung möglich ist, dass man genug Schlaf hat, dass man die Pausen wählt, dann sind das alles Strategien, die dem Wohlbefinden zuträglich sind."

    Kleinigkeiten, die entspannen und Spaß machen, sind kaum zu überschätzen. Und so traurig es klingt. Das beste Beispiel dafür, dass das große überschäumende Glückserlebnis nicht ewig währt, ist: die Liebe. Genauer gesagt, meint Bruno Frey: die Hochzeit.

    "Wir haben das untersucht, und auf die Hochzeit hin geht die Lebenszufriedenheit gewaltig hoch und dann aber auch ziemlich deutlich wieder zurück. So nach zwei, drei Jahren ist man ein bisschen glücklicher als vorher, aber nicht mehr in diesen hohen Sphären wie zum Zeitpunkt der Heirat. Verheiratet zu sein macht also etwas glücklicher als nicht verheiratet zu sein, was aber teilweise daher rührt, dass glückliche Menschen eher einen Heiratspartner finden, mit unglücklichen Menschen ist man weniger gern zusammen."

    Und dann, mein Sohn, wäre da natürlich die Liebe. Noch heute hüpft mein Herz, wenn ich mich an die Zeit erinnere, in der ich mich in Deinen Vater verliebt habe - und er sich in mich. Dass wir uns getroffen haben, ist wirklich einfach Glück gewesen. Natürlich gab dann die kleinen Krisen, nur Übermenschen haben die nicht. Aber irgendwie haben wir es geschafft, diesen prickelnden Zustand der Schmetterlingsgefühle in das überzuführen, was man so "reife Liebe" nennt. Man muss nicht immer gemeinsam hochgestimmt sein. Man muss akzeptieren können, dass der andere mal seinen eigenen Weg geht, für sich sein will, anders handelt und denkt als man selbst. "Glück in der Liebe" heißt eigentlich "eine geglückte Beziehung leben können". Und dazu gehören im wahrsten Sinne des Wortes auch gemischte Gefühle.

    Viele Faktoren sind beteiligt, wenn Glück und Lebenszufriedenheit entstehen: kulturelle Werte und persönliche Eigenschaften, die Gene und die soziale Umwelt, das Geld und die Liebe, der Vergleich mit anderen und das Selbstwertgefühl. Ein erstes Fazit der Glücksforschung heißt daher: Es gibt keine einfache Formel für das Glück, sondern nur ein komplexes Wechselspiel verschiedener Faktoren. Ein zweites lautet: Dennoch lassen sich zentrale Trends beschreiben, vor allem wenn man große Menschengruppen betrachtet. Für die Mehrheit der Forscher bleibt zum Beispiel das Easterlin-Paradox weiterhin eine wichtige Orientierungsgröße. Es mag Ausnahmen geben, meinen sie, und man mag sich über Schwellenwerte streiten, aber es gibt eine Grenze, an der materieller Reichtum nicht mehr automatisch das Glück befördert. Komplizierter noch ist es mit dem zweiten Eckpfeiler der Glücksforschung: der Annahme, dass die Menschen sich automatisch an veränderte Bedingungen anpassen.

    "Das konnte auch, wenn man so will, mit unseren Daten falsifiziert werden oder sehr stark differenziert werden, dass es zwar für viele Bereiche gilt, allerdings nicht für sämtliche Lebensbereiche oder Lebensereignisse verallgemeinert werden kann."

    Jürgen Schupp ist einer der Leiter des sozioökonomische Panels in Deutschland, einer international hoch angesehenen Längsschnittstudie. Seit 1984 werden Menschen in Deutschland regelmäßig nach ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer Zufriedenheit mit Arbeit, Wohnverhältnissen und Freizeit befragt. Die Daten lassen kaum einen Zweifel: an langanhaltende oder sich wiederholende Arbeitslosigkeit gewöhnen sich die Menschen nur schlecht. Schupp:

    "Man kann das quantifizieren, dass Menschen, die mehr als zwei Jahre ihren Arbeitsplatz verloren haben, dass dann ein Abstieg auf ein Niveau erfolgt, den wir sonst nur registrieren bei pflegebedürftigen Personen, die also wirklich gesundheitliche Probleme haben. Also auf ein solches Niveaus schnurrt das runter."

    Dauerhafte Arbeitslosigkeit macht auch die Psyche krank. Zwar stabilisiert sich dieser negative Effekt nach einer gewissen Zeit. Aber den Betroffenen fällt es danach sehr schwer, wieder auf ein höheres Niveau zurückzukommen. Schupp:

    "Das erklärt vielleicht auch, dass, wenn die Konjunktur dann wieder anspringt und die Zahl der Arbeitslosen auch rückläufig ist, das nicht einhergeht gleich damit, dass die Bevölkerung auch wieder positiv gestimmt ist und glücklicher wird – weil: so was wirkt natürlich auch nach."

