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Wie eine Vertreibung aus dem Paradies

Vor vier Jahren erschien das erste Buch von Katja Oskamp: ein Erzählband mit dem Titel "Halbschwimmer". Die zusammenhängenden Geschichten erzählen von einer Jugend in der DDR, in der sich die Protagonistin Tanja freistrampelt von ihren linientreuen Eltern. Nun hat Katja Oskamp den Roman "Die Staubfängerin" geschrieben. Darin begegnen wir Tanja wieder und damit auch dem schwungvollen, satirisch unterfütterten Stil der Autorin.

Von Eva Pfister |
    Die Lektüre ist atemberaubend, wahrhaftig, spätestens in der Mitte des Romans "Die Staubfängerin" muss man asthmatisch nach Luft schnappen. Kein Wunder, bei all dem aufwirbelnden Hausstaub. Denn Tanja putzt und putzt, ständig muss sie das Haus und die Möbel von Staub befreien, von Fett und von allem, was möglicherweise Keime enthalten könnte. Der Wahn kommt nicht von ungefähr, sondern vom Trauma der Frühgeburt ihrer Tochter. Tagelang darf Tanja ihr Kind nicht sehen, dann schleppt sie sich nach ihrer Kaiserschnitt-Operation endlich in die Abteilung mit den Glaskästen und sieht das winzige Wesen mit der ungesunden Hautfarbe an all den Schläuchen stecken. Nur nach ausgiebiger Desinfektion darf sie es berühren, denn - so hat es ihr der Professor eingebläut: Keime sind lebensgefährlich. Als Tanja das infektionsanfällige Kind mit nach Hause nehmen darf, wird Putzen zu ihrer Mission und schließlich zum Zwang.

    So tragisch der Fall ist, die Schilderungen von Tanjas Putzneurose schlagen uns nur deswegen so in Bann, weil sie erstens brillant geschrieben sind, und zweitens eine fesselnde Vorgeschichte haben. Denn Tanja ist zu Beginn des Buches jung, schön und locker. Als selbstbewusste Regieassistentin an einem Theater an der Ostsee hilft sie souverän ihrer neurotischen Regisseurin aus allen Krisen heraus und erlebt eine berauschende Liebesgeschichte mit dem charmanten GMD des Hauses. Dieser Generalmusikdirektor kommt aus Holland, kocht gern und hat Humor. Beim ersten Tête-à-Tête mit Mousse au Chocolat ist ihm Tanja verfallen. Verspielt und sinnlich beginnt diese Liebe, befreiend für beide Partner, die gemeinsam über ihre Familiengeschichten weinen und lachen können.

    Dann schlägt Katja Oskamp unbarmherzig dieses Kapitel zu, und erzählt dort weiter, wo die Frühgeburt die Kontrolle über das Leben gewonnen hat. Wie eine Vertreibung aus dem Paradies liest sich das, von der Leidenschaft in die Ehehölle. Alles, was vorher schön und beglückend war, kippt ins Gegenteil um: Der Genuss der gemeinsamen Mahlzeiten in fetttriefende Völlerei, der anziehend kraftvolle Körper des Dirigenten in einen schwabbeligen Kloß, das so edel-karg ausgestattete Reihenhaus in einen Haushalt, den es in erster Linie, täglich und ausführlich, zu putzen gilt.

    Dass mit den Keimen auch die Liebe ausgetrieben wird, ist vorauszusehen. Der Dirigent, der immer öfter arbeitslos ist, Edgar zieht sich in ein Gewächshaus im Garten zurück und wendet sich schönen Blumen zu; seine Kameliendame blüht viele Wochen lang. Tanja weigert sich, diese Brutstätte von Bakterien zu betreten, aber auch ihr Sauberkeitswahn kippt allmählich ins Gegenteil um: So wie Katja Oskamp das beschreibt, wird das Putzen zu einer Drecks-Orgie: die Staubfängerin verbohrt sich im Schmutz, kriecht in den Staubsauger hinein, versprüht Ketchup, nur um zu prüfen, wie weit das Fett aus der offenen Küche spritzen kann, und wühlt schließlich wie eine Besessene im Küchenabguss.

    Es folgt der Zusammenbruch, und es folgt die Flucht. Tanja packt Kind und zwei Koffer in ihren R4, sie verlässt das Haus und den holländischen Dirigenten, vom dem man nichts mehr erfährt, und beginnt in Berlin ein neues Leben. Der Ausgang des Romans kommt wie ein Happy end daher, macht einen aber nicht recht froh. Alleinerziehendes Mutterglück trumpft hier etwas zu sehr auf, und die erotischen Abenteuer mit dem älteren Fensterputzer mögen vielleicht befreiend anarchisch gemeint sein. Aber wenn man gerade ein Buch von Katja Oskamp gelesen hat, ist man auf der Hut. Dass der Fensterputzer Tanja an ihren früheren Freund, den alkoholkranken Schauspieler Karl erinnert, sind erste finstere Vorzeichen. Wenn aus diesem neuen Paradies eine ebenso brutale Vertreibung folgt, dann erwartet uns von der Autorin womöglich ein neuer Roman, in dem es noch gnadenloser zugeht.