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"Wir haben uns mit Nebensächlichkeiten aufgehalten"

"Richtig ist, dass wir einen Start der Bundesregierung hatten, der für viele enttäuschend war" - Christian Lindner macht die Arbeit von Schwarz-Gelb auf Bundesebene für die schlechten NRW-Zahlen mitverantwortlich.

10.05.2010
    Friedbert Meurer: Wir mussten bis tief in die Nacht hinein warten, um zu wissen, wie ist die Wahl von Nordrhein-Westfalen überhaupt ausgegangen, und das vorläufige amtliche Endergebnis stellt uns vor einige Rätsel. Nämlich: CDU und SPD liegen gleichauf, die CDU hauchdünn vorne mit 34,6, die SPD 0,1 weniger, nämlich 34,5 Prozent. Schwarz-Grün hat keine Mehrheit, Rot-Grün hat keine Mehrheit, eines ist nur sicher: Schwarz-Gelb, die bisherige Landesregierung in Düsseldorf, ist abgewählt. Dazu meinte gestern Abend FDP-Chef Guido Westerwelle:

    O-Ton Guido Westerwelle: Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht. Das ist ein Warnschuss, natürlich auch für die Regierungsparteien, und die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen, er ist auch gehört worden. Wir müssen uns anstrengen, das verloren gegangene Vertrauen durch harte und gute Arbeit zurückzugewinnen. Das ist jetzt unsere Aufgabe.

    Meurer: So weit Guido Westerwelle gestern Abend zum doch enttäuschenden Abschneiden für die FDP. Nur wenig mehr als beim letzten Mal 2005 erreicht die Partei, jetzt 6,7 Prozent. Westerwelle und Landeschef Pinkwart hatten als Ziel ausgegeben 10 Prozent plus X. – Am Telefon in Berlin begrüße ich Christian Lindner, den neuen FDP-Generalsekretär. Guten Morgen, Herr Lindner.

    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: 14,9 Prozent waren es in Nordrhein-Westfalen für die FDP gewesen bei der Bundestagswahl im September. Was ist in diesem halben Jahr passiert?

    Lindner: Na ja, ich nehme als Referenzpunkt die letzte Landtagswahl. Bundestagswahlen haben eigene Gesetze und sind mindestens für die FDP vom Mobilisierungseffekt nicht vergleichbar. Aber richtig ist, dass wir einen Start der Bundesregierung hatten, der für viele enttäuschend war. Wir haben uns zu lange auch mit inneren Findungsprozessen aufgehalten, zu lange nicht über das gesprochen, was wir gemeinsam auch als Projekt haben, nämlich die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft. Wir sehen in diesen Tagen an der Euro-Krise, wie wichtig solides Haushalten ist, wie wichtig es ist, eine Volkswirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Darüber haben wir zu lange nicht gesprochen, und das hat sich seit einigen Wochen geändert, allerdings zu spät für diesen Landtagswahltermin.

    Meurer: Das heißt, das Abwarten, Zögern, keine Reformpolitik angehen in Berlin, das war die Ursache auch für das schlechte Abschneiden der FDP?

    Lindner: Wir haben hier als Koalition in Berlin lange keine geschlossene Handlungsfähigkeit gezeigt. Wir haben uns mit Nebensächlichkeiten aufgehalten und konnten auch der Opposition gestatten, den Blick auf Oberflächliches zu lenken. Schauen Sie mal, die SPD hat bei den großen Fragen, die unser Land jetzt bewegen, wie kommen wir zu Wachstum und Beschäftigung, wie sichern wir die Qualität im Gesundheitswesen, auch die Euro-Krise, nur mit Nein für sich geworben, Nein zu diesem Plan, Nein zu jenem Plan, hat damit aber offensichtlich auch manche Menschen ansprechen können.

    Meurer: Sie hätten Ja gesagt beim Euro, wenn die FDP mitgezogen hätte.

    Lindner: Das ist nicht ganz richtig. Wir haben im Deutschen Bundestag am vergangenen Freitag der SPD ja das Angebot gemacht, in Deutschland eine Steuer einzuführen auf die Gehälter von Bankern und auf die Gewinne von Banken. Die SPD hat sich aber versteift auf ein Instrument, nämlich diese sogenannte Finanztransaktionssteuer, die die Umsätze besteuern soll. Das Ergebnis ist allerdings, so sagt der IWF, dass diese Steuer dann durchgereicht werden würde an die Sparer und Anleger. Wir wollen Gehälter und Gewinne besteuern. Also es ist ein Instrument, über das Regierung und SPD uneins waren, und die SPD hat das genutzt, um den Eindruck zu erwecken, sie sei die einzige Partei, die die Finanzmärkte regulieren wollte.

