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Zauberformel für Kinohits

Wirtschaft - Seit einigen Jahren versuchen Experten vorab zu berechnen, wie viele Zuschauer ein geplanter Streifen in die Kinos locken wird. 2003 machte die Zauberformel für Kinohits erstmals Schlagzeilen. Eine Regisseurin und Professorin aus London hatte damals analysiert, welchen Einfluss Handlung, Action, Witz, Spezialeffekte und Musik darauf haben, ob ein Kinofilm zum Kassenschlager wird. Filmfans reagierten skeptisch, Investoren fanden den Ansatz spannend. Ralf Krauter hat nachgefragt, was aus der Idee geworden ist.

Von Ralf Krauter | 23.06.2009
    Eine Zauberformel für Kinohits gebe es zwar nicht, erklärte Nick Meany, der Chef der britischen Firma Epagogix 2007 in einem Radio-Interview. Aber man habe ein lernfähiges Computerprogramm entwickelt, das verrate, ob ein Drehbuch das Zeug zum Kassenschlager hat.

    "Wir haben ein neuronales Netzwerk mit charakteristischen Details unzähliger Filme gefüttert, von denen wir genau wissen, wie viel Geld sie an den US-Kinokassen eingespielt haben. Wenn uns ein Filmstudio ein neues Drehbuch schickt, zerlegen wir das Skript in seine Bausteine und stecken diese in Form von Zahlen in unser Programm. Die Software kommt dann zu dem Schluss: Diese spezielle Kombination charakteristischer Elemente wird vermutlich so und so abschneiden. Am Ende spuckt das Programm eine Zahl aus, die den zu erwartenden Umsatz an der Kinokasse verrät."

    Wovon handelt der Film? Ist es ein Thriller oder eine Familienkomödie? Welcher Star spielt die Hauptrolle? Welche Haut- und Haarfarbe hat er? Solche und viele andere Faktoren fließen in die statistischen Erfolgsprognosen von Epagogix ein. Mit Hollywood stehen die Briten nach eigenen Aussagen in regem Kontakt. Details zu Methodik und Qualität ihrer Kassenschlager-Formel verraten sie aber nicht. Wie oft die Vorhersagen aus London ins Schwarze treffen, ist deshalb schwer einzuschätzen. Auch für Experten wie Thorsten Hennig-Thurau von der Universität Weimar.

    "Epagogix setzt auf Drehbuchanalysen. Ich bin da deshalb ein bisschen skeptisch, weil ich glaube, dass das Drehbuch einen begrenzten Einfluss hat."

    Thorsten Hennig-Thurau ist Professor für Marketing und Medienforschung und arbeitet seit vier Jahren selbst intensiv auf dem Gebiet der Filmerfolgsvorhersage. Er ist überzeugt: Die Entscheidung, einen bestimmten Film im Kino anzuschauen, gehorcht ähnlichen Regeln wie die zum Kauf eines neuen Joghurts im Kühlregal.

    "Ganz wichtig sind heutzutage im Kino Marken. Und damit meinen wir alles, was in irgendeiner Weise eine Bekanntheit hat, was sie kommunizieren können auf Postern. Dazu gehört der Star, der Hauptdarsteller. Dazu gehört der Regisseur in Grenzen. Dazu gehören insbesondere Vorlagen. Dann gibt es noch die Kategorie der klassischen Marketing-Variablen, wie wir das nennen. Das ist die Anzahl der Startleinwände, auf denen sie einen Film starten. Und das Marketing-Budget. Dann gibt’s auch noch das Produktionsbudget, das kann man ganz gut als Maß nehmen, wie viel Sorgfalt, wie viel technische Akkuratheit und Professionalität letztlich in so einem Film drin steckt. Das sind sehr gute Schätzer."

    Auf Basis dieser Erkenntnisse haben die Weimarer Forscher ein Computerprogramm geschrieben, das den Kassenerfolg eines Kinofilms bereits Monate vor seinem Anlaufen vorhersagt. Am präzisesten bei Fortsetzungsfilmen wie Batman Returns, Rambo 5 oder Star Trek 11. Hier liegen die Prognosen im Mittel nur 15 bis 20 Prozent daneben. Droht ein Film beim Publikum durchzufallen, kann das Studio zum Beispiel immer noch versuchen, durch mehr Werbung mehr Zuschauer anzulocken.

    Obwohl Thorsten Hennig-Thurau die Qualität seiner Prognosen in den letzten Jahren ständig verfeinert hat und seine Ergebnisse regelmäßig in Fachzeitschriften publiziert, klopfen Filmproduzenten für seinen Geschmack immer noch zu selten bei ihm an. Die Kreativen vertrauen lieber ihrem Bauchgefühl als dem Urteil eines Zahlenmenschen.

    "Die Filmindustrie versucht so ein bisschen sich zu stilisieren als eine singuläre Branche, bei der es erstens gar keine Regeln gibt und zweitens gar keine Ähnlichkeiten zu all den anderen Produkten, die wir so im täglichen Leben kaufen. Das halte ich schlicht gesagt für absurd und falsch. Das ist sehr viel Stilisierung dabei oder Mythologisierung."

    Ob Filmflüsterer wie Hennig-Thurau bald häufiger gefragt sind, wird deshalb davon abhängen, ob Filmfonds und Fördereinrichtungen künftig genauer prüfen, wem sie ihr Geld anvertrauen. Beim aktuellen Projekt von Steven Spielberg, der gemeinsam mit Peter Jackson die Abenteuer der belgischen Comic-Helden Tim und Struppi verfilmt, hätte der Experte aus Weimar eher abgeraten. Zu riskant. Der Grund: In den USA sind Tim und Struppi praktisch unbekannt.

    "Wenn so ein Film bestimmte Kriterien nicht erfüllt – wie eben die Stärke einer Vorlage – und in dem Fall auch eben keine Stars beispielsweise hat, dann hat er es schwer. Und sie können ja sehen: Wenn der 150 Millionen Dollar kostet, dann muss der halt letztendlich mindestens 500 Millionen einspielen, damit der halt am Ende bei dem produzierenden Studio, in dem Fall Disney, tatsächlich Geld übrig bleibt. Und da kann ich sozusagen schon die Daumenregel sagen: Das ist schwer."

    Ein Beitrag aus der Reihe Tolle Idee! - Was wurde daraus?