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"Zu einem unabhängigen Staat gehört mehr als eine Flagge und eine Hymne"

Khouloud Daibes, palästinensische Tourismusministerin, hat die Grundsatzrede des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu über die Gestaltung einer Zwei-Staaten-Lösung als Schritt zurück bezeichnet. Netanjahu biete "ein Ghetto unter israelischer Kontrolle" an. Israel müsse einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 67 und mit vollen Souveränitätsrechten anerkennen.

Khouloud Daibes im Gespräch mit Stefan Heinlein | 16.06.2009
    Stefan Heinlein: Zwei freie Völker, Seite an Seite, jedes mit seiner eigenen Flagge und Nationalhymne. So Benjamin Netanjahu in seiner Grundsatzrede am Wochenende, zumindest rhetorisch eine Kehrtwende. Noch im Wahlkampf hatte der israelische Ministerpräsident eine Zwei-Staaten-Lösung konsequent abgelehnt. Nun, unter dem Druck der Kayo-Rede des US-Präsidenten, ist er offenbar bereit, darüber zu reden - allerdings unter klaren Vorbedingungen:

    O-Ton Benjamin Netanjahu: Wenn wir diese Garantie der Entmilitarisierung und der aus israelischer Sicht erforderlichen Sicherheitsregelungen akzeptieren und wenn die Palästinenser Israel als den Staat des jüdischen Volkes anerkennen, werden wir zu einer echten Friedensregelung bereit sein, um zu einer Lösung eines entmilitarisierten palästinensischen Staates an der Seite des jüdischen Staates zu kommen.

    Heinlein: Trotz der klaren Bedingungen durchaus Lob für Netanjahu aus Washington, verhaltene Zustimmung auch bei den europäischen Außenministern, die palästinensische Seite dagegen reagiert mit Ablehnung, und darüber möchte ich jetzt reden mit der palästinensischen Tourismusministerin Khouloud Daibes. Guten Morgen nach Jerusalem!

    Khouloud Daibes: Schönen guten Morgen nach Deutschland!

    Heinlein: Frau Daibes, warum sind Sie nicht bereit, die ausgestreckte Hand des israelischen Ministerpräsidenten zu ergreifen?

    Daibes: Das ist eigentlich keine ausgestreckte Hand, das ist eine Explosion aller Friedensbemühungen, die wir seit 16 Jahren führen. Zu einem unabhängigen Staat gehört mehr als eine Flagge und eine Hymne. Insofern ist das eigentlich eine sehr gefährliche Rede, weil sie nicht basiert auf den internationalen Vereinbarungen, auf den vereinbarten Verträge, und sie stößt wirklich keine Tür zur Weiterführung der Friedensverhandlungen offen.

    Heinlein: Wollen Sie also die ganze Hand und nicht nur den kleinen Finger?

    Daibes: Nein. Es geht darum, dass wir seit 16 Jahren verhandeln. Das Kernproblem, was eigentlich in der Rede nicht anerkannt wurde, ist die Besatzung der 1967 besetzten Gebiete, was 22 Prozent des historischen Palästina ausmacht, und wenn das nicht anerkannt wird und umgekehrt würde die Nichtanerkennung des jüdischen Staates Israel als Grund gegeben, ich denke, das ist ein Fehler, was die Weltgemeinschaft nicht akzeptieren soll, wovor wir auch warnen wollen. Wir sind sehr ernst und haben auch gewartet auf eine seriöse Weiterführung der Friedensverhandlungen, gerade nach der Rede von Präsident Obama, und hier sehen wir wirklich, dass wir viele, viele Schritte zurückgehen, was eigentlich für die ganze Region gefährlich ist.

    Heinlein: Ist die Tür für Verhandlungen tatsächlich jetzt wieder zugeschlagen? So hat es Ihr Chefunterhändler formuliert.

    Daibes: Ja. Das Problem ist wie gesagt, nach 16 Jahren können die Palästinenser nicht mehr die Verwaltung der Besatzung akzeptieren. Jerusalem ist jeden Tag bedroht von weiterer Konfiszierung des Landes, von Vertreibung der Palästinenser aus Ost-Jerusalem. Das ist alles gegen das internationale Recht. Das sind besetzte Gebiete. Das Rückkehrrecht, das ist ein Menschenrecht, was auch total abgelehnt wird. Ohne diese eigentlich minimale Forderung der Palästinenser, was im historischen Friedensprozess angefangen hat, könnte man nicht zum Frieden kommen und ich denke, wenn man Zwei-Staaten-Lösung sagt, das sind zwei unabhängige Staaten, wo beide Völker mit Würde und mit vollen Zuständigkeiten leben.

    Was Netanjahu anbietet ist, wenn Sie so wollen, ein Ghetto unter israelischer Kontrolle, eine Stateline, wo die Palästinenser überhaupt nichts zu sagen haben, und ich denke, nach über 60 Jahren Vertreibung und Besatzung ist es nicht zu viel verlangt, wenn die Palästinenser einen Staat verlangen in den besetzten Gebieten, einschließlich Jerusalem, und das basiert auch auf der internationalen Legitimität. Insofern: Wenn diese Prinzipien nicht anerkannt werden, ich denke, dann kann man nicht von einer besseren Zukunft für unsere Kinder reden.

