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"Wir machen hier keine Designerbabys"

Bei dieser Abstimmung heute im Deutschen Bundestag sind die Abgeordneten ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet: Es geht um die Frage, ob die Präimplantationsdiagnostik erlaubt werden oder verboten bleiben soll. Woanders tut man sich mit der PID nicht so schwer - in Belgien ist sie längst Alltag.

Von Doris Simon |
    Trotz PID: Nur jede vierte Frau bekommt dann auch ein Baby.
    Trotz PID: Nur jede vierte Frau bekommt dann auch ein Baby. (Jan-Martin Altgeld)
    Professor Paul Devroye und seine Kollegen gehören zur Weltspitze bei der Präimplantationsdiagnostik PID. Zehntausende von Frauen und Männern haben über die Jahre die schwarz-weißen Babybilder im Wartesaal angeschaut, haben ängstlich oder verzweifelt auf den Stühlen im engen Büro von Professor Devroye Platz genommen - voller Hoffnung, dass der kleine, grauhaarige Mann ihnen zu einem gesunden Kind verhilft. Ein Kind, bei dem nicht die gefährliche Krankheit zum Ausbruch kommt, die Mutter oder Vater auf den Erbanlagen tragen, ein Kind, das nicht schon im Mutterleib stirbt oder nur ein kurzes Leben voller Leid vor sich hat. Der belgische Spitzenmediziner war bereits mehrfach zu Anhörungen zur Präimplantationsdiagnostik im Bundestag geladen, er kennt die Vorbehalte der PID-Gegner gut.

    "Wir machen hier keine Designerbabys mit blauen Augen und roten Haaren, das ist kompletter Unsinn, schon weil die Erbanlagen dafür auf unterschiedlichen Genen liegen. Hier treffen Menschen in einer Stresssituation die schwierige Entscheidung für eine Invitro-Befruchtung, damit der Embryo einer Präimplantationsdiagnostik unterzogen werden kann wegen einer schweren Krankheit. Das passiert hier. Was Leute sich so alles denken, ist glasklar Unsinn."

    Bei der PID werden zuerst Samen und Eizellen in der Petrischale zusammengebracht. Sieben bis acht Embryos entstehen, die die Ärzte am Centrum voor Reproduktieve Geneeskunde nach drei Tagen auf den genetischen Defekt von Mutter oder Vater überprüfen, und auch auf weitere schwere Krankheiten. Professor Paul Devroye:

    "Dabei entnimmt man dem Embryo eine Zelle und untersucht diese beispielsweise auf eine schwere Muskelerkrankung, die es in der Familie gibt. Gibt es nach einer Befruchtung im Reagenzglas acht Embryos, und vier haben die Krankheit und vier nicht, dann setzt man der Frau einen Embryo ein, der die Krankheit nicht aufweist."

    In Belgien übernimmt die Krankenkasse die Kosten für die Präimplantationsdiagnostik. Bei ausländische Paare können die Kosten für PID und die dazugehörige künstliche Befruchtung leicht 10.000 Euro betragen. Deutsche Krankenkassen bezahlen keine PID-Behandlung in Belgien. Die Psychologin Julie Nekkebroek berät am Brüsseler Universitätskrankenhaus Paare, die hoffen, dass sich mit der Präimplantationsdiagnostik endlich ihr Kinderwunsch erfüllt. Die Geschichten ähneln sich: jahrelange Versuche, ein Kind zu bekommen, die Angst, dass auch das zweite Kind wieder schwerkrank wird wie das erste. Manche Frauen haben wieder und wieder ihre Kinder während der Schwangerschaft oder bei der Geburt verloren. Die deutschen Patientinnen seien im Gespräch oft besonders zurückhaltend, erzählt die Psychologin, und das liege nicht nur an der Sprachbarriere:

    "Ich spüre bei Deutschen in der Tat mehr Scham, Schuldgefühl. Weil es in Deutschland verboten ist, haben sie manchmal das Gefühl, dass sie etwas Illegales tun, auch wenn sie nur zu uns kommen, um sich zu informieren. Dadurch haftet ihrem Kinderwunsch beinah etwas Negatives an, und das ist ziemlich schade."

    Eine Garantie gibt es auch im Brüsseler Universitätskrankenhaus nicht: Nur jede vierte Frau, die sich der PID unterzieht, verlässt neun Monate später die Klinik mit einem Baby. Alle aber müssen nach der Behandlung entscheiden, was mit den überzähligen Embryos geschieht: Über die Hälfte der Paare überlässt sie der Klinik zur Forschung, etwa ein Fünftel spendet die eigenen überzähligen Embryos anderen Paaren, und in etwa genauso viele entscheiden sich dafür, die Embryos entsorgen zu lassen. Eine schwierige Entscheidung sei das, räumt Professor Paul Devroye ein. Aber für ihn ist es der einzige Weg. Die gegenwärtige deutsche Gesetzeslage kommentiert der Reproduktionsmediziner dagegen mit Kopfschütteln:

    "Man darf nicht vergessen, dass Deutschland ganz vorne liegt bei den Schwangerschaftsabbrüchen in Europa. Da wird mit genau derselben Krankheitsdiagnose wie bei unserer PID die Schwangerschaft nach zwölf Wochen abgebrochen, manchmal noch bis zur 26. Woche! Es ist doch völlig paradox, dass man zugleich nicht zulässt, dass gesunde Embryonen eingepflanzt und auf diese Weise eine Abtreibung vermieden wird – und damit auch die Traumatisierung der Frau mit ihrem Kinderwunsch. Eine ordentliche Präimplantationsdiagnostik ist enorm wichtig, um Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden."