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Zunehmende Israel-Kritik unter Christen

Die Tagung "Die Kirchen und Israel" in Berlin, zu der der Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit eingeladen hatte, sollte etwas gerade rücken. Denn in letzter Zeit ist auch in den christlichen Kirchen die Kritik an Israel lauter geworden.

Von Gerald Beyrodt |
    In der evangelischen Kirche in Deutschland hat es viele differenzierte Stellungnahmen zu diesem Dokument gegeben, aber auch unkritische Parteinahmen, gerade an der Basis. Im vergangenen Jahr schrieb ein Pastor im deutschen Pfarrerblatt eine Polemik gegen Israel und behauptete zum Beispiel, oberstes Prinzip des Staates Israel sei die Landnahme. Ein Teil der Juden sei "bereit, um des Landes Willen Menschen zu opfern". Im Internet sind viele begeisterte Kommentare zu dem Artikel nachzulesen. Kirchenobere sehen hingegen die Erfolge des christlich-jüdischen Dialogs in Gefahr - so etwa der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider:

    "Ich dachte in der Tat, dass wir in diesem Dialog weiter gewesen wären. Wir haben in jedem Kirchenkreis einen Beauftragten für das Gespräch, wir haben jüdische Lehrhäuser in ganz vielen Kirchenkreisen, die also regelmäßig arbeiten, das Thema ist Teil des Examens, so dass sich also auch die Pfarrer und Pfarrerinnen über das Thema bilden müssen und befragt werden. Die Diskussionen, die im Augenblick jetzt über das Kairos-Papier losgegangen sind, sichern noch nicht, dass das Inhaltliche auch da ist, sondern man muss immer wieder von Vorne anfangen und nacharbeiten und genau in solch einem Prozess sind wir. Das ist so."

    Der Staat Israel sei die die einzige realistische Möglichkeit für Israelis, selbstbestimmt leben zu können. Nikolaus Schneider:

    "Solange dies der Fall ist, stehen wir als Christinnen und Christen in Solidarität mit dem Staat Israel, für dessen Existenz wir einzutreten haben."

    Der katholische Bischof von Aachen Heinrich Mussinghoff forderte einen gerechten Frieden in Nahost:

    "Aus der Sicht der katholischen Kirche hängt die Lösung des Nahostkonfliktes wesentlich davon ab, dass dieser Konflikt als politischer und nicht als religiöser Konflikt wahrgenommen und behandelt wird. Es ist ein Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, es ist kein Konflikt zwischen Juden und Muslimen. Die Unterscheidung von Religion und Politik ist umso notwendiger, als es für beide Konfliktparteien verführerisch ist, politische Ziele religiös zu legitimieren."

    Traditionell haben die Kirchen ein schwieriges Verhältnis zu Israel. Dass Juden ihr Land im ersten und zweiten Jahrhundert nach der Zeitrechnung verlassen mussten, hat der christlichen Tradition zufolge einen klaren Grund: Es sei eine göttliche Strafe dafür, dass sich Juden Jesus nicht als Messias anerkannt hätten. Zudem waren die Kirchen der Ansicht, Israel als auserwähltes Volk abgelöst zu haben. Solche Ansichten werden in den orientalischen Kirchen bis heute vertreten. Das sei dem Kairos-Palästina-Dokument auch anzumerken, findet Pfarrer Michael Volkmann, Beauftragter für den christlich-jüdischen Dialog in Württemberg. Israel sei in dem Papier theologisch eine "Leerstelle".

    "Die christlichen Kirchen des Orients haben die Abwendung von der anti-judaistischen Tradition nicht vollzogen in dem Maße, wie wir's hier im Westen vollzogen haben. Gerade aus den theologischen Aussagen des Papiers wird deutlich, dass gerade die orientalischen Christen immer wieder Jesus gegen das Judentum setzen, und ihn als Revolutionär sehen, der dem Alten Testament eine ganz andere Bedeutung gegeben hat, bestimmten Aussagen, die den Juden gesagt wurden, eine andere Bedeutung gegeben hat, die dadurch quasi relativiert werden. Das ist eigentlich der Kern der Sache. Wir trennen Jesus nicht vom Judentum: ein geborener Jude, ein hingerichteter Jude, der sogar als Auferstandener und als Wiederkommender seine Bindung an Jerusalem nicht aufgibt. Wir setzen ihn nicht in Kontrast zum Judentum."

