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Zentrum für Islamische Theologie
Moderater Leiter wird unter Druck gesetzt

Die großen Islamverbände kritisieren den Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster seit Wochen. Ihr Vorwurf: Er sei mehr Orientalist als Theologe. Jetzt scheint Mouhanad Khorchide bereit zu sein, die Leitung abzugeben.

Von Jan Kuhlmann | 21.11.2013
    Mouhanad Khorchide polarisiert. Im Internet hetzen salafistische Prediger gegen seine moderate Lesart des Islam. Auch die großen Islamverbände in Deutschland haben sich auf den Leiter des Münsteraner Zentrums für Islamische Theologie eingeschossen. Sie zweifeln seine Qualifikation als Wissenschaftler an, so wie Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. Mazyek wollte sich in dieser Woche nicht mehr vor dem Mikrofon äußern. Vor Kurzem hatte er sich jedoch in einem Interview mit der Nachrichtenagentur KNA heftig über Münster und Khorchide beklagt.
    "Die vier im Koordinationsrat KRM zusammengeschlossenen muslimischen Religionsgemeinschaften sind sehr besorgt über das, was da in Münster passiert. Wir bekommen täglich Briefe von unseren Gemeindemitgliedern, die sich beschweren. Khorchide redet, schreibt und handelt wie ein Orientalist und nicht wie ein Islamlehrer. Und das ist die Krux aller Probleme."
    Der Münsteraner Professor hat innerhalb von einem Jahr zwei Bücher veröffentlicht, in denen er zentrale Thesen der islamischen Orthodoxie in Frage stellt. So ist die Scharia, das islamische Recht, für Khorchide nichts anderes als ein menschliches Konstrukt. Er versteht sie nicht als juristisches System, sondern reduziert sie auf eine islamische Normenlehre. Für den Theologen reicht es auch nicht aus, fünf Mal am Tag zu beten und zu fasten, um ein guter Muslim zu sein – die religiösen Pflichten müssten mit reinem Herzen erfüllt werden, sagt er. Die Kritik an seiner Theologie weist Khorchide zurück – vor allem den Vorwurf, Orientalist und kein Theologe zu sein.
    "Es steht jedem frei, ein Urteil abzugeben. Und da lade ich auch jeden, ob Herrn Mazyek oder jeden vom KRM (ein), zu uns in die Lehrveranstaltungen sich hinzusetzen – bis jetzt habe ich niemanden gesehen, der in einer Lehrveranstaltung war – und sich genauer anzugucken: Was machen wir konkret? Wenn ich jetzt in jedem Buch mit über 400 koranischen Versen argumentiere, das ist keineswegs die Vorangehensweise eines Orientalisten oder eines Islamwissenschaftlers, sondern eines Theologen, der aus einer Innenperspektive das Ganze sieht. Und deshalb sehe ich meine Arbeit genuin als eine islamisch-theologische Arbeit."
    Die Kritik an Khorchide ist auch deshalb brisant, weil unterschwellig der Vorwurf im Raum steht, der Religionsgelehrte sei vom Islam abgefallen. Nach der Veröffentlichung seines ersten Buches hatten ihn muslimische Theologen öffentlich zur Reue aufgerufen.
    Der Vorwurf lautet "Abfall vom Islam"
    Abfall vom Islam – genau dieser Vorwurf brachte auch Khorchides Vorgänger in Münster zu Fall. Sven Kalisch musste 2010 nicht zuletzt auf Druck islamischer Verbände seinen Platz räumen. Er hatte die Existenz des Propheten Muhammad bezweifelt. Die vier großen Islamverbände arbeiten jetzt an einem Gutachten über Khorchides Theologie. Anfang Dezember soll es vorliegen und mit Fachleuten diskutiert werden – auch Khorchide selbst soll dazu eingeladen werden.
    Doch in Münster geht es längst auch um die Frage: Wie viel Einfluss haben die Islamverbände auf die Islamische Theologie an den Universitäten? In Münster hat sich dieser politische Streit am Beirat von Khorchides Institut entzündet. Obwohl rechtlich vorgeschrieben, hat sich das Gremium bis heute nicht konstituiert.
    Der Grund: Der Islamrat als einer der großen Verbände hatte ein Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs für den Beirat nominiert. Doch weil Milli Görüs vom Verfassungsschutz beobachtet wird, legte das Bundesinnenministerium sein Veto gegen den Kandidaten ein – und zwar über das Bundesbildungsministerium, den Hauptgeldgeber in Münster. Für Engin Karahan von Milli Görüs ist dieses Veto eine inakzeptable Einmischung des Staates in die Belange der Religion, wie er dem Deutschlandfunk im Mai sagte.
