Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Wir alle haben uns etwas vorzuwerfen"

Von den vielen möglichen Anklagepunkten gegen Altbundespräsident Christian Wulff ist nur der Vorwurf der Vorteilsnahme übrig geblieben. Trotzdem war sein Rücktritt richtig, sagt Hans Leyendecker, Journalist von der "Süddeutschen Zeitung". Allerdings habe es in den Medien einen Skandalierungsexzess gegeben.

Hans Leyendecker im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.08.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Lang war die Liste der Vorwürfe, die dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in den Medien vorgehalten wurde. Journalisten kramten immer mehr Geschichten heraus, die als Beleg dazu herhalten sollten, Wulff einen lässigen Umgang mit Geld- und Sachzuwendungen zu attestieren. Das Ende ist bekannt: Entnervt und tief getroffen trat Wulff von seinem Amt zurück. Seither war es an der Staatsanwaltschaft, die Substanz der Vorwürfe zu prüfen. Das Landgericht Hannover gab gestern bekannt, dass die Klage angenommen wird. Am 1. November soll der Prozess beginnen. Allerdings ist jetzt nicht mehr von Bestechlichkeit die Rede, sondern nur noch von Vorteilsnahme. Christian Wulffs Verteidiger zeigten sich sicher, auch diese Vorwürfe würden sich als haltlos erweisen. Bernd Müssig:

    Bernd Müssig: Nach unserer festen Überzeugung wird das Ergebnis der Hauptverhandlung ein Freispruch sein. Die Hauptverhandlung wird Herrn Bundespräsidenten a. D., Christian Wulff, rechtlich vollkommen rehabilitieren.

    Heckmann: So weit die Einschätzung des Wulff-Anwalts Bernd Müssig. Am Telefon ist jetzt Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung", Leiter des Bereichs "Investigative Recherche". Guten Morgen, Herr Leyendecker!

    Hans Leyendecker: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Leyendecker, übrig bleiben rund 750 Euro für einen Oktoberfestbesuch und der Vorwurf der Vorteilsnahme. Das ist nichts im Vergleich zu den Vorwürfen, die in den Medien erhoben wurden damals. Ist Christian Wulff also aus nichtigen Gründen zurückgetreten?

    Leyendecker: Nein, ich glaube, er hat Fehler im Amt gemacht. Er ist mit dieser Affäre nicht anständig umgegangen, er hat törichte Versuche gemacht, Fehler, die er gemacht hatte, zu vertuschen. Also das glaube ich nicht. Aber das, was wir hier haben, ist die Frage, gibt es eigentlich in Deutschland einen Prominenten-Malus? Wir kannten bisher immer den Prominentenbonus. Und da kann man ein Stückchen sagen, ja, es gibt ihn. Es hat in den Medien einen Skandalisierungsexzess gegeben und es hat Ermittlungen gegeben, wie man sie selten erlebt hat. Also gerade, um darzulegen, dass man die da oben nicht schützt, sondern denen mit allen Mitteln nachsteigt, insbesondere das Landeskriminalamt Niedersachsen Herrn Wulff nachgestiegen auf eine Weise, die man so in Akten kaum bisher gesehen hat. Und da war ein Ermittlungsexzess. Und jetzt haben wir was ganz Spannendes vor uns: Wir haben reduzierte Anklagen, das Gericht sagt pari pari, wissen wir nicht, ob verurteilt wird oder freigesprochen. Und wir werden am Ende erleben, dass beide Seiten auf einen totalen Sieg setzen. Die Staatsanwaltschaft, die sich überzeugt gibt, zu gewinnen, und Herr Wulff auch, der mit Herrn Groenewold angeklagt ist, einem Filmproduzenten, der auch den totalen Sieg unbedingt möchte …

    Heckmann: Ja, da werden wir noch mal drauf eingehen, später auch, wie die ganze Sache wohl möglicherweise ausgehen wird, Herr Leyendecker. Sie sprechen von einem Exzess, und, bezogen auf die Medien, auch auf die Staatsanwaltschaft - blicken wir mal auf die Medien. Manche haben da ja auch eine Hatz gesehen auf Christian Wulff. Haben die Medien also übertrieben, und haben auch Sie sich was vorzuwerfen?

    Leyendecker: Ja. Ich glaube, wir alle, die an diesem Stück beteiligt waren, haben uns im Nachhinein etwas vorzuwerfen. Medien versuchen heute zu erklären, ja, es ging ja nie um strafrechtliche Dinge, sondern um moralische Dinge. Aber wenn man mal schaut, womit die Staatsanwaltschaft begonnen hat, und das waren 21 Punkte und Unterpunkte, von denen ist in Wirklichkeit einer übrig geblieben. Da haben Medien erheblich dazu beigetragen, Klima zu schaffen, dass man meint, hier sei ein Oberganove, dem man nachstellen müsse. Und da haben wir alle zu irgendeinem Zeitpunkt die Balance verloren. Die Schwierigkeit ist hier, das wieder einzuholen, zu sagen, was haben wir eigentlich da gemacht?

    Heckmann: Wie ist das zu erklären, dass da die Balance so verloren geht?

