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"Wir wollen einfach einen Anreiz schaffen"

Bundesumweltminister Gabriel will die Betreiber von Kernkraftwerken stärker an den Sanierungskosten von Atommüll-Lagern beteiligen. Sein Ministerium bereite zurzeit einen Gesetzentwurf für eine Kernbrennstoff-Steuer vor, kündigte Gabriel an. Er erwarte daraus Einnahmen zwischen 1,6 und zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 28.03.2009
    Jürgen Zurheide: ... Umweltminister Sigmar Gabriel. Guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Zurheide: Herr Gabriel, zunächst einmal – da gibt es jetzt neuere Forderungen von der chemischen Industrie. Zum Beispiel hat deren Präsident Herr Lehner kürzlich in Berlin gesagt: Wir müssen weniger tun, zum Beispiel für die CO2-Emissions-Preise, die da gezahlt werden. Das ist zu viel, in der Krise können wir uns das nicht leisten. Haben Sie Verständnis für solche Forderungen?

    Gabriel: Es scheinen die falschen, glaube ich. Erstens: Vielleicht sollte Herr Lehner mal seine Unternehmen fragen, wie viel sie heute zahlen. Sie zahlen nämlich heute praktisch nichts und einige haben sogar eine Überzuteilung bekommen und haben am Emissionshandel 20, 30 Millionen Euro verdient. Aktuell gibt es also in der chemischen Industrie – jedenfalls aus Gründen der CO2-Belastungen, für die sie angeblich zahlen sollen – keine Probleme. Die chemische Industrie hat Umsatzprobleme und hat auch Probleme, gute Erlöse zu erzielen, daran ist aber nicht der CO2-Handel schuld, denn zurzeit zahlen sie ja gar nichts. Worauf Herr Lehner hinweist, ist eine Regelung in der Europäischen Union ab dem Jahr 2013, da befürchtet er, dass er betroffen sein wird und da verstehe ich ihn, ehrlich gesagt, nicht. Er sagt auf der einen Seite, die Regeln seien noch gar nicht da, man wisse noch nicht, was kommt, und dann bringt er Horrorzahlen von Belastungen von 900 Millionen Euro in den Raum. Eins von beiden kann ja nur stimmen. Tatsache ist, dass die deutsche Bundesregierung dafür gesorgt hat, dass die energieintensive Industrie – und dazu zählt auch die chemische Industrie – von diesen Regeln ab 2013 nicht betroffen sein wird. Das weiß Herr Lehner, aber es macht offensichtlich ein paar Verbandsfunktionären immer noch Spaß, den Klimaschutz irgendwie kurz und klein zu reden. Und für jede Krise, die sie durchstehen müssen – das müssen sie zurzeit, da hat er recht –, ist dann der Klimawandel verantwortlich, und das ist natürlich Quatsch.

    Zurheide: Aber das zeigt doch, wie die Debatte insgesamt läuft, das heißt: Der Klimaschutz ist irgendetwas, was man sich offensichtlich – zumindest in bestimmten Kreisen – nur dann leistet, wenn man Zeit und Geld dafür hat. Dass das falsch ist, wissen wir auf der anderen Seite auch. Was ist denn da in der Debatte bisher schiefgelaufen, dass die das immer noch nicht begriffen haben?

    Gabriel: Erst mal muss man sagen: Die, die jetzt diese Sprüche klopfen, sind ja auch vorher, als es ihnen wirtschaftlich gut ging, dagegen gewesen. Es ist ja nicht so gewesen, dass vorher nicht die gleichen Argumente vorgetragen wurden, als es noch wirtschaftlich viel besser ging. Ich denke, das ist im Wesentlichen eine Gruppe von Verbandsfunktionären, das ist auch gar nicht so schlimm, denn Sie müssen mit den Unternehmen reden. Wenn Sie mit den Unternehmen selber sprechen, gibt es ganz viele, die inzwischen erkennen, dass natürlich in der Krise eines wichtig ist: dass wir nicht das konservieren, was wir haben, sondern dass wir unsere Wirtschaft modernisieren. Das heißt, sie muss weniger Energie verbrauchen, effizienter mit Rohstoffen umgehen und sich abkoppeln von den irgendwann ja wieder steigenden Rohstoffpreisen, und das bedeutet gleichzeitig immer Klimaschutz. Ich finde, man kann eben exzellent an dem Thema beweisen, dass Arbeitsplätze, wirtschaftliches Wachstum und Umweltschutz Hand in Hand gehen, denn immer dann, wenn wir was dafür tun, dass wir nicht so viel Energie verbrauchen, sparen wir Geld und helfen gleichzeitig Umwelt und Klima. Und darum geht es auch in der Strategie der Bundesregierung.