    Evangelische Kirchen in Deutschland sind hingegen der Ansicht, dass die Kirche Israel nicht ersetzt, sondern einen eigenen Weg gehe. Die Gründung des Staates Israel sei ein Zeichen für Gottes Treue zu seinem Volk, heißt in einem Papier der Evangelischen Kirche im Rheinland aus dem Jahr 1980.

    Der Vatikan pflegt erst seit den 90er-Jahren Beziehungen mit Israel - also seit einer Zeit, als sich eine mögliche Zwei-Staaten-Lösung andeutete. Bei den katholischen Laien hat sich die Stimmung in den letzten Jahren geändert, sagt der katholische Theologe Hans Hermann Henrix, Berater der katholischen Bischöfe in Deutschland in Fragen des Judentums.

    "Wir haben innerhalb der katholischen Kirche und unter den katholischen Christen doch eine zunehmende Israelkritik."

    In höflichen und wohl gewogenen Worten deutet der Experte an, dass er manche Statements der katholischen Friedensbewegung Pax Christi im Ergebnis sogar judenfeindlich findet.

    "Gelegentlich kommt aus diesem Kreis eine Israelkritik, die etwa die Unterkommission für die christlich-jüdischen Beziehungen der deutschen Bischofskonferenzen denn doch veranlasst, denn doch das Gespräch mit den katholischen Mitchristen eben halt zu suchen und mit ihnen halt zu diskutieren: Wird hier ein pro-palästinensisches Engagement nicht verunklart durch ein Engagement, die vielleicht weitere Voraussetzungen in einer doch feindlichen Grundstimmung gegenüber dem jüdischen Volk hat. Hier diese interne Diskussion einer doch wachsenden Israelkritik zu führen, das steht in diesen Wochen und Monaten an."

    Harsche Kritik mussten sich die Katholiken von Alan Posener anhören. Der Publizist ist für polemische Spitzen bekannt.

    "Nehmen wir Bischof Gregor Maria Hanke. Bei einem Israelbesuch sagte er, 'morgens in Yad Vashem die Fotos vom unmenschlichen Warschauer Ghetto. Abends fahren wir ins Ghetto in Ramallah. Da geht einem der Deckel hoch'. Und damit sein Kollege in Christo nicht missverstanden wird, setzt sein Begleiter, der saubere Bischof Walter Mixa nach, 'die ghettoähnliche Situation in den besetzten Gebieten', sei "'ast schon Rassismus'. Was wollen die hohen Herren damit sagen?"

    Die Situation in Gaza sei sicherlich schlimm, meinte Posener, nur sei sie sicher nicht mit dem Warschauer Ghetto zu vergleichen. Aus dem Ghetto seien die Menschen schließlich in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet worden.

    Warum wählt ein Bischof einen Vergleich, der sachlich nicht zutrifft? Warum sind solche Vergleiche in Deutschland überhaupt so häufig zu hören? Und warum empören sich in Deutschland Menschen über Israel, die sich sonst nicht für Politik interessieren?

    Antworten auf solche Fragen gab der evangelische Theologe Rolf Schieder von der Berliner Humboldt-Universität. Schieders These: In Deutschland sei die Erinnerung an die Schoa zur Zivilreligion geworden.

    "Ich halte es für ein Problem. Ich fände es besser, wenn man die Schoa als ein historisches Faktum nähme, aus der die Deutschen eine Verantwortung haben. Die zivilreligiöse Aufladung sorgt sofort wieder für Reaktanzen, und das ist, glaube ich, für die deutsche Debatte problematisch."

    Die Deutschen von heute hätten permanent das Gefühl, dass ihnen Schuld an der Schoa zugeschoben werde. Um von sich Schuldgefühle abzuwehren, täten sie sich mit besonders vernichtender und ungerechter Israelkritik hervor. Ungerecht sei Kritik vor allem, wenn sie das Land als Ganzes in Frage stelle, oder an Israel andere Maßstäbe anlege als an andere Staaten.

    "Ich glaube, dass es viele gibt, die an den Stammtischen, auch Kollegen von mir, in einer Weise über den Nahostkonflikt reden, wie ich es nicht für möglich gehalten habe. Aber immer mit dem Vorspruch: 'Man darf es ja nicht laut sagen öffentlich'. Und ich finde, wenn sich eine solche Kultur in weiten Kreisen etabliert, dann haben wir hier ein Problem. Wenn die öffentlichen Reden sozusagen immer israelfreundlich sind, aber das Bewusstsein der Bevölkerung ein völlig anderes ist."