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"Wir haben diesem Druck standzuhalten"

Kontakte mit Politikern sind die Grundlage der Arbeit von Journalisten, sagt DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien mit Blick auf die Affäre um CSU-Sprecher Strepp. Allerdings müssten die Spielregeln eingehalten werden. In Gremien, die öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrollieren, sei Staatsferne entscheidend.

Birgit Wentzien im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Ein Parteisprecher ruft bei einem Fernsehsender an, um einen Bericht zu verhindern. Es ist eine Geschichte, die den CSU-Sprecher Michael Strepp gestern seinen Job gekostet hat. Aber wie üblich ist diese Praxis tatsächlich? Wie viel Druck versuchen Politiker auf die Medien, vor allem auf die öffentlich-rechtlichen Sender zu nehmen? - Bei mir im Studio ist jetzt Birgit Wentzien, Chefredakteurin hier bei uns, beim Deutschlandfunk. Erst mal guten Morgen, Frau Wentzien.

    Birgit Wentzien: Guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Armbrüster: Frau Wentzien, wie oft hat die CSU schon bei Ihnen angerufen im Büro?

    Wentzien: Ich bin Ansprechpartnerin. Ich habe ein Handy, Herr Armbrüster, und das klingelt, und wenn das nicht der Fall wäre, wäre ich, glaube ich, auch nicht richtig auf diesem Posten. Kontakte sind die Grundlage unserer Arbeit, allerdings ganz klar mit glasklaren Spielregeln belegt. Das Ganze ist ein Geschäft auf Augenhöhe und ein Austausch in Anständigkeit, so würde ich es mal formulieren. Die CSU hat mich in diesen Tagen nicht angerufen, ich habe Ihre Frage wohl verstanden.

    Armbrüster: Wie oft passiert es denn, dass ein Politiker bei Ihnen anruft und sagt, können Sie nicht den Bericht mal rausnehmen oder dieses Thema ein bisschen mehr hochziehen?

    Wentzien: Herr Armbrüster, das Geschäft auf Gegenseitigkeit ist auch eines mit einer Riesenportion Vertrauen, und von daher bin ich dafür da, dass Sie hier gute Fragen stellen können und vernünftig gebrieft sind und gestellt für diesen Job, und ich bin dafür da, auch von Ihnen so manche Petitesse entfernt und fernzuhalten. Ich lasse Sie jetzt nicht in meine Mailbox hineingucken, überhaupt nicht, kommt gar nicht in die Tüte. Ich sage Ihnen aber, dass das, was Sie beschrieben haben, uns durchaus bekannt ist. Das sind Phänomene, die passieren. Nur es gehören immer zwei dazu, nämlich einer, der es versucht, auf der einen Seite und ein anderer, der dem nachgibt. Ich glaube, wir hier, verantwortlich an wichtiger Stelle im Deutschlandfunk, der Intendant, der Programmdirektor, die Chefredakteurin, wir haben diesem Druck standzuhalten, und das mit voller Kraft.

    Armbrüster: Das heißt, dann können wir festhalten: Diese Anrufe gibt es tatsächlich, die finden statt, die Politiker melden sich bei Ihnen, versuchen, etwas zu sagen, aber Sie geben das nicht weiter an die Redaktionen?

    Wentzien: Sie fragen nach konkreten Beispielen. Gut, vielleicht eines, ein kleines: Es gibt durchaus Versuche, sagen wir mal, der vermeintlichen Erpressung, so nach dem Motto: Ich komme zum Interview und hätte dann gerne diese und jene Frage nicht. Und das kommt gar nicht infrage, das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Das gibt es und das abzuwehren und am allerbesten gar nicht unbedingt öffentlich zu machen, so öffentlich, dass es den Arbeitsalltag nicht trübt, den journalistischen Arbeitsalltag mit Haltung hier im Haus, das ist mein Ding.

    Armbrüster: Nun sind wir hier, Frau Wentzien, in einem öffentlich-rechtlichen Sender. Das heißt, es gibt noch wesentlich mehr Kanäle für die Politiker, Einfluss zu nehmen, unter anderem über die viel beschriebenen Gremien, über Verwaltungsrat, Hörfunkrat. Da sitzen natürlich auch jede Menge Politiker drin. Wie machen die Ihre Interessen bei Ihnen deutlich?