    Zurheide: Nun ist das schön, diese Formel, die Sie da bringen, aber wenn man dann in die Realität schaut, zum Beispiel jetzt mal bei den Kraftwerken und beim Kraftwerkspark, da hört man seit Jahren schon: Wir müssen eigentlich investieren. 30 Milliarden als Investitionsstau werden da auf der einen Seite beklagt und auf der anderen Seite laufen viele alte Möhren, alte Kohlekraftwerke immer noch weiter. Das geht nicht so voran, wie Sie sich das eigentlich vorstellen würden, warum eigentlich nicht?

    Gabriel: Es ist sehr unterschiedlich. Es gibt Unternehmen, die seit Jahren eigentlich ihren Kraftwerkspark modernisieren müssten, die dazu wenig tun, und es gibt andere, die massiv investieren. Ich war gerade bei einer Reihe von Kraftwerken, vor allem Stadtwerke zum Beispiel machen da eine ganze Menge. Was wichtig ist, ist: Wir haben eine Debatte über die Frage, ob sich der Kraftwerksbau gerade lohnt. Bei sehr niedrigen CO2-Preisen wie zurzeit gibt es eigentlich keinen Grund, Kraftwerke nicht zu bauen. Was wir vorhaben ist, dass wir für besonders hoch effiziente Kraftwerke – insbesondere dann, wenn sie mit Kraftwärmekopplung ausgestattet sind –, dass wir dafür zwischen 2013 und 2016 bis zu 15 Prozent der Investitionskosten bezuschussen wollen. Wir wollen einfach einen Anreiz schaffen, besonders gute Kraftwerke zu bauen und am besten sind sie natürlich, wenn sie KWK beinhalten. Das geht nicht überall mit Kraftwärmekopplung, aber jedenfalls weit mehr, als wir es heute nutzen.

    Zurheide: Nur was ist mit der Atomenergie? Da stellt man sich ja auch die Frage. Der ein oder andere – Sie gehören nicht dazu – sagt im Moment: Ja, Atomenergie, wunderbar, denn da haben wir keine klimaschädlichen Gase. Dafür gibt es dann andere Dinge, die hinterher, Stichwort Entsorgung, beim Staat abgeladen werden. Ist da nicht ein Ungleichgewicht und hat man nicht versäumt, dass die Atomindustrie auch da belastet wird, wo sie belastet werden müsste?

    Gabriel: Eins der Hauptprobleme ist in der Tat, dass wir in der Atomenergie eingestiegen sind, ohne die Endlagerfrage geklärt zu haben, und das seit Jahrzehnten. Es gibt übrigens weltweit noch kein Endlager für hochradioaktive Stoffe. Es ist ein bisschen so, als ob sie ins Flugzeug steigen und nicht wissen, ob es eine Landebahn gibt. Ich höre jetzt, dass die CDU/CSU Atommüll als Bioenergie bezeichnet. Ich nehme an, dass die dann das Absaufen der Atommüllendlager Asse II auch für eine Biotonne halten. Es ist einfach ein völlig ungelöstes Problem. Und was eine ziemliche Schweinerei an der Angelegenheit ist: dass die Profite aus einer Billigentsorgung – die wir jetzt sanieren müssen und die uns jetzt Milliarden kosten –, die Profite sind zugunsten der Atomlobby gelaufen und die Milliardenkosten bleiben beim Steuerzahler hängen. Und deswegen glaube ich, dass es Sinn macht, eine Brennstoffsteuer zu machen, um daraus diese Kosten auch refinanzieren zu können. Das führt noch nicht mal zu höheren Strompreisen, weil der Atomstrom ja in der Grundlast liegt und die Strompreise existieren an der Börse, an dem Kraftwerk, was gebraucht wird, um die letzte Nachfrage zu bedienen, das ist nie Atomstrom. Deswegen würde das wirklich dazu führen, dass die Unternehmen das bezahlen müssen, und das halte ich auch für angemessen. Ich kann doch keinem Menschen erklären, dass er Milliardenbeträge mitbezahlen soll, bei denen vorher Milliarden Umsätze und Gewinne gemacht worden sind.

