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Wolfgang Benz: Bilder vom Juden: Studien zum alltäglichen Antisemitismus

Der blutige Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern - er wäre in dieser Form wohl nicht denkbar, hätte es den Prolog des Holocausts nicht gegeben. In seinen technokratischen Details ersonnen und umgesetzt in Amtsstuben des nationalsozialistischen Berlin konnten die Drangsalierungen und Massenmord-Pläne an den Juden allerdings auf unheilvollen Traditionen aufbauen, die letztlich vor Jahrhunderten entstanden, übrigens - wie manche sagen - gerade in Osteuropa. - Vorurteilen und Negativ-Legenden - ihnen versuchte Wolfgang Benz nachzuspüren: "Bilder vom Juden: Studien zum alltäglichen Antisemitismus", lautet der Titel seines Buches.

Christina Janssen | 18.03.2002
    Zumindest auf der Ebene der political correctness scheint in Deutschland doch alles in bester Ordnung zu sein: Die alten judenfeindlichen Bilder und topoi gehören weitgehend der Vergangenheit an. Skinheads und Neonazis rufen mit primitiven Pöbeleien Empörung hervor. Ebenso die Waghalsigkeiten eines Martin Walser oder Rainer Werner Fassbinder, dessen Schauspiel "Der Müll, die Stadt und der Tod" die Giftschränke der Republik ziert. Und auch die Kirchen haben sich antijüdischer Relikte entledigt.

    Fortschritte in der Wahrnehmung der Juden, zweifellos...

    ... befindet Wolfgang Benz in seinem schmalen Band über den "Alltäglichen Antisemitismus".

    Aber dass die öffentlichen pejorativen Bilder verpönt sind, ist nur die eine Seite der Wahrnehmung. Die Zerrbilder vom Juden existieren fort - in den Köpfen der Menschen.

    So formuliert der ausgewiesene Zeithistoriker seine zentrale These: Die Stereotypen "vom Wucherer, vom Weltverschwörer, vom Krummbeinigen mit der Judennase" sind nicht mehr greifbar und doch lebendig. Angesichts immer wiederkehrender Meldungen über geschändete jüdische Friedhöfe, Neonazi-Aufmärsche und fremdenfeindliche Injurien fällt es nicht schwer, sich dieser These anzuschließen. Wie aber kann Benz sie belegen? Er schildert einige Vorfälle aus jüngerer Zeit. Etwa dies:

    Das spektakulärste Beispiel für den - oft gedankenlosen - Alltags-Antisemitimus lieferte ein stumpfsinniger Kontrabassist der Deutschen Oper Berlin, der es für witzig hielt, bei einem Gastspiel im Juni 1997 in Israel seine Rechnung in der Hotelbar mit "Adolf Hitler" zu unterschreiben. Zur Begrenzung des Schadens distanzierten sich das Orchester und der Intendant schnell. Der Musiker wurde entlassen und musste unverzüglich die Heimreise antreten. Aber die verbreitete Meinung lautete doch, die Deutschen sagten im alkoholisierten Zustand, was sie sonst nur heimlich dächten.

    Solche Exkurse in die Gegenwart bleiben allerdings die Ausnahme. Leider. Wolfgang Benz verharrt in der Retrospektive; über weite Strecken lesen sich seine "Studien zum alltäglichen Antisemitimus" wie eine Literaturgeschichte. Da werden zahllose Autoren im Vorbeihasten zitiert: Martin Luther, Wilhelm Busch, Karl Marx, Heinrich Mann und so weiter. Das Bild vom "reichen und mächtigen Juden" zeichnet Benz in einem Parforceritt vom Mittelalter bis in die Weimarer Republik nach. Auch den berüchtigten "Protokollen der Weisen von Zion" widmet er ein aufschlussreiches Kapitel. Weit über Deutschland hinaus richtete dieses literarische Machwerk über die jüdische Weltverschwörung Unheil an. Es wurde allerdings längst als Fälschung entlarvt. Mit seinen Betrachtungen über Theodor Fontane und Kurt Tucholsky trifft Benz schon eher ins Zentrum des aktuellen Diskurses.

    Ein Jude, der nun noch in Deutschland lebt, wo er völlig wie ein Zuchthäusler gehalten wird, das heißt, wie ein Mensch, der die bürgerlichen Ehrenrechte verloren hat, der ist ein ehrloser Mensch. Er mag diese Ehrenrechte nicht hoch einschätzen, das ist eine andere Sache. Aber sie empfinden die Kränkung nicht einmal. Also gebührt ihnen diese Behandlung. Es ist ein Sklavenvolk.

    Voll Ekel und Verachtung urteilte Tucholsky 1935 die in Deutschland verbliebenen Juden ab - ein Ausdruck tiefer Resignation, meint der Antisemitismusforscher Benz. Hier nimmt er sich Raum für eine eingehende Analyse.

    Vielleicht ist die Bemerkung "und eben das ist das Ghetto: dass man das Ghetto akzeptiert" ein Schlüssel zum Verständnis für Tucholskys denunziatorisches Wüten gegen die deutschen Juden. Er muss sich durch die so wenig kämpferische Hinnahme der Diskriminierung in der eigenen Person getroffen und beschädigt gefühlt haben. Die Niederlage der deutschen Juden, die immer mehr entrechtet und gedemütigt wurden, muss er als eigene Niederlage gesehen haben, und die versuchte er durch Distanzierung zu mildern. Den Grad der eigenen Verletzung sucht er im Angriff zu verbergen.

    Bestürzendes trägt der Berliner Historiker aus den privaten Äußerungen Tucholskys und Fontanes zusammen. All dies ist spannend zu lesen. Doch fehlt dem kleinen Buch ein erkennbares Konzept. In die Gegenwart führt allein das Kapitel über die "Juden in Deutschland nach 1945". Geschätzte 80.000 sind es heute. Ihr Leben sieht Benz im Spannungsfeld zwischen Philosemitismus und Antisemitismus.

    Die allgegenwärtige Angst vor Rechtsextremismus kann sich leicht zur Paranoia steigern. Die Nichtjuden, ohnehin eher ängstlich als sensibel im Umgang mit Juden, schwanken zwischen Philosemitismus, zur Schau getragen als "Bereitschaft zur Versöhnung" unter stereotyper Beteuerung, man habe jüdische Freunde, sei engagiert und betroffen , - und der alltäglichen Tabuisierung der Vergangenheit andererseits. Diese Attitüde zeigt sich etwa in der Vermeidung bestimmter Begriffe und Bezeichnungen, etwas des Wortes "Jude", das man mit Hinweisen auf "Herkunft" und "Abstammung" umschreibt. Gleichzeitig werden aber Vokabeln des Nazi-Jargons - arisch, ausmerzen, Endlösung, Sonderbehandlung - ganz unreflektiert weiter verwendet. Damit ist der Boden für Missverständnisse bereitet."

    An dieser Stelle schärft Benz den Sinn für all das, was unter der dünnen Decke der politischen Korrektheit noch immer vor sich hin gärt. Gleichzeitig aber läuft er Gefahr, auch das aufrichtige Bemühen um Annäherung als Attitüde abzutun. Dadurch könnte die Wirkung des Buches der Absicht des Autors auf absurde Weise zuwider laufen: Denn wo ernst gemeinter Eifer schlecht geredet wird, da könnten am Ende Frustration und Verdruss Früchte tragen.

    Wolfgang Benz: "Bilder vom Juden - Studien zum alltäglichen Antisemitismus", erschienen im C.H. Beck-Verlag, München, 160 Seiten - neun Euro neunzig Cent.