    Leyendecker: Es gibt zum einen - das gibt es in unterschiedlichen Bereichen: Rattenrennen. Das heißt, wer hat die exklusive Geschichte, wer ist mit irgendetwas vorn. Das hat sich durch die Vielzahl der Medien, auch durch ökonomischen Druck, den es in unterschiedlichen Verlagen gibt - man will irgendwie vorne sein mit was auch immer. Das war in dieser Geschichte so, und es hat in dieser Geschichte auch, ja, auch Quellen gegeben, die unendlich interessiert waren daran, dass bestimmte Dinge aus den Ermittlungsakten ständig präsentiert wurden, die Wulff belasteten. Das hat es gegeben. Und Medien haben da mitgemacht. Da muss man manchmal auch zurücktreten und sagen, diese Quelle ist nicht so sauber, dass ich einfach das Material nehmen kann, ohne dann infrage zu stellen, dass das in Ordnung ist.

    Heckmann: Sie haben auch den Ermittlern einen Exzess vorgeworfen. Aber ist es nicht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, Vorwürfe, die auf dem Tisch liegen, zu prüfen, denen nachzugehen?

    Leyendecker: Auf jeden Fall ist das die Aufgabe. Aber wenn wir schauen, dass es Ermittlungen gegeben hat, wo eine Frau, die Maniküre bei Frau Bettina Wulff machte, gefragt wurde, ob sie den Wulffs Weihnachtsgeschenke gemacht habe. Oder wo untersucht wurde, wo er sein Bargeld trug, in der Tasche links oder rechts. Oder wann er wo was abgehoben hat oder wie er den Strandkorb bezahlt hat. Der kostet fünf bis acht Euro am Tag, in Weiße Düne war das irgendwo. Das sind schon Dinge, die sehr ungewöhnlich sind. Also wir haben 20.000 Seiten in diesem Verfahren, und wenn Sie sich jetzt anschauen, da gab es sogar Personenschützer, die gesagt haben, das geht doch gar nicht mehr, was hier auch alles gefragt wird im Nachhinein. Es gibt doch hier auch gewissermaßen auch einen Schutz der Person noch. Also wenn man die Zeugenaussagen liest, da sind ja 100 Zeugen vernommen worden - so was hat es in dieser Größenordnung bei einem ähnlichen Sachverhalt noch nicht gegeben.

    Heckmann: Woran liegt das denn, Herr Leyendecker, dass eine Staatsanwaltschaft sich da so verbeißt? Spielt da auch eine Rolle, dass man da auch am Ende recht behalten will? Ist das so ein Prozess, so ein dynamischer Prozess, der da in Gang kommt?

    Leyendecker: Also, es ist in diesem Falle mehr das Landeskriminalamt Niedersachsen gewesen. Das sind Korruptionsermittler, und Korruptionsermittler sehen Korruption. Das ist so und ich glaube, es gab am Anfang die große Sorge, wir haben das jetzt alles ausgelöst, wir haben den Rücktritt ausgelöst, und wir dürfen auf keinen Fall den Verdacht aufkommen lassen, dass die da oben besser wegkommen. Das ist ja das, was so an Stammtischen immer gesagt wird, die da oben, die kommen schon irgendwie raus. Und ich glaube, diese Sorge hat die zunächst getrieben, die Kriminalbeamten. Und dann, sicherlich, gab es irgendwo so einen Jagdeifer, dass man auch jeder winzigen Spur nachstieg und noch mal versuchte und noch mal versuchte, um zu irgendeinem Ergebnis zu kommen, um dann bei 753 Euro und 90 Cent zu landen.

    Heckmann: Herr Leyendecker, am 1. November also beginnt der Prozess gegen Christian Wulff aller Voraussicht nach. Sie haben gerade gesagt, beide Seiten setzen auf Sieg. Welche Chancen hat denn Christian Wulff auf einen Freispruch?

    Leyendecker: Beide Seiten sagen jetzt, sie wollen keine Einstellung gegen Geldauflage haben. Ich bin mir nicht ganz so sicher. Was passiert, wenn die Staatsanwaltschaft sagt, wir gehen auf einen Einstelligen - wenn das Gericht sagt, wir bieten an, Einstellung des Verfahrens gegen, bisher geht es bei Wulff um 20.000 Euro, sagen wir, 4000 Euro, 3000 Euro, um auch sichtbar zu machen, da war eigentlich nichts. Wird man dann 16 Verhandlungstage machen oder wird man es dann akzeptieren. Also beide Seiten sagen jetzt: Nein, wir ziehen da rein. In solchen Fällen ist auch bei geringen Summen, das zeigt die Erfahrung, es häufig so, dass ein Freispruch, den Wulff anstrebt, kaum zu erreichen ist, auch wenn die Anklage deutlich reduziert wurde. Am Ende könnte irgendwas bleiben, also wenn er auf den totalen Sieg setzt. Aus seiner Sicht ist er ja weit gekommen jetzt, wenn man die anfänglichen Vorwürfe sieht und das Ergebnis, das wir derzeit haben, glaube ich dennoch, dass ein Freispruch am Ende nicht erfolgen wird.

    Heckmann: Hans Leyendecker war das von der "Süddeutschen Zeitung", wir haben gesprochen über den anstehenden Prozess gegen Altbundespräsident Christian Wulff. Herr Leyendecker, danke Ihnen für das Gespräch!

    Leyendecker: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.