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"Wir sind am Anfang eines schwierigen Prozesses"

Der SPD-Außenexperte Gert Weisskirchen hat die Aushandlung eines Waffenstillstands zwischen Israel und Hamas als ersten notwendigen Schritt bezeichnet. Erst danach könne eine Beobachtermission auf der Grundlage eines Weltsicherheitsratsbeschlusses möglich werden. Grundsätzlich könne er sich eine deutsche Beteiligung in einer "begrenzten Rolle" vorstellen, sagte Weisskirchen.

Gert Weisskirchen im Gespräch mit Bettina Klein | 08.01.2009
    Bettina Klein: In Kairo wollen Vertreter der Konfliktparteien über einen Ausweg aus der jüngsten Gaza-Krise beraten. Die ägyptische Regierung will vermitteln auf der Grundlage eines ägyptisch-französischen Vorschlages. Befristete Waffenruhe, Gespräche über eine Lösung sowie die Versorgung des Gaza-Streifens, das sind erste bescheidene, aber vielleicht auch entscheidende Stichworte aus der Initiative. In der Nacht hatte die israelische Armee ihre Offensive zunächst fortgesetzt und ausgeweitet. Gestern hatte es ja über drei Stunden zunächst eine Waffenruhe gegeben, um Hilfsleistungen zu ermöglichen.
    Am Telefon ist nun Gert Weisskirchen (SPD), außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Weisskirchen.

    Gert Weisskirchen: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Gestern dreistündige Waffenpause, in der Nacht eine ausgeweitete Militäroffensive Israels, heute nun Verhandlungen in Kairo. Wie nahe sind wir einem Waffenstillstand?

    Weisskirchen: Es sieht noch nicht so aus, als dass wir nahe an einem Waffenstillstand sind, aber immerhin: Es gibt die ersten Anzeichen dafür, dass man darüber nachdenkt, wie man die humanitäre Lage vor Ort für die Menschen - das war ja der Bericht, den Sie eben gebracht haben -, wie man diese humanitäre Lage doch verbessern kann. Die dreistündige Waffenpause kann ja so etwas sein wie der Anfang eines Prozesses, der dann zu einem wirklichen dauerhaften, tragfähigen Waffenstillstand führt.

    Klein: Sie gehen davon aus, dass es weitere befristete Waffenruhen in dieser Art geben wird?

    Weisskirchen: Ich hoffe es jedenfalls, denn die Lage der Menschen vor Ort ist unbeschreiblich schlecht und alleine deshalb. Es gibt ja auch im Krieg das humanitäre Völkerrecht. Auch da muss also darauf geachtet werden, dass die Zivilbevölkerung doch Chancen hat, sich selbst besser zu versorgen, und auf jeden Fall so weit wie es irgend geht Leid, das Menschen zugefügt werden kann durch Kriegsereignisse und Geschehnisse, ihnen doch erspart werden kann. Das ist eine Verpflichtung, die alle Völker eingegangen sind.

    Klein: Herr Weisskirchen, Sie haben sich gestern sehr deutlich für Beobachtertruppen im Nahen Osten, im Gaza-Streifen ausgesprochen, und zwar für Beobachtertruppen durchaus auch unter deutscher Beteiligung. Die Bundesregierung zeigt sich im Augenblick sehr zurückhaltend diesbezüglich. Was spricht für Sie für eine deutsche Beteiligung?

    Weisskirchen: Zunächst einmal finde ich es vernünftig, dass man sich sehr zurückhaltend dem gegenüber äußert und nähert, denn zunächst einmal muss klar ersichtlich werden, dass die beiden Konfliktparteien, nämlich der Anfangspunkt war ja der unablässige Beschuss durch Kassam-Raketen auf israelisches Territorium, die übrigens sehr nahe kommen können an Atomproduktionen innerhalb Israels selbst - das ist ja eigentlich einer der wesentlichen Ursachen, warum Israel sich derart deutlich und klar und militärisch dagegen zu wehren versucht -, also zu allererst einmal muss ein tragfähiger Waffenstillstand von beiden Seiten gewollt werden und durchgesetzt werden. Und dann erst kommt der UNO-Sicherheitsrat. Das heißt, es muss ja in New York überhaupt erst beschlossen werden, dass dieser Waffenstillstand tragfähig werden kann. Die internationale Staatengemeinschaft muss sich dem dann gegenüber verpflichten. Und danach kommt Schritt für Schritt erst die Frage, wer denn diese Beobachter entsenden kann und ob denn überhaupt eine Mission auf der Grundlage eines Weltsicherheitsratsbeschlusses möglich werden wird. Also wir sind am Anfang eines schwierigen Prozesses.

    Klein: Es ist schon noch Zukunftsmusik, die Frage von Friedens- oder Beobachtertruppen. Auf der anderen Seite aber auch etwas, was doch auch Hoffnung auslösen kann, weil man sich oder weil Sie sich darunter wirklich eine tragfähige Perspektive für diesen seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt vorstellen können?

    Weisskirchen: Ja. Da würde ich schon vorsichtig ja dazu sagen, aber zu allererst einmal müssen wir die Frage prüfen, ob es überhaupt so weit kommen kann, und das ist nicht in der Hand der internationalen Staatengemeinschaft, sondern dies ist in der Hand von denen, die im Gaza-Streifen diese Aggressionen gegenüber Israel begonnen haben. Das muss gestoppt werden. Dann muss gestoppt werden, dass der Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen unablässig immer noch weiterbetrieben werden kann. Da wird Ägypten das Schlüsselland sein. Deshalb ist es sehr gut, dass heute in Kairo diese Gespräche fortgesetzt werden.

    Klein: Sie sagen ganz klar noch mal, Hamas war diejenige Kraft, die jetzt entscheidend zum Aufflammen dieser Offensive und zur israelischen Entscheidung beigetragen hat und das verursacht hat.

    Weisskirchen: So ist es!

    Klein: Wo sehen Sie denn die Bereitschaft, dies anzuerkennen und darüber dann einen Weg zu einer Lösung zu finden - in der Staatengemeinschaft, auch in der arabischen Welt übrigens?

    Weisskirchen: Genau das ist die politisch entscheidende Frage. Es hängt davon ab, wie die Anrainerstaaten, wie Syrien sich verhält, wie zum Beispiel Ägypten, von dem aus ja jetzt diese Initiative gestartet ist, es sieht, dass es, Ägypten, sein großes schweres Gewicht in der Region in die Wagschale werfen kann, um der Hamas deutlich zu machen, nun ist aber wirklich Schluss mit diesen Spielen und mit diesen schrecklichen Versuchen, durch Terroranschläge die israelische Gesellschaft in der Tat in Angst und Schrecken zu verjagen, damit muss Schluss sein. Wenn das der Anfangspunkt ist, dann glaube ich, in einem weiteren, ferneren Schritt wird die Frage von uns zu beantworten sein, was können wir tun, die internationale Staatengemeinschaft, was kann Europa tun, die Europäische Union - Solana hat ja gemeinsam mit Mubarak darüber gesprochen -, was können wir also dann tun, um diesen dann möglicherweise existierenden Waffenstillstand auch tragfähig und stabil zu machen.

    Klein: Sie haben die Rolle der Europäischen Union gerade angedeutet. Welches Bild hat denn die EU abgegeben nach Ihrer Wahrnehmung? Den Waffenstillstand, der jetzt möglicherweise vorbereitet werden könnte, den hat offenbar der ehemalige Ratspräsident Sarkozy mit Ägypten gemeinsam initiiert, nicht die tschechische Ratspräsidentschaft. Ist das egal?

    Weisskirchen: Die Hauptsache ist, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das tragfähig ist und das endlich die Waffen zum Schweigen bringt. Das ist das Entscheidende und Zentrale. Natürlich wäre es gut gewesen, man hätte es gemeinsam mit der Präsidentschaft, der gegenwärtigen, der tschechischen Präsidentschaft vorangetrieben, aber wenn das Ergebnis stimmig ist und Prag dem zustimmen kann, dann, finde ich, ist die Frage überflüssig zu stellen oder zu beantworten, wer das vorangetrieben hat. Die Hauptsache ist, dass das Ergebnis zählt.

    Klein: Ich würde gerne noch mal zum Anfang des Gespräches zurückkommen - auf etwas, was in der Zukunft vielleicht diskutiert werden wird und wo Sie sich ja offen zeigen, Herr Weisskirchen -, nämlich die Frage: Dürfen deutsche Soldaten an einer solchen Friedens- und Beobachtermission teilnehmen? Auslandseinsätze der Bundeswehr sind hier schwer umkämpft, sage ich mal. Ein solches Mandat ist schwer zu erringen und wenn es dann darum geht, deutsche Soldaten Richtung Israel zu schicken, sehen Sie wirklich eine Perspektive dafür?

    Weisskirchen: Zunächst einmal muss noch mal festgehalten werden: Ob wir uns beteiligen, das ist zu prüfen, wenn sich diese Frage konkret gestellt hat, nachdem der Weltsicherheitsrat entschieden hat. Und dann ist immer noch die Frage, wie wir uns beteiligen nach einer solchen Entscheidung. Das sind also jetzt Prozesse, die erst ziemlich spät zu entscheiden sein werden, aber Deutschland kann, glaube ich, von sich aus schon sagen. Etwa bei UNIFIL II, beim Mandat, dem Libanon zu helfen, sich voranzuentwickeln, hat Deutschland gezeigt, dass es bereit sein kann, eine bestimmte begrenzte Rolle zu übernehmen, und das kann Deutschland auch anderswo zeigen.

    Klein: Der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen war das heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Weisskirchen, und einen schönen Tag.

    Weisskirchen: Ich danke Ihnen, Frau Klein.

    Klein: Auf Wiederhören.