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Embryonen sollen "nicht in der Überzahl erzeugt werden"

Der selektive Blick auf den Embryo sei etwas, was mit der Menschenwürde nicht vereinbar sei, sagt Eberhard Schockenhoff, Mitglied im Deutschen Ethikrat. Der Wunsch nach einem gesunden Kind sei natürlich, verleihe den Eltern jedoch nicht das Recht, die "Kinder probeweise sozusagen auszuwählen".

Eberhard Schockenhoff im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Vor über vier Jahren hat sich ein Frauenarzt in Berlin selbst angezeigt. Er hatte bei erblich vorbelasteten Paaren Gentests an Embryonen vorgenommen. Die Embryonen hatte er dann aussortiert, die er für riskant hielt zur Seite gelegt, und Embryonen dann eingepflanzt, die er für unverdächtig hielt. Der Arzt wollte Rechtsklarheit und die hat er bekommen. Der Bundesgerichtshof gab ihm in letzter Instanz recht. Jetzt will der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschieden zur Präimplantationsdiagnostik, heute ist die erste Lesung, in zwei Monaten etwa die Abstimmung.

    Jetzt müsste ich verbunden sein mit Eberhard Schockenhoff, Professor für katholische Moraltheologie an der Uni Freiburg, Mitglied im Ethikrat. Mit ihm möchte ich mich unterhalten über die Debatte heute im Deutschen Bundestag zur Präimplantationsdiagnostik. Guten Tag, Herr Schockenhoff.

    Eberhard Schockenhoff: Guten Tag.

    Meurer: Sie sind ein Gegner der PID. Was ist daran unchristlich, werden sich Eltern fragen, wenn Ärzte ihnen helfen wollen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen?

    Schockenhoff: Nicht die Absicht, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, sondern die Bedingung, die in dem Verfahren steckt, dass man nämlich menschliches Leben erzeugt, bewusst in der Überzahl, um es einem Test zu unterwerfen, und es dann vom Ergebnis dieses Tests abhängig macht, ob man die Embryonen weiter verwendet, um eine Schwangerschaft einzuleiten, oder ob man sie aussondert, verwirft, und dieser selektive Blick auf den Embryo ist etwas, was mit der Menschenwürde unvereinbar ist, denn diese gebietet, jeden Menschen, jedes menschliche Leben um seiner selbst willen anzunehmen, und nicht nur, um fremder Zielsetzungen willen herzustellen.

    Meurer: Die Selektion findet statt bei künstlicher Befruchtung. Darüber reden wir. Sind Sie eigentlich grundsätzlich gegen künstliche Befruchtung?

    Schockenhoff: Ich bin skeptisch. Ich habe keine generellen kategorischen Einwende, weil bei einer künstlichen Befruchtung, wenn tatsächlich alle Embryonen, die erzeugt werden, auch dazu verwendet werden, eine Schwangerschaft einzuleiten, dann findet keine Verwerfung statt. Meine Skepsis bezieht sich auf die geringe Erfolgsquote und die großen psychischen, körperlichen Belastungen, die wir den Paaren auferlegen, und meistens wird in der öffentlichen Debatte dann die Seite verschwiegen: was ist mit denen, die am Ende nicht erfolgreich sind, die also mehrere Behandlungszyklen durchstanden haben, zum Teil unter Inkaufnahme großer schwerer Belastungen, übrigens auch für ihre Partnerschaft, und die am Ende ohne Kind dastehen. Wenn man wirklich die Leiden, die vielleicht behoben werden können, indem der Wunsch eines kinderlosen Paares in Erfüllung geht, ein eigenes Kind zu bekommen, abwägt mit den Leiden, die durch die PID selber bei denen, wo sie am Schluss erfolglos bleiben wird, hervorgerufen werden ...

    Meurer: Nimmt das Leiden aber - Entschuldigung, Herr Schockenhoff - nicht möglicherweise noch zu bei Eltern, die eine genetische Veranlagung haben zu bestimmten Krankheiten, oder ein Elternteil, und wenn es nach Ihnen geht, werden sie medizinisch im unklaren gelassen, welcher Embryo der Mutter jetzt eingepflanzt wird?

