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"Wir brauchen also zusätzliche Einwanderung"

Die EU sei zu starken Teilen auf Einwanderung begründet, sagt Anna Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Inneres. In Europa mache sich Zuwanderung im Bereich der Kultur und Wirtschaft als Bereicherung bemerkbar. Die Aufnahme von Einwanderern bestimmten jedoch die einzelnen Länder.

Anna Cecilia Malmström im Gespräch mit Peter Kapern | 28.05.2013
    Peter Kapern: Noch ein Gipfeltreffen im Kanzleramt: Für heute hat Kanzlerin Angela Merkel zum Integrationsgipfel geladen, bei dem alle Akteure eine Zwischenbilanz eines nationalen Aktionsplans ziehen sollen. Der war aufgestellt worden, weil in Sachen Integration vieles im Argen lag. Wir brauchen eine Willkommenskultur, sagt die für Integrationsfragen zuständige Staatsministerin Böhmer, und das klingt durchaus plausibel, wenn die Integration von Migranten tatsächlich helfen, soll bei der Bewältigung des demografischen Wandels. Vor der Sendung habe ich mit Anna Cecilia Malmström gesprochen, der EU-Kommissarin, die für die Migrations- und Integrationspolitik zuständig ist. Sie stammt aus Schweden, also aus jenem Land, das mal als Vorbild in Sachen Integration galt, in dem aber kürzlich nächtelang junge Migranten wegen ihrer hoffnungslosen Situation randalierten. Ob das ein Beleg dafür sei, dass Europa mit der Zuwanderung überfordert ist, das habe ich sie dabei zuerst gefragt.

    Anna Cecilia Malmström: Um die Gründe auszuwerten, dafür ist es noch zu früh. Schweden hat wie andere Länder bestimmte Gegenden, in denen sich die Arbeitslosigkeit ballt, in denen der Unmut sich aufstaut, dann braucht es häufig nur einen Auslöser, und schon brechen Unruhen aus. In diesem Fall war es das Vorgehen eines Polizisten gegen einen Menschen aus einem solchen benachteiligten Gebiet – dann eskalierte die Situation, Menschen kamen aus dem ganzen Land hinzu und nahmen an diesen Protesten teil, die Gewalt erhöhte sich und die Protestierenden zogen ebenfalls hinzu. Um das Ganze auch zu beruhigen, es wäre also jetzt zu einfach, hier schon Schlüsse zu ziehen, wir brauchen noch Zeit zur Auswertung.

    Kapern: Warum braucht Europa, wie Sie immer wieder betonen, ein so hohes Maß an Immigration?

    Malmström: Über das Ausmaß der Einwanderung möchte ich mich hier nicht äußern, die EU ist aber zu starken Teilen auf Einwanderung begründet. In Europa sehen wir das im Bereich der Kultur, der Wirtschaft, in der Innovationskraft erfahren wir Bereicherung durch die Zuwanderung – wir lesen ja heute auch in einem großen Artikel in der "Financial Times", dass Europa zusätzliche Zuwanderung braucht, allein schon deswegen, weil die Demografie uns dazu zwingt. Wir finden oft nicht die richtigen Menschen für die richtigen Fähigkeiten, und das auch zu Zeiten hoher Beschäftigung, wir brauchen also zusätzliche Einwanderung. Die Höhe der Einwanderung und wie das dann geregelt wird, das liegt selbstverständlich bei den einzelnen Ländern.

    Kapern: Aber wie überzeugt man die Europäer davon, dass diese Immigration notwendig ist? Schließlich gibt es dagegen viele Vorbehalte, die man ja nicht einfach nur mit dem Schlagwort der Fremdenfeindlichkeit abtun kann.

    Malmström: In der Tat, wir müssen ganz offen darüber sprechen, wir müssen die Herausforderung, die Schwierigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben ergeben, angehen, wir müssen über Integrationspolitik sprechen. Die führenden Köpfe in der Politik, im Geschäftsleben müssen auch sich starkmachen dafür, dass wir diese Integration bewältigen. Wir könnten ja nur einmal mit dem Gedanken spielen, dass in Deutschland alle Menschen mit Migrationshintergrund einen Streik anfingen, dann würde kein Bus fahren, kein Krankenhaus könnte funktionieren, es gäbe keinerlei soziale Dienstleistungen.

    Kapern: Was sagen sie denn den Europäern, die auf die schwierige wirtschaftliche Lage mit Massenarbeitslosigkeit in vielen EU-Ländern hinweisen und sagen, dass die Zuwanderung gerade jetzt nicht gebraucht wird?

    Malmström: Wir müssen in der Tat alles tun, um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, um Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, die europäischen Länder brauchen das in der Zukunft. Paradoxerweise entsteht aber gerade jetzt ein neuer Bedarf an Zuwanderung. Wir brauchen Ingenieure, wir brauchen Krankenschwestern, wir brauchen Ärzte, wir brauchen IT-Fachkräfte. Sprechen Sie mit Menschen aus der Wirtschaft, die werden Ihnen bestätigen, dass wir Hunderttausende von neuen Zuwanderern brauchen, diese Zuwanderung schafft ja auch Innovation, sie erzeugt Wachstum. Diese Menschen zahlen dann auch Steuern, das muss man wirklich ansprechen, unsere politischen Meinungsbildner müssen das klar benennen und Chancen erörtern.

    Kapern: Sie haben eben das Stichwort der Integrationspolitik genannt. In einer Rede haben Sie kürzlich gesagt, einige Länder der EU seien, was die Integration angeht, besser als andere. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Versäumnisse?

    Malmström: Ich glaube, alle Länder haben Probleme mit der Integration, es liegt aber nicht an Brüssel, hier jetzt Ratschläge zu erteilen. Integration funktioniert am besten auf der örtlichen Ebene, wo man zusammenlebt, wo man arbeitet, wo die Zivilgesellschaft sich zusammenfindet. Wir wissen eines, dass nämlich der Zugang zum Arbeitsmarkt, die Sprache und auch die Möglichkeit einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft entscheidende Elemente sind, die vielleicht nicht ausreichen. Wir versuchen bestmögliche Beispiele zu liefern, Hinweise und Austausch, aber das entscheidende Geschäft läuft auf der lokalen Ebene.

    Kapern: Was müsste Deutschland besser machen?

    Malmström: Deutschland ist in diesem Bereich schon ganz gut unterwegs, wie in jedem anderen Land kann man das eine oder andere sicherlich verbessern, für mich wäre es aber schwer, jetzt hier irgendwelche Ratschläge zu geben. Ich weiß, dass viele deutsche Lokal- und Kommunalpolitiker Erfahrungen austauschen und sich auf gemeindlicher Ebene treffen, und dass sie einfach voneinander lernen und beste Erfahrungen austauschen.

    Kapern: So zurückhaltend wie Sie sind EU-Kommissare ja nur selten, wenn es darum geht, den Politikern in den Mitgliedstaaten Ratschläge zu erteilen. Können Sie uns nicht doch etwas erläutern, in welchen Bereichen Sie sich insbesondere Fortschritte wünschen?

    Malmström: Nein, es steht mir nicht zu, der deutschen Regierung irgendwie hier dreinzureden. Die Europäische Union kann sicherlich Erfahrungen austauschen, sie kann Plattformen anbieten, um bestimmte Möglichkeiten bekannter zu machen, aber grundsätzlich hat die Europäische Union keinerlei Zuständigkeit im Bereich der Integration.

    Kapern: Warum hat die EU immer noch keine einheitlichen Regeln für den Zuzug und die Integration von Immigranten?

    Malmström: Nun, es würde nicht allzu viel Sinn ergeben, ein einheitliches Regelwerk für die Integration zu haben, dazu sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern viel zu groß. Übrigens haben die Mitgliedsstaaten der EU auch beschlossen, dass im Bereich der Integration die EU keinerlei Gesetzgebungskompetenz haben soll.

    Kapern: Warum sollte es in diesem Bereich denn keine Minimalstandards geben, wie es die in vielen anderen europäischen Politikfeldern gibt?

    Malmström: Worin die EU gut ist, das ist, Plattformen zu schaffen, um Erfahrungen auszutauschen. In einzelnen Fragen aber ist es nicht besonders angezeigt, jetzt eine harmonisierte Regelgesetzgebung herzustellen. Das ist nicht immer die beste Lösung. Man sollte hier mehr auf die untere, die lokale Ebene sich stützen, ohne sich allzu sehr von Brüssel her einzumischen.

    Kapern: Wäre es nicht besser, wenn in diesem Bereich die Mitgliedsstaaten bereit wären, auf die Ausübung von Hoheitsrechten zumindest teilweise zu verzichten?

    Malmström: Nein, wie ich schon gesagt habe, ich meine, dass die Integration am besten auf kommunaler Ebene funktioniert. Da müssen die Leute zusammenleben und da müssen sie sich integrieren, es gibt keinen besseren Weg, das dann etwa auf Brüsseler Ebene gemeinschaftlich regeln zu wollen.

    Kapern: Die EU-Kommissarin Anna Cecilia Malmström heute früh im Deutschlandfunk. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.