    "In Münster geht sie derzeit so weit, dass staatliche Stellen meinen, bestimmen zu können, wer an diesem Bekenntnis mitwirkt oder nicht mitwirkt. Das ist eine Einmischung, die verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, die auch verfassungsrechtlich nicht geboten ist, sondern im Gegenteil massiv gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstößt."
    Für die Islamverbände geht es damit nicht nur um den Beirat in Münster – sondern darum, vom Staat endlich als Religionsgemeinschaften anerkannt zu werden. Der Konflikt zwischen Staat einerseits und den Islamverbänden andererseits wird so letztlich auf dem Rücken der Islamischen Theologie in Münster ausgetragen.
    Für Münster stellt das Fehlen des Beirats ein großes Problem dar. Stellen können ohne das Gremium nicht besetzt werden – eigentlich berufene Professoren müssen sich deshalb mit Kurzzeitverträgen selbst vertreten. Das Zentrum arbeitet trotzdem weiter. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime hat Khorchide vorgeworfen, er stelle sich damit gegen die Verfassung, auch weil er das Beiratsmodell in einem Interview generell abgelehnt habe. Doch Khorchide weist den Vorwurf zurück.
    "Das habe ich auch nie so gesagt, auch nie so geschrieben. Was ich geäußert habe, ist nicht die Frage, ob Beirat, sondern wie gearbeitet wird. Das ist das Grundrecht der Muslime, dass sie an den Universitäten genauso wie, was den Religionsunterricht an den Schulen betrifft, dass sie hier ein Mitspracherecht haben und Ansprechpartner für den Staat sind. Die Frage ist nur nach dem Wie. Und das habe ich nur thematisiert."
    Islamische Theologie zwischen den Stühlen
    Gewinner gibt es in diesem Konflikt bislang keine, Verlierer ist die Islamische Theologie, die sich im Griff der Politik nur schwer frei entfalten kann. Diese Erfahrung hat auch der muslimische Publizist Eren Güvercin gemacht. Er war Mitglied im Münsteraner Beirat, legte das Amt jedoch im Streit mit der Universität nieder. Zugleich kritisiert er aber auch die Islamverbände. Er wolle sich nicht von einer Seite vereinnahmen lassen, sagt Güvercin. Der Publizist warnt davor, den Streit schwarz-weiß zu betrachten. Es gehe hier nicht um einen Konflikt zwischen einem liberalen und konservativen Islam.
    "Es gibt sehr viele Muslime, die die Debatte wirklich sehr differenziert verfolgen, gerade unter den jungen Muslimen, und die sowohl bei Professor Khorchide interessante Aussagen finden, die sie unterstützen würden. Aber genauso gut können sie auch bestimmte Bedenken, die es in der muslimischen Community und bei den muslimischen Verbänden gibt, auch nachvollziehen."
    Immerhin: Eine Lösung des Beiratstreits ist nun in Sicht. Die vier großen Islamverbände haben sich auf eine neue Kandidatin für das Gremium geeinigt, die Berliner Islamlehrerin Rukiye Kurtbecer. Sie arbeitet im Auftrag der Islamischen Föderation Berlin, die recht eng mit Milli Görüs verbunden ist. Der neue Name solle in den kommenden Tagen der Uni Münster übermittelt werden, sagte Bekir Alboga vom Islamverband Dititb. Aus dem Koordinationsrat der Muslime heißt es zudem, das Bundesinnenministerium habe bereits grünes Licht für den Vorschlag gegeben. Auch Mouhanad Khorchide kommt seinen Kritikern entgegen. Er räumt ein, Fehler im Umgang mit den Verbänden gemacht zu haben.
    "Wenn (ich) es geschafft hätte im letzten Jahr, mich etwas intensiver auszutauschen mit den Vertretern, sodass wir öfters an einem Tisch sitzen oder gesessen hätten, hätte man einiges an Missverständnissen aus der Welt geschaffen. Vieles von dem, was ich da und dort höre – so stimmt es nicht. Das sind sehr viele Missverständnisse. Und ich habe mir auch vorgenommen, in Zukunft etwas mehr Zeit für die offene Kommunikation, auch mit den Vertretern im KRM, um einiges zu vermeiden. Das sind auf jeden Fall Fehler, die man gemacht hat."
    Aus Münster ist zudem zu hören, dass Khorchide bereit sei, auf die Leitung des Zentrums für Islamische Theologie zu verzichten. Ein entsprechendes Angebot solle den Islamverbänden unterbreitet werden, heißt es. Damit wolle Khorchide zeigen, dass es ihm nicht um seine Person gehe, sondern um die Islamische Theologie.