    Schockenhoff: Nein, das ist eine Unterstellung. Es will ja niemand, dass man die PID sozusagen mal beginnt, indem man Embryonen erzeugt, bei normalerweise zeugungsfähigen Paaren den Weg der künstlichen Befruchtung wählt und dann nur darauf verzichtet, sie vorher zu testen. Das will natürlich niemand, dass die Eltern sozusagen uninformiert eine Auswahl treffen unter Embryonen, von denen sie nicht wissen, ob sie Träger der befürchteten Schädigung sind oder nicht, sondern worum es geht ist ein Verbot des Verfahrens, dass Embryonen schon gar nicht erzeugt werden mit dem Vorbehalt, sie anschließend wieder zu verwerfen.

    Meurer: Ich habe es jetzt nicht ganz verstanden. Sie sind dafür, dass die Embryonen gentechnisch untersucht werden?

    Schockenhoff: Nein! Nein, das wollen wir ja gerade untersagen. Und zwar, wir wollen nicht erst die Untersuchung untersagen, sondern überhaupt schon, dass Embryonen in der Überzahl erzeugt werden, sondern man soll sich strikt an das Embryonenschutzgesetz halten, das gebietet, dass man nur drei Embryonen erzeugen darf in einem Behandlungszyklus, nämlich genau so viele, wie man anschließend auch in den Uterus der Frau transplantieren kann. Dahinter steht der Gedanke, dass man einen Menschen künftig nur erzeugen kann, wenn man gleichzeitig den Willen und die Fähigkeit hat, ihm die gleiche Entwicklungschance zu gewähren, wie er es im natürlichen Zeugungsvorgang hätte. Menschliches Leben darf nicht sozusagen in eine kalte Unbehaustheit hinein erzeugt werden, um dann wie ein technisches Produkt einer Qualitätskontrolle unterzogen zu werden, so dass wir dann anschließend Ausschussware haben, die verworfen wird, und andere, die unseren Kriterien genügen.

    Meurer: Wir haben hier eine Situation, Herr Schockenhoff, wo eine Entscheidung für niemanden ganz leicht ist.

    Schockenhoff: Ja!

    Meurer: Darf man Eltern wirklich diese Chance vorenthalten, sich für Leben zu entscheiden, für ein Baby zu entscheiden und auch zu wissen, es hat nicht die fürchterliche Krankheit, die es in meiner Familie schon mal gegeben hat?

    Schockenhoff: Das ist die Chance, die das Verfahren unter Umständen bietet, einem Teil der Paare, die darauf hoffen, aber man muss auch den Preis sehen. Der Preis besteht darin, dass man anderes Leben erzeugt und anschließend verwirft. Und genau dieses Recht hat niemand in einem demokratischen Rechtsstaat, weder der Staat selber, er kann nicht sozusagen eine Entscheidung darüber treffen, unter welchen Kriterien menschliches Leben weiterhin sich entwickeln darf und unter welchen nicht, noch haben es die Medizin, die Wissenschaft, noch haben es einzelne Eltern. Also der Wunsch nach einem gesunden Kind, das ist moralisch achtenswert, das ist etwas ganz Natürliches, aber dieser Wunsch verleiht nicht das Recht, seine Kinder probeweise sozusagen auszuwählen unter dem Gesichtspunkt, dieses Leben ist lebenswert, es darf leben, das andere Leben ist nicht lebenswert. Das verstößt eindeutig gegen das Diskriminierungsverbot, gegen die Menschenwürde, gegen den Gleichheitsgrundsatz, das ist ein Bruch mit unserer Rechtskultur, und deshalb ist hier auch ein Verbot erforderlich.

    Meurer: Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Universität Freiburg, Mitglied im Ethikrat, zur Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik. Danke und auf Wiederhören, Herr Schockenhoff.

    Schockenhoff: Ja!