    Meurer: Wir haben jetzt in der Nacht die Entscheidung, Herr Lindner, der EU-Finanzminister, es wird alles in allem ein Paket angeboten aus Krediten, Garantien von EU und IWF, über die unvorstellbar hohe Summe von 750 Milliarden Euro. Davon können auf Deutschland zukommen noch mal mehr als 100 Milliarden, zu den 22 dazu. Können Sie Steuersenkungen damit abschreiben für die nächsten zwei, drei Jahre?

    Lindner: Das ist nicht das Thema, das mich heute und das uns heute vor allen Dingen beschäftigt. Wir haben jetzt eine akute Krise abzuwehren. Hier läuft ein Spekulations-Tsunami auf den Euro-Raum zu. Diese Welle muss jetzt gebrochen werden, deshalb gibt es diesen Keil, den der Euro-Raum gemeinsam jetzt geformt hat. Wir werden sehen, ob und inwieweit er jetzt auch zur Stabilisierung beiträgt. Die Experten sagen, das sei die Größenordnung, die man braucht als Ultima Ratio. Wir haben beim Bankenrettungspaket im vergangenen Jahr ja gesehen, dass man hohe Garantien aussprechen konnte und dass das die Märkte beruhigt hat. Im Ergebnis mussten dann die Garantien nicht in der ausgelobten Größenordnung gezogen werden. Wir wollen uns jetzt mal darauf konzentrieren, den Euro zu stabilisieren.
    Dann müssen wir aber auch über Konsequenzen reden: Wie wird der europäische Stabilitätspakt wieder gestärkt? Sie sind gleich mit Hans Eichel im Gespräch. Hans Eichel hat 2005 gesagt, bei der Aufweichung des Stabilitätspakts, den er mit der SPD betrieben hat, jetzt hätten in Brüssel nicht mehr die Rechenschieber und Juristen das Sagen. Das hat mit zu dieser Krise beigetragen. Also: Stabilitätspakt erneuern und Finanzmärkte regulieren, das sind jetzt die Themen der nächsten Monate.

    Meurer: Nur gibt es bei der Europa-FDP mittlerweile – Hans-Dietrich Genscher als ihr Ehrenvorsitzender - so etwas wie einen Europa-Populismus, wenn sie beispielsweise sagen, die EU soll keine Transferunion sein.

    Lindner: Das hat nichts mit Europapopulismus zu tun. Wir sind die Europapartei. Wir haben uns auch im Deutschen Bundestag in den vergangenen Wochen bei den schwierigen Entscheidungen im Euro-Raum immer klar dazu bekannt, dass die Integrität der Europäischen Union gesichert werden muss, dass wir unsere Gemeinschaftswährung verteidigen wollen. Wir haben auch als Deutsche ja sehr davon profitiert und wollen als exportorientierte Nation auch zukünftig wieder vom Euro profitieren. Aber allen Europäern, allen guten Europäern ist klar, dass wir Europa nicht überdehnen dürfen, dass wir nicht zu einer sogenannten Transferunion werden dürfen, wo die Unterschiede in der Finanzkraft ausgeglichen werden. Eine solche Transferunion würde Instrumente wie den Länderfinanzausgleich, mit dem wir in Deutschland schon schlechte Erfahrungen gemacht haben, auf die europäische Ebene übertragen. Das kostet Akzeptanz und ist am Ende des Tages auch ineffizient. Deshalb brauchen wir ein starkes Europa, aber eben auch mit starken Einzelstaaten, die souverän sind in ihrer Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik.

    Meurer: Ich spreche mit FDP-Generalsekretär Christian Lindner. – Herr Lindner, die Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb ist seit gestern verloren. Ist die FDP jetzt faktisch in Berlin mit ihren Reformvorstellungen eingemauert?

    Lindner: Es wird bei manchem Vorhaben schwieriger werden, das ist völlig klar. Bei den Gesetzen, die Bundestag und Bundesrat gemeinsam beschließen müssen, werden wir uns jetzt um Kompromisslösungen vielfach bemühen müssen, müssen Länder davon überzeugen. Ich will mal so halb im Spaß, halb im Ernst hinzufügen, dass auch, als wir bis vor wenigen Tagen eine klare Bundesratsmehrheit hatten, da manches Vorhaben schwierig war, mit den Unions-Ministerpräsidenten zu vereinbaren. Insofern wird die Komplexität größer, aber es war auch vorher nicht einfach. So ist das eben im Bundesstaat. Da haben Länder Interessen, da hat der Bund Interessen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass aus der Länderkammer keine Parteienkammer wird, dass also nicht hier eine Blockadepolitik betrieben wird, die in der Lage, in der unser Land ist, schädlich wäre.

    Meurer: FDP-Generalsekretär Christian Lindner heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Lindner, danke schön und auf Wiederhören.

    Lindner: Auf Wiederhören, Herr Meurer.