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Zum Tod von Klaus Harpprecht
"Er war kein Gelehrter, er war ein Universal-Geschichtenerzähler"

Der früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann arbeitete lange Jahre mit dem gestorbenen Publizisten Klaus Harpprecht zusammen. Harpprecht gehörte zu den deutschen Nachkriegsjournalisten, die die Einübung der Demokratie vorwärtsgetrieben hätten, sagte Naumann im Deutschlandfunk: Und das in einem Land, das keineswegs scharf darauf gewesen sei, republikanisch oder demokratisch zu werden.

Michael Naumann im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 21.09.2016
    Der Publizist Klaus Harpprecht auf der Frankfurter Buchmesse 2011.
    Der Publizist Klaus Harpprecht auf der Frankfurter Buchmesse 2011. (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Der früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann arbeiteten lange Jahre mit dem nun gestorbenen Publizisten Klaus Harpprecht zusammen. Harpprecht gehörte zu den deutschen Nachkriegsjournalisten, die die Einübung der Demokratie vorwärtsgetrieben haben - und in einem Land, das keineswegs scharf darauf gewesen sei, republikanisch oder demokratisch zu werden, sagte Naumann im Deutschlandfunk.
    Maja Ellmenreich: Und nun haben wir die traurige Aufgabe, an Klaus Harpprecht zu erinnern, der heute im Alter von 89 Jahren in Südfrankreich gestorben ist. Journalist, Verleger und Schriftsteller war er, Thomas-Mann-Biograf, Funk- und Fernsehberichterstatter aus aller Welt, Redenschreiber von Willy Brandt und Dokumentarfilmer, um nur einige wenige Berufsbezeichnungen zu nennen. Über Klaus Harpprecht habe ich vor der Sendung mit dem Publizisten und früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann gesprochen, der mehrere Jahre lang gemeinsam mit Klaus Harpprecht "Die andere Bibliothek" editiert hat.
    Klaus Harpprecht soll Studenten gegenüber mal den Satz gesagt haben "Journalismus – das sei die Chance, viele Leben zu leben." Ich habe Michael Naumann gefragt, ob die Neugier, die aus dieser Definition spricht, ob das die dominierende Charaktereigenschaft von Klaus Harpprecht gewesen sei?
    Michael Naumann: Das auch. Ich glaube, die dominierende Charaktereigenschaft von Klaus Harpprecht sind aber noch einige andere Fähigkeiten und Tugenden gewesen. Erstens, was immer in der Bewunderung, die diesem Mann entgegenfloss unterschlagen wurde: Er war immens fleißig. Er gehört zu diesen Journalisten, die keinen hässlichen Satz schreiben konnten. Was aber meistens übersehen wird ist, dass er wie jeder gute Schriftsteller lange geübt hat und immer neue Fassungen geschrieben hat, ehe dann der fertige Artikel, das fertige Buch vorlag.
    Michael Naumann
    Michael Naumann. (dpa / Robert Schlesinger)
    Ein sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl
    Unter anderem aber will ich besonders hervorheben, dass er ein sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, ein Freiheitsgefühl hatte. Das hört sich heutzutage sehr pathetisch an, nicht wahr, aber er gehörte zu den Nachkriegsjournalisten, die die Einübung der Demokratie vorwärtsgetrieben haben in einem Land, was keineswegs so scharf darauf war, republikanisch oder demokratisch zu werden.
    Und schließlich: Er gehörte zu den Journalisten, weil sehr jung, der sich nicht von Entgleisungen jeglicher Art in "Das Reich" oder im "Völkischen Beobachter" persönlich distanzieren musste. Er ist als 17jähriger eingezogen worden und kam mit einem Lungendurchschuss ins Lazarett und hat dann in der Rekonvaleszenz-Phase in Schwaben das gesamte Werk, glaube ich, von Thomas Mann, sofern es schon vorlag, gelesen. Und ich glaube, das war seine wesentlichste universitäre Erziehung, die Lektüre dieser Bücher.
    Er schlug sich auf die Seite von Konrad Adenauer
    Ellmenreich: Waren diese Ereignisse und diese Erlebnisse im Krieg für ihn vielleicht auch Anlass, sich später als Redenschreiber von Willy Brandt, als Unterstützer der Politik von Konrad Adenauer stark zu machen für die Politik, aber als jemand aufzutreten, der zwar eine politische Agenda hatte, aber der ausdrücklich unabhängig von parteipolitischen Zwängen sein wollte?
    Naumann: Das haben Sie schön gesagt, denn Sie haben ganz richtig erwähnt Konrad Adenauer. Das wird heutzutage als selbstverständlich hingenommen. Es ging aber in den 50er-Jahren, also in der unmittelbaren Nachkriegszeit, für viele Intellektuelle, linke wie rechte, um eine Entscheidung: Wohin soll sich eigentlich dieses kriegsgebeutelte Land hin entwickeln, zu einer westlich orientierten Demokratie, zu einem neutralen Land, oder gar zu einem Land Richtung Sozialismus. Und diese Diskussionen, die waren sehr heftig, und Klaus Harpprecht hat sich auf die Seite der Westbindung und damit auch auf Adenauers Seite geschlagen. Das war aber auch die Richtung, die der damalige Politiker in Berlin, der junge Politiker Willy Brandt eingeschlagen hatte, und die beiden kannten sich in den Nachkriegsjahren. Das waren ja die Jahre von Reuter und Schumacher und Willy Brandt war nicht so ein Nationalist wie Reuter oder wie Schumacher, und das gefiel dem jungen Harpprecht. Aus dieser Zuneigung zu diesem charismatischen, jungen Willy Brandt entwickelte sich dann auch eine persönliche Freundschaft, die zu einer gewissen Nähe zur Sozialdemokratie führte. Ob er Mitglied war der SPD, ehrlich gesagt, das weiß ich gar nicht.
    Theorie war ihm fremd
    Ellmenreich: Nun hat er seit über 30 Jahren in Frankreich gelebt. Wie nah war Klaus Harpprecht denn zuletzt den Themen, die heute in Deutschland diskutiert werden? Hat er da noch rege Anteil genommen und sich mit eingebracht?
    Naumann: Ja. Er war, glaube ich, praktisch jeden zweiten Monat in Deutschland, in Berlin und auch anderswo, schon um seine Lesungen zu gestalten. Er hat 14 Bücher geschrieben. Er war ein enorm fleißiger Zeitungsleser. Ich glaube, er hat so alle großen Zeitungen der Republik, aber auch Amerikas und Frankreichs gelesen. Der Mann war perfekt informiert.
    Ellmenreich: Würden Sie das Wort "Universalgelehrter" gelten lassen für ihn?
    Naumann: Nein, er war kein Gelehrter. Theorie war ihm fremd. Ein Universal-Geschichtenerzähler war er. Er liebte es, Geschichten, andere Menschen zu beschreiben, zu erzählen und alles Theoretisieren war ihm völlig fremd. Obwohl Schwabe hatte er, glaube ich, keine einzige Zeile von Hegel gelesen. Der war ihm Wurst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.