    Heinlein: Frau Daibes, warum diese emotional schroffe Ablehnung? Warum zählt für Sie nicht diese Geste, zwei freie Völker, Seite an Seite? So eine Vision aus dem Munde von Benjamin Netanjahu, das wäre doch vor Wochen, vor Monaten noch undenkbar gewesen. Warum zählt nicht allein diese Geste und den Rest dieser Punkte, den Sie angesprochen haben, die Siedlerfrage, das Flüchtlingsproblem, kann doch dann Gegenstand von Verhandlungen sein?

    Daibes: Es geht nicht um Emotionen. Ich denke, im Gegenteil: Wir sind hier sehr seriös. Es geht wirklich darum, um einen langwierigen Konflikt, was auf der Besatzung basiert ist. Die Palästinenser, die palästinensische Autorität hat den Staat Israel anerkannt und insofern soll auch Israel einen palästinensischen Staat anerkennen, in den Grenzen von 67. Es geht nicht darum, dass man auch die Siedlungen in den besetzten Gebieten anerkennt, die illegal sind. Man redet von Siedlungen unter anderem Namen, und zwar, dass die natürliche Ausdehnung weitergeht. Insofern: Ich denke, man löst nicht das Problem, man verschönert die Besatzung, und das ist, wovor wir warnen wollen und wovor wir ganz ernst warnen, dass diese Rede nicht als wirklich eine Handstreckung für die Palästinenser dargestellt wird, als ob die Palästinenser jetzt das ablehnen. Im Gegenteil!

    Heinlein: Habe ich das richtig verstanden, Frau Daibes, Sie erkennen den israelischen Staat in den Grenzen von 67 ohne Wenn und Aber an? Gilt das auch für die Hamas?

    Daibes: Ja, in den Grenzen von 48.

    Heinlein: In den Grenzen von 48?

    Daibes: Ja. Aber man kann nicht von uns verlangen, bevor wir unseren Staat bekommen, was uns das internationale Recht eigentlich auch zugibt, dass wir auch die Natur dieses Staates anerkennen. Ich meine, man erkennt Iran nicht als einen islamischen Staat an in der Weltgemeinschaft, man erkennt alle Staaten als einen unabhängigen Staat und jeder Staat kann sich definieren wie er will, wenn er die Unabhängigkeit hat. Die Palästinenser haben einen israelischen Staat anerkannt. Das wird jetzt als Voraussetzung genommen, sogar den jüdischen Staat anzuerkennen, und ich denke, das ist sogar wirklich diplomatisch - -

    Heinlein: Frau Daibes, warum braucht denn ein palästinensischer Staat unbedingt eine eigene Armee?

    Daibes: Ich meine, man soll erst mal das Zwei-Staaten-Lösung-Prinzip anerkennen, und das hat auch Präsident Obama gefordert. Die ganze Sorge ist um die Sicherheit Israels und ich denke, dass es unsere Verantwortung als ein unabhängiger Staat ist, auch die Sicherheit unserer Nachbarn zu sichern. Das setzt aber voraus, dass wir in der Lage sind, einen eigenen Staat zu haben, wo wir uns auch schützen. Netanjahu wollte sogar die Grenzen des Staates Israel nicht definieren, auch die Grenzen der zukünftigen Stateline Palästinas nicht definieren. Er setzt das in Verbindung mit der Sicherheit Israels, diese zu verteidigen.

    Heinlein: Frau Daibes, Sie haben den US-Präsidenten angesprochen. Er hat die Netanjahu-Rede als einen wichtigen Schritt vorwärts interpretiert. Sind Sie nicht gerade dabei, die neuen US-amerikanischen Sympathien zu verscherzen?

    Daibes: Nein. Wir begrüßen die seriösen Bemühungen der amerikanischen Politik im Nahen Osten und ich denke, es ist an der Zeit, dass man wirklich nicht zu weiteren 16 Jahren Verhandlungen kommt, denn die ganze Region kocht und der Extremismus wird auch dadurch fruchtbarer. Ich glaube, diese Bemühungen sollen wirklich auf richtiger seriöser Basis festgelegt werden, und wenn der Anfang nicht richtig ist, denke ich, dass wir nicht vorankommen. Es geht um das internationale Recht, es geht um UN-Resolutionen, es geht um klare Forderungen der Palästinenser, und ich denke, das hat Präsident Obama sehr klar dargestellt. Dass es ein Schritt in die richtige Richtung ist, das mag sein, wenn man es vergleicht mit der - -

    Heinlein: Frau Daibes, ich muss Sie unterbrechen. - Heute Morgen im Deutschlandfunk die palästinensische Tourismusministerin Khouloud Daibes. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Jerusalem.

    Daibes: Auf Wiederhören.