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Wo der Imam bei der Scheidung hilft

Vor 28 Jahren hat Dr. Suhaib Hasan den ersten muslimischen Rat in Groβbritannien gegründet, den Sharia Council. Zunächst ging es darum, eine Vielfalt religiöser Fragen zu klären. Inzwischen befasst er sich fast ausschlieβlich mit islamischen Scheidungen.

Von Ruth Rach | 08.12.2010
    Ayesha nimmt kein Blatt vor den Mund. Eine blutjunge Frau, in Groβbritannien geboren, von ihrer Familie gezwungen, ihren Cousin in Pakistan zu heiraten. Ihrem Vetter sei es nur um ein Visum gegangen. Sobald er in Groβbritannien ankam, habe er sie misshandelt, die Vaterschaft des gemeinsamen Kindes bestritten, und sei schlieβlich abgetaucht. Inzwischen ist Ayesha geschieden. Ihre Familie hat sie verstoβen. Ihren Ehemann hat Ayesha bei der britischen Einreisebehörde angezeigt.

    Aufmerksam hört der Imam zu. Dr. Suhaib Hasan ist ein renommierter islamischer Schriftgelehrter. Vor 28 Jahren hat er den ersten muslimischen Rat in Groβbritannien gegründet, den Sharia Council. Zunächst ging es darum, eine Vielfalt religiöser Fragen zu klären. Inzwischen befasst er sich fast ausschlieβlich mit islamischen Scheidungen.

    Erzwungene Clanheiraten sind nicht akzeptabel, betont der Imam: Sie seien unter britischen Muslimen der häufigste Scheidungsgrund. Dr. Hasan studiert Ayeshas pakistanische Eheurkunde. Ihre britischen Scheidungspapiere. Eine in Pakistan geschlossene Ehe wird in Groβbritannien anerkannt, eine Scheidung hingegen ist nur rechtskräftig, wenn sie nach britischem Recht vollzogen wird. Aber als praktizierende Muslimin besteht Ayesha zusätzlich auf einer islamischen Scheidung.

    Nach dem Sharia-System kann eine Scheidung nur vom Mann ausgehen - es sei denn, er hat in der Heiratsurkunde auf dieses Recht verzichtet. Im Idealfall bittet die Frau ihren Mann um eine Scheidung, und er stimmt zu, führt Dr. Hasan aus. Wenn er sich weigert, entscheidet der Sharia-Rat. Dann wird der Mann dreimal vorgeladen. Falls er nicht erscheint oder alle Schlichtungsbemühungen scheitern, spricht der höchste Sharia-Rat in der Regents-Moschee in London die Scheidung aus. Vorausgesetzt, die Frau gesteht dem Mann das Recht zu, seine Kinder zu sehen.

    Dies ist ein muslimischer Rat, kein Gericht, betont Dr. Suhaib Hasan. Bei Disputen innerhalb der muslimischen Community gehe es ihm primär darum zu vermitteln, und eine rasche, kostengünstige Lösung zu finden - ähnlich wie die rabbinische Schlichtungsinstanz Beth Din, die britische Juden schon seit Jahren anrufen können, um zivile Streitfälle zu klären. Dies sei kein paralleles Rechtssystem. Aber wenn beide Seiten erklärten, sie würden die Beschlüsse des Rates akzeptieren, komme das einem zivilrechtlichen Vertrag gleich. Und dann seien die Entscheidungen des Sharia Council auch nach englischem Recht bindend.

    Dr. Hasan zieht sich kurz zum Nachmittags-Gebet zurück. Im heutigen Groβbritannien gibt es zwölf Sharia Councils. Hinzu kommen aber noch Dutzende kleinerer, inoffizieller islamischer Räte, bei denen der Imam einer örtlichen Moschee das letzte Wort hat. Hinter verschlossenen Türen, ohne schriftliche Notizen, ohne Kontrollinstanz. Dr. Suhaib Hasan ist ein milder älterer Herr, der im Ruf steht, gemäβigt zu sein. Aber britischen Feministinnen und Sharia-Gegnern ist er ein Dorn im Auge. Besonders strittig: seine Meinung über Polygamie, Erbrecht, und Vormundschaft. Gelassen erklärt der Imam seine Position:

    "Polygamie ist durchaus in Ordnung, wenn sich der Mann verpflichtet, alle seine Ehefrauen gleich zu behandeln. In der Praxis ist das äuβerst schwierig. Sobald der Ehemann eine seiner Frauen benachteiligt, kann sie die Scheidung verlangen."

    Auch dass eine Tochter nur halb so viel erben kann wie ihr Bruder betrachtet der Imam als fair. Schlieβlich müsse ein Mann der Frau ohnehin Brautgeld zahlen. Und so komme ein Mädchen früher oder später doch auf ihre Kosten. Aber warum braucht eine Frau für eine Sharia-Ehe die Zustimmung eines männlichen Verwandten?

    "Am besten ist es, wenn ein Mädchen, das sich aus freien Stücken einen Partner ausgesucht hat, ihren Vater, Onkel oder Bruder bittet, sich den Mann genauer anzuschauen, um sicherzustellen, dass er einen soliden Hintergrund hat. Die meisten Liebesheiraten enden in Hass. Man muss sich nur die hohe Scheidungsrate im Westen anschauen. Selbst im britischen Königshaus ist die Ehe zwischen Prinz Charles und Prinzessin Diana gescheitert. "

    Die Frauen, die an diesem Nachmittag bei Dr. Hasan vorsprechen, wirken selbstbewusst, keine von ihnen trägt Kopftuch. Aber niemand weiß, wie viele es gibt, die seitens ihrer Familie, ihrer Community, so unter Druck gesetzt werden, dass sie sich nicht einmal trauen würden, den muslimischen Rat anzurufen. Und niemand weiß, wie viele Frauen sich unter dem Druck ihres Clans dem Urteil des Sharia Council ohne Widerrede beugen.