Montag, 29. April 2024

Archiv


Zauberformel "Solidarische Integration"

Im Wahlkampf hatte er ihn kritisiert, nun will François Hollande den Fiskalpakt ratifizieren. Das stößt auf Widerstand - auch in den eigenen Reihen. Zugleich flammt in Frankreich eine grundsätzlichere Europadebatte auf – angestoßen durch Deutschlands Wunsch nach "mehr Europa".

Von Ursula Welter | 09.10.2012
    Unterzeichnet, nicht ratifiziert, also Verhandlungsspielraum. Die Kritik, die François Hollande am Europäischen Fiskalpakt im Wahlkampf geübt hat, haben manche noch nicht vergessen. Auch Parteifreunde Hollandes nicht:

    "Der Text ist nicht verändert, nicht nach verhandelt, deshalb bin ich nicht einverstanden."

    Automatische Sanktionen, kaum Spielraum für das nationale Parlament, ein Sparkorsett, das das Wachstum bremst, und nach wie vor Unklarheit über die Rolle der EZB und die Frage gemeinschaftlicher Schulden, also Eurobonds – da werde sie nicht zustimmen, sagt die sozialistische Senatorin, Marie Noelle-Lienemann.

    Und auch im Parlament werden den Sozialisten Stimmen fehlen, in der Probeabstimmung vor einer Woche sagte 13 Genossen "Nein. Die Linksfront ist geschlossen dagegen und auch die meisten Grünen, die mit den Sozialisten ein Wahlbündnis geschlossen haben, wollen beim Fiskalpakt nicht mitmachen.

    Die Abstimmung in Parlament und Senat wird von Protesten begleitet werden, für heute hat die in der kommunistischen Tradition stehende, mächtige Gewerkschaft CGT zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen in vielen Städten Frankreichs aufgerufen. In den Unternehmen kursieren seit einigen Wochen Manifeste mit dem Logo der CGT gegen den Fiskalpakt und der Vorsitzende, Bernard Thibault, sagt: "Austerität", ein Spardiktat, lehnen wir ab und außerdem

    "... .ist das derselbe Text, der ist nicht verändert, den fanden wir vor den Wahlen schädlich und finden ihn jetzt schädlich und deshalb machen wir Druck auch auf Abgeordnete, damit sie – wie die europäische Gewerkschaftsbewegung auch - den Fiskalpakt ablehnen."

    Ob die Gewerkschaft über die eigenen Aktivisten hinaus mit ihrem Appell Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Die linke Gewerkschaft steckt in einem internen Führungs-Machtkampf und da kommt das Thema "Fiskalpakt" als Profilierungsmöglichkeit gerade recht.

    So oder so wird die Debatte über den Fiskalpakt ohnedies nur ein Vorgeschmack sein. Denn die Regierung, unter dem neuen Präsidenten, arbeitet an ihrer Europastrategie. Denn eine Antwort muss her auf das Drängen Deutschlands nach "mehr Europa", nach Vertiefung der politischen Union. Jean-Marc Ayrault, Frankreichs Premierminister, studierter Germanist, sagte etwa in der Deutschen Botschaft am Tag der Deutschen Einheit:

    "Der Hinweis auf eine neue Etappe in der deutsch-französischen Beziehung, die ich, wie Sie wissen, voll unterstütze, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Europa vor großen Herausforderungen steht."

    Frankreich sieht sich als Mittler in Europa, will das dem deutsch-französischen Verhältnis etwas von seiner Exklusivität nehmen, will die Südländer im Boot halten, und will vor allem eine Sprachregelung finden, mit der die Europaskeptiker im eigenen Land, in der eigenen Partei zumal, von einer Vertiefung überzeugt werden könnten. Das Zauberwort, um die Herausforderungen zu meistern, heißt "solidarisch".

    "Die wir nur gemeinsam und solidarisch bewältigen können."

    "Vergemeinschaftung" der Schulden wäre ein solches Zeichen von Solidarität aus Pariser Sicht. Eine föderale Struktur für Europa ließe sich kaum durchsetzen, zumal der Premierminister einräumt, es müsse ein Referendum geben, sollten die Europäischen Verträge geändert werden.

    Es war kein Zufall, dass der Premierminister in deutscher Sprache sagte, welches Europa sich Frankreich unter der neuen Regierung vorstellt:

    "Deshalb geht die neue französische Regierung von einer 'solidarischen Integration' aus, nach der jeder Integrationsfortschritt mit einer Verstärkung der Solidarität zusammenhängt."

    Das ist die Formel der Europapolitik unter dem neuen Präsidenten Hollande "Solidarische Integration". Vertiefung nur, wenn es Solidarität gibt. Denn offenbar nur mit einer Gegenleistung bestünde Hoffnung, das Lager der "Neinsager", der Europakritiker, klein zu halten.
    Wie ernst aber wird Frankreich die Regeln des Fiskalpaktes nehmen? Dient die Unterschrift, wie es der Herausgeber der Zeitung "Libération", Laurent Joffrin, ausdrückt, nur zur Beruhigung der Deutschen?

    Im Hintergrund laufen bereits die Debatten, wird Frankreich angesichts des ausbleibenden Wirtschafts-Wachstums seinen Schuldenstand wie versprochen senken können? Premierminister Jean-Marc Ayrault macht klar, Frankreich wolle kein Aufweichen von Kriterien, wenn es mehr "Solidarität" verlange:

    "Das bedeutet nicht, dass wir von manchen Ländern keine Anstrengungen fordern, wenn sie um unsere Hilfe bitten, aber mir liegt vor allem der Zusammenhalt Europas sehr am Herzen."