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Zweimal Elite

Zwei Bücher widmen sich je auf ihre Art dem Thema Elite: Die junge Nachwuchsjournalistin Julia Friedrichs schreibt eine eher flotte Homestory der Aristokratie deutscher Hochstapler und reicher Wichtigtuer. Die langjährige FAZ-Bildungsredakteurin Heike Schmoll plädiert theoretisch fundiert für eine Elite im klassischen, bildungsbürgerlichen Sinn. Unsere Rezensentin Jacqueline Boysen hat an beiden Bänden Gefallen gefunden.

16.06.2008
    Jeder Staat brauche seinen Adel, aber nicht den ein für allemal verankerten in Geburt und Besitz, sondern die immer wieder erneuerte Aristokratie derer, die sich auszeichnen für eine Nation - so beschrieb schon Heinrich Mann eine sich stets erneuernde Elite, die sich durch herausragende Leistungen qualifiziert und der Demokratie Anregung und Stütze ist.

    Zwei Journalistinnen spielen auf höchst unterschiedliche Weise mit dem schillernden Begriff Elite: Die eine, jüngere Autorin, Julia Friedrichs, stößt zunächst eher zufällig auf den Gegenstand ihrer Betrachtung. Sie bewirbt sich mit Erfolg bei McKinsey und erlebt staunend die Hybris, mit der sie nun in Berührung kommt. Irritiert taucht sie ein in eine Welt, in der vor Energie strotzende Nachwuchsberater ihre übervollen Terminkalender als Bestätigung der eigenen Wichtigkeit wie einen Fetisch herumzeigen. Beispiel Bernd, Student an der European Business School:

    "Bernd klang, als wäre er Mitte dreißig. Er sprach überlegt und kontrolliert, mit tiefer Stimme, die früh gealtert zu sein schien. Vielleicht geht sein Körper das hohe Tempo einfach mit, denn Bernd lebt schneller als andere, 'intensiver' nennt er das. Zwölf bis vierzehn Stunden dauern seine Arbeitstage. Auch an der Uni. 'Es gibt während der Woche selten Phasen, in denen ich überhaupt nichts mache', sagt Bernd und ich schäme mich, mit ihm nur ein wenig plaudern zu wollen. Über Elite."

    Getrieben von Neugier und mit einer gehörigen Portion Misstrauen ausgestattet begibt sich die 1979 geborene Julia Friedrichs von ihrer WG aus dann staunend in verschiedene Milieus, die aus ihrem Reichtum, ihren Traditionen oder ihren Beziehungen das Recht ableiten, sich über den durchschnittlichen Rest der Welt erheben zu müssen: Julia Friedrichs entlarvt selbsternannte Eliten, High-Potentials aus Wirtschaft und Gesellschaft und deren privilegierten, satten Nachwuchs.
    Die andere Autorin, Heike Schmoll, langjährige Redakteurin der FAZ, verfasst ein inspirierendes wie auch vehementