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Wenn Rainald Goetz auf Franz Josef Wagner prallt

Es gibt wohl kaum gegensätzlichere Figuren in der deutschen Kultur- und Medienwelt als den Literaten Rainald Goetz und den "Bild"-Kolumnisten Franz Josef Wagner. Nun lässt der Regisseur und Provokateur Patrick Wengenroth diese beiden Chronisten der deutschen Befindlichkeiten in einem Theaterabend aufeinanderprallen. Und dazu singt die Band Ja, Panik über die Traurigkeit der Menschen im Kapitalismus.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    Niels Bormann:

    "Hallo, mein Name ist Franz Josef Wagner. Ich schreibe immer diese Briefe auf der ersten "Bild"-Innenseite "Post von Wagner"."

    Plötzlich schiebt er die Plastikplane auf die Seite und steht auf der Bühne: Niels Bormann ist einer von gleich drei Darstellern von Deutschlands berühmtesten und berüchtigtsten Kolumnisten, Franz Josef Wagner. Der ehemalige Regensburger Domspatz, Chefredakteur der "Bunten" und heutige 'Chefkolumnist' der "Bild"-Zeitung hat einen "Brief an Deutschland" geschrieben: über sein Leben als Nachkriegskind, seine Karriere als Reporter, seine Mutter, die Trümmerfrau und die deutschen Befindlichkeiten heute.

    Niels Bormann:

    "Wie viele psychisch und physisch erschöpfte Mütter ich heute in meinem Bekanntenkreis habe! Erschöpft vom in die Schule Fahren, zum Ballett Unterricht fahren, auf den Babysitter und die Putzhilfe Warten, Freundeskreis halten, den Ehemann, das Gewicht. Ach. Es ist schwer vorzustellen, dass das die Enkelinnen dieser Trümmerfrauen sind. Die würden doch nicht den Bruchteil eines Bruchteils aushalten von dem. "

    Hinter Niels Bormann alias Franz Josef Wagner stehen allerhand Umrisse aus den Stationen seine Lebens auf der Bühne: ein Porträt von Helmut Kohl, der Eiffelturm von seiner Flucht nach Paris vor der bürgerlichen Enge in Regensburg, sein Haus in der vornehmen Berliner Mommsenstraße und natürlich das Brandenburger Tor. Das Ganze ist von weißen Plastikplanen umrandet und sieht aus, wie eine große Baustelle. Für Regisseur Patrick Wengenroth eine Metapher auf die "Baustelle Deutschland". Patrick Wengenroth:

    "Wenn man sich Berlin in den 20er-Jahren anguckt und dann heute, was alles weg ist, dann bleiben eigentlich nur diese Postkartenornamente übrig. Dadurch, dass sie durch Rigipswände dargestellt sind, bleibt nur noch eine hole, leere Nachahmung dessen, was man eigentlich hat, als historische Textur von Deutschsein."

    Niels Bormann:

    "Nürnberg, Kraterlandschaften! 3,6 Millionen zerstörte Wohnungen, Millionen Menschen obdachlos, Hundertausende durch Bombenangriffe getötet! Ich bin an einem Sarg aufgewachsen. In dem Sarg lag Deutschland!


    Während Franz Josef Wagner in nationalem Pathos schwelgt, verpasst die Wahlberliner Band "Ja Panik" dem Deutschland-Schauspiel noch eine Portion Selbstleid und Verzweiflung an den sozialen und wirtschaftlichen Verteilungskämpfen. Dreh- und Angelpunkt dieser Collage über die Nation ist übrigens der Mauerfall, der Franz Josef Wagner zu folgenden Zeilen inspirierte:

    Es ist lange her, 21 Jahre. Weinte ich in dieser Nacht? Ja! Und ich betrank mich. Die DDRler kamen, und sie kamen in Scharen!

    Kaum ausgesprochen springt Regisseur Wengenroth als "Bild"-Girl verkleidet in Deutschland-Hotpants und Pferdeschwanz auf die Bühne. Nach ein paar höchst lächerlichen Posen imitiert er mit einem Schlauch eine große Brechattacke. Ein etwas platter Kommentar auf Wagners Großmannssucht. Wengenroth:

    "Meine Deutung der deutschen Einheit ist, dass es diesen großen Moment des gemeinsamen Besäufnisses gab, und jetzt leben wir seit über 20 Jahren im Kater von dieser Veranstaltung. Das würden Ost- wie Westdeutsche glaube ich ähnlich sehen."

    Weitaus weniger spektakulär, vielmehr wohltuend hintergründig ist der zweite Teil des Abends: der Monolog Katarakt aus Rainald Goetz‘ Bühnen Trilogie "Festung". Eine genial-wirre Auseinandersetzung mit dem Ich, mit dem nahenden Tod und mit der deutschen Wiedervereinigung. Das schmutzige Pathos der Franz-Josef-Wagner-Welt wird von den lyrischen Assoziationsketten des Vieldenkers Goetz abgelöst, vorgetragen von Eva Löbau.

    "Später legt man sich dann alles so zurecht dass andererseits: dieses dauernde "man"! Wiederum andererseits, ich glaube man denkt ziemlich selten von sich selber in der Ich-Form. Sie wie manche Leute ihren eigenen Namen verwenden, um im Gespräch mit anderen sich selbst zu bezeichnen. Das wirkt irgendwie krank normalerweise."

    Wie die Inszenierung von Patrick Wengenroth das Spagat zwischen Goetz, Wagner und Ja, Panik aushält, ist nicht zu beschreiben. Jedenfalls funktioniert dieser Deutschlandabend zwischen plattem Pathos, ehrlichen Gefühlen, schlechtem Sex, jeder Menge Bier und feinen Gedanken ganz ausgezeichnet.