    Wentzien: Lassen Sie mich noch eine Geschichte kurz vorwegschicken, die wollte ich auch unbedingt unterbringen, wenn ich hier bei Ihnen bin. Politik ist ein Geschäft, ein Handwerk, das man lernen kann, und es ist ein vernünftiges Handwerk. Es geht um Macht, es geht um Verantwortung. Und ich bin jemand, der diesen Apparat Politik sehr lange auch schon begleiten durfte und jetzt hier an anderer Stelle quasi auch mittendrin als Scharnier sitze, und ich achte diesen Apparat. Und die Mehrzahl der Politiker versteht ihr Handwerk und weiß ganz genau, dass es mit uns, mit professionellen Arbeitern auf der anderen Seite der Theke zu tun hat.

    Sie fragen nach den Gremien. Das sind unsere Kontrolleure, das ist quasi unsere Aufsicht, wenn man so will. Wir sind ein volkseigener Betrieb, wir sind von unseren Gebührenzahlern finanziert für unsere Professionalität, und wir haben uns dieser Kontrolle zu unterziehen. Und hinter verschlossenen Türen, in den Sitzungen mit den Aufsichtsgremien, mit den Gremien und mit den Vertretern dort von Gewerkschaften, von Kirchen, von Parteien, wird gestritten, wird aufmerksam gemacht, wird um Inhalte auch gerungen und wird durchaus mal, ja, auch gewogen, war das jetzt in der Vergangenheit zu einem bestimmten Punkt alles richtig. Aber das passiert in einem Austausch, den ich handwerklich sauber beschreiben würde und wo ich immer weiß, woher die andere Seite kommt: mit offenem Visier.

    Armbrüster: Aber diese Gremien entscheiden auch über die Besetzung von Spitzenjobs hier im Haus?

    Wentzien: Das kann ich für meinen Job jetzt nicht sagen. Ich fühle mich als jemand hier bei Ihnen berufen, voller Stolz auf einem verantwortungsvollen Posten, und ich führe das auf meine Erfahrung zurück, die ich als Journalistin mitgebracht habe in dieses Haus hinein. Das ist meine Generation, die quasi gefordert ist, und ich glaube, wenn wir ganz kurz zurückschauen: Es war früher anders. Früher gab es vor allen Dingen auch in Bonn einen höheren Austausch. Da gab es mehr Journalisten, die auch mal die Seite gewechselt haben und dann wieder zurückgekehrt sind in den Journalismus, mehr Journalisten, die auch öfter mal Partei- und Sprecherposten übernommen haben. Wir haben inzwischen, glaube ich, eine veränderte Zeit, eine ja weniger ideologiegetrübte Zeit, denke ich, auch eine sachlichere Zeit, eine schnellere Zeit durchaus auch, und eine Zeit, die eine andere Generation von Journalisten auch hervorgebracht hat, und ich denke mal, das ist dem Inhalt und dem Austausch nur zuträglich.

    Armbrüster: Frau Wentzien, wir haben noch ungefähr eine Minute. Ich will noch mal auf die Gremien zurückkommen. Die Diskussion um die Zusammensetzung in den Gremien, die geht ja schon seit einiger Zeit voran, nicht nur hier bei uns im Haus, sondern gerade auch beim ZDF, auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich damit. Gibt es von Ihnen so einen Gedanken, dass man vielleicht an der Zusammensetzung dort etwas ändern sollte?

    Wentzien: Ja! Gute Ideen, glaube ich, sind überall zu gebrauchen. Wir warten auf Karlsruhe. Karlsruhe wird über die Zusammensetzung der Gremien entscheiden. Es war der Hintergrund ja die ZDF-Genese des dortigen Gremiums Verwaltungsrat. Für mich ist entscheidend - vielleicht wäre das eine Idee, muss man mal gucken, wo man es hineintut, in welchen Kanal, ich brauche auch noch mal eine Handynummer, vielleicht sprechen wir gleich mal darüber -, für mich wäre eine Idee, Staatsferne und Politikferne zu trennen. Ich bin ein Achter der Politik als Handwerk hier im Land. Die sind für uns da, die organisieren Gemeinwohl und Interessenausgleich. Ich bin, glaube ich, jemand, der aber durchaus begründen kann - und da warte ich jetzt auf weitere Anrufe -, dass Staatsferne entscheidend ist in Gremien, die öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrollieren, und das, meine ich, könnte auch für das ZDF und alle anderen Anstalten ein Muster mit Wert sein.

    Armbrüster: Das würde heißen, Politiker ja in den Gremien, aber nicht solche, die ein Spitzenamt innehaben?

    Wentzien: Konkretes Beispiel: Ole von Beust wurde Regierender Bürgermeister von Hamburg, hat sich aus dem Gremium, dem Aufsichtsgremium, dem Kontrollgremium des NDRs zurückgezogen.

    Armbrüster: Birgit Wentzien, Chefredakteurin hier bei uns im Haus, im Deutschlandfunk - vielen Dank, dass Sie sich heute Morgen die Zeit genommen haben.


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