    Zurheide: Aber was tun Sie, das zu ändern, Herr Gabriel?

    Gabriel: Wir werden einen Gesetzentwurf einbringen in den Deutschen Bundestag, wir bereiten den gerade vor, für eine Kernbrennstoffsteuer, bei der zwischen 1,6 und 2,0 Milliarden Euro jedes Jahr Einnahmen existieren. Natürlich nehmen diese Einnahmen ab im Rahmen der Abschaltung von Kernkraftwerken, aber die werden auf jeden Fall reichen, um die rund 20 Milliarden Euro Kosten für die Sanierung und Entsorgung alter Atomanlagen auch wirklich zu bezahlen.

    Zurheide: Aber müssen Sie nicht fürchten, dass auch in der Bevölkerung so eine Stimmung herrscht – jetzt haben wir gerade Wirtschaftskrise und die ganzen Klimanachrichten, na ja, das kommt dann später –, dass sich das Verständnis, was eine Zeit lang da war, möglicherweise wieder ins Gegenteil verkehrt?

    Gabriel: Meine Erfahrung ist das nicht, im Gegenteil, die Veranstaltungen, die wir machen, sind weiterhin rappelvoll, und ich sage nur zwei Zahlen dazu. Wir haben inzwischen 280.000 Beschäftigte im Bereich erneuerbare Energien, das sind 30.000 mehr als im letzten Jahr, und wir haben insgesamt 1,8 Millionen Beschäftigte in der Umwelttechnik, das sind 300.000 mehr als vor, glaube ich, vier Jahren. Das bedeutet: Wir haben hier einen großen Wirtschaftsfaktor, der zukunftssichere Arbeitsplätze schafft. Uns geben übrigens alle Einrichtungen, selbst die Deutsche Bank, Forschungsinstitute in Europa und in Deutschland recht und sagen, wenn ihr auf dem Pfad weitermacht, werdet ihr bis 2020 etwa 500.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen haben. Das jetzt zu stoppen in der Wirtschaftskrise wäre völlig idiotisch. Und das Zweite ist noch mal: Es geht ja in der Wirtschaftkrise gerade nicht darum, einfach staatliches Geld reinzukippen und das Gleiche zu konsumieren, was wir schon immer hatten, sondern: Wir geben 500 Millionen Euro aus, um Elektroautos zu entwickeln. Wir geben über 10 Milliarden an die Kommunen, damit sie die Gebäude sanieren und nicht so viel Energie verschwendet wird. Das spart den Leuten Geld und hilft dem Klima, schafft Jobs im Handwerk. Wir haben 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um Unternehmen, die Investitionsprojekte vor sich haben, für die sie zurzeit keine Banken finden, abzusichern. Dazu gehören große Projekte der Offshore-Windenergieförderung. Das schafft Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik. Ich finde, so muss man an das Thema Wirtschaftskrise rangehen und nicht einfach Geld reinkippen, wie sich das manche vorstellen, und das konservieren, was wir schon haben.

    Zurheide: Das war Bundesumweltminister Sigmar Gabriel im Deutschlandfunk zur Krise und zum Klimaschutz. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch. Danke schön, auf Wiederhören!

    Gabriel: Bitte schön!