    Das bedeutet auch, dass es nicht allein das fehlende Geld ist, das Langzeitarbeitslosen auf die Stimmung schlägt. Es ist auch das Gefühl, ein ohnmächtiges Objekt ökonomischer Mechanismen zu sein und die Erfahrung, sozial ausgegrenzt zu werden. Sozialer Zusammenhalt und das Gefühl, einigermaßen sozial gerecht behandelt zu werden, sind für die eigene Zufriedenheit unabdingbar. Schupp:

    "Was wir als Trend schon beobachten konnten, war, dass mit einer wachsenden Ungleichheit in der objektiven Einkommenszusammensetzung unserer Bevölkerung, also dass die Gruppen, die viel haben, auch noch mehr bekommen haben, und diejenigen, die schon nah an der unteren Grenze waren, noch ein bisschen abgerutscht sind, also dieser Polarisierungstrend in der objektiven Einkommenslage, den haben wir durchaus gespiegelt gesehen, sodass wir hier Ungerechtigkeiten auch identifizieren können."

    Je mehr sich Menschen fremdbestimmt und ausgegrenzt fühlen, desto negativer ist das für ihr Glücksempfinden – und umgekehrt. Bruno Frey hat das speziell auch für die politische Ebene nachweisen können. Er verglich verschiedene Schweizer Kantone miteinander, in denen die Bevölkerung unterschiedlich stark mit Volksentscheiden auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen kann.

    "Wir haben etablieren können, dass die Leute, die mehr solche Fragen beantworten dürfen durch Referenden und Initiativen, mit ihrem Leben zufriedener sind. Das ist ein allgemeines Phänomen, auch die Mitbestimmung in Unternehmungen ist ja ein Gut, das die Menschen doch schätzen."

    Ein anderes Problem ist die schlechter werdende ökologische Situation. Auch sie spielt offenbar eine immer wichtigere Rolle. Das ist zumindest für die Schweiz belegt. Frey:

    "Wir haben einfach gefragt: 'Wie glücklich sind Sie mit ihrem Leben?' Und dann haben wir den CO2-Ausstoß in unterschiedlichen Regionen angesehen. Und es hat sich rausgestellt, wenn der CO2-Ausstoß höher war, waren die Leute unglücklicher, wenn man alles andere konstant hält."

    Politische Teilhabe, soziale Anerkennung und Gerechtigkeit, Sicherheit und Kontrolle des eigenen Lebens, sowie ökologische Qualität sind also wichtige Ingredienzen menschlichen Glücks. Der Ökonomen Bruno Frey fordert daher provokativ gegenüber der eigenen Zunft:

    "Die Wirtschaft ist nicht dazu da, um Güter zu produzieren und ein hohes Sozialprodukt zu produzieren. Die wirtschaftliche Tätigkeit ist da, um die Leute zufrieden zu machen, glücklich zu machen."

    Sinnvolle Wirtschaftspolitik, bedeutet das, darf sich nicht allein am Maßstab des stetigen Wachstums orientieren.

    Je länger ich an diesem Brief an Dich schreibe, desto intensiver muss ich über einen Satz des Philosophen Walter Benjamin nachdenken: "Glück heißt, seiner selbst, ohne zu erschrecken, inne zu werden." Klingt ein bisschen pathetisch, aber ich glaube immer mehr, dass er Recht hat. Man schaut in sich hinein, erkennt auch Schattenseiten und negative Erfahrungen, kann aber trotzdem sagen: "Ich genieße diesen Blick nach innen, weil ich insgesamt mit mir und meiner Umwelt im Reinen bin." In diesem Sinne kann ich auf jeden Fall sagen, dass ich glücklich bin. Jeder muss das für die Zeit, in der er gelebt hat, selbst abmachen. Du, mein Sohn, wirst Deine Bilanz in Zeiten ziehen, die ganz andere Widrigkeiten und Herausforderungen bringen werden. Dafür wünsche ich Dir viel Glück.

    Die Forderung von Bruno Frey, die Wirtschaft solle die Menschen glücklich machen, ist natürlich in Zeiten der globalen Krise besonders brisant. Was wird passieren, wenn die ökonomische Situation längerfristig schwierig bleibt: wenn die Einkommen stagnieren, die Arbeitslosigkeit zunimmt und die Unsicherheit wächst? Jürgen Schupp:

    "Ja, das ist eine spannende Frage, kann ich auch keine exakte Antwort darauf geben, auch nur spekulieren. Aber ich denke schon, dass, wenn die Erfahrung sozusagen zur Verstetigung wird, die Unsicherheiten auch in die Lebensentwürfe quasi eingebaut werden müssen, sozialisiert werden müssen. Wenn so etwas nicht mehr die Ausnahmesituation, sondern zur allgemeinen Generationenerfahrung wird, dann werden sich auch die Referenzpunkte anpassen, das ist meine Prognose."

    Ganz gleich, ob man Jürgen Schupp fragt, Michael Eid, Betsey Stevenson oder Bruno Frey. Alle Forscher glauben, das sich die Menschen langfristig doch an unsichere Zeiten anpassen und ihre Maßstäbe für das Glück entsprechend modifizieren werden. Dabei setzen sie jedoch voraus, dass die künftige Entwicklung nicht zur ganz großen Erschütterung führen und alle Menschen in etwa gleich betreffen wird. Diese Voraussetzung jedoch entzieht sich der Wissenschaft.