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Wissenschaft
Allianz gegen Armut

Um die komplexen Zusammenhänge zu überblicken, die weltweit zu Armut führen, haben sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen in einem Netzwerk zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie für mehr Gerechtigkeit sorgen - auch von Deutschland aus.

Von Philip Banse | 10.01.2014
    Die weltweit tätige Vereinigung "Wissenschaftler gegen Armut", kurz ASAP, versteht sich als Plattform, die Wissenschaftler, Aktivisten und Politiker zusammenbringt, damit Armuts-Forscher verschiedener Disziplinen praxisnäher arbeiten und ihre Erkenntnisse besser verbreitet, verstanden und umgesetzt werden. Henning Hahn ist politischer Philosoph vom Forschungsschwerpunkt "Ethik der Globalisierung" an der Uni Kassel und Gründungsmitglied des deutschen Vereins der "Wissenschaftler gegen Armut".
    "Die Rationalität der Wissenschaft ist ja oft so gestrickt, dass jeder versucht, was Eigenes zu machen: einen eigenen Ansatz, eine eigene Theorie, eine eigene Terminologie. Was wir fördern wollen, ist, dass wir wieder mit einer Stimme sprechen, dass wir konsensfähig werden, dass wir, was die wichtigsten Fakten des globalen Armutsproblems angeht, Konsens herstellen und über die Disziplinen hinaus mit einer Stimme sprechen."
    Um dieses Ziel zu erreichen, stößt der Verein ASAP Projekte an, sagt Gründungsmitglied Henning Hahn. Ein Projekt will erreichen, dass Pharmaunternehmen wieder Medikamente herstellen, die in Entwicklungsländern gebraucht und bezahlt werden können.
    "Wenn wir das gratifizieren wollen, dass Pharma-Unternehmen wieder Medikamente herstellen, die den größtmöglichen Gesundheitsnutzen generieren, müssen wir das auch nachweisen können irgendwie. Das heißt, wir müssen eine Metrik erstellen und irgendwo auch juristisch den Gesundheitsnutzen von Medikamenten nachweisen können. Und um da unsere Messmethoden auszutesten, brauchen wir als allererstes Pilotprojekte, um erste Erfahrungen zu sammeln. Und auf der Ebene sind wir momentan."
    Mehr Wissen über die globalen Finanzströme
    Ein weiteres Forschungsprojekt sei es, die globalen Finanzströme zu untersuchen, um deren Beitrag zur Armut heraus zu arbeiten - eine Aufgabe, der sich bereits viele NGOs, also Nicht-Regierungs-Organisationen, verschrieben haben.
    "Die NGOs brauchen auch Zuarbeit, die brauchen Expertisen, die brauchen Redner, die brauchen Zahlen. Das sind alles Dinge, die wir organisieren und zur Verfügung stellen können. Eine Aufgabe ist sicherlich, uns als Dienstleister für NGOs und die Zivilgesellschaft zu sehen."
    Vertreterin dieser Zivilgesellschaft ist Cäcilie Schildberg. Sie arbeitet in der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung daran, die Armut in der Welt zu verringern. Ihr fehlen oft wissenschaftliche Ergebnisse, gut zusammengefasst, verständlich aufgeschrieben und mit klaren Handlungsempfehlungen verbunden.
    "Ja, ich sehe das schon als Lücke. Denn wir erleben manchmal, dass Forschungsergebnisse nicht einfach zu übersetzen sind und auch an unsere politischen Entscheidungsträger wie Gewerkschaften oder NGOs heranzutragen sind. Und das erhoffe ich mir von ASAP, dass dort ein neuer Impuls entsteht."
    100 deutsche Forscher beteiligen sich
    Eingebunden in eines der ersten ASAP-Projekte ist Veronika Wodsak. Sie arbeitet bei der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO daran, in allen Ländern Netze der sozialen Absicherung aufzubauen. Von den "Wissenschaftlern gegen Armut" erhofft sie sich belastbare Berechnungen zu den Fragen: Was kostet es, in Entwicklungsländern solche sozialen Sicherungssysteme einzuführen - und was kostet es, auf sie zu verzichten? Veronika Wodsak begrüßt den Praxisbezug der "Wissenschaftler gegen Armut":
    "Da gibt es ja auch viele zynische Kommentare dazu: Die Wissenschaftler, die in ihrem Eiffelturm sitzen und jenseits dessen, was in der Welt so vor sich geht, an ihren Staubfängern arbeiten. Dass da eben die Wissenschaft den Anspruch an sich selber stellt, und das finde ich sehr begrüßenswert bei ASAP, eben Praxisrelevanz zu haben."
    Bisher seien rund 100 deutsche Forscher Teil des Netzwerks der "Wissenschaftler gegen Armut", sagt Gründungsmitglied Henning Hahn von der Uni Kassel.
    "Wir stoßen unter Kollegen auf eine große Resonanz. Es ist das Bedürfnis da, gerade bei denen, die sich mit diesen Problemen auseinandersetzen, mit Gerechtigkeitsfragen, mit Entwicklungsökonomie, ist das Bedürfnis recht groß, mit dem Problem, mit dem man sich beschäftigt, auch wieder Resonanz zu erzeugen."
    Noch gebe es im deutschen ASAP-Verein einen Überschuss an politischen Philosophen. Henning Hahn ruft vor allem Ökonomen und Rechtswissenschaftler auf, sich den "Wissenschaftlern gegen Armut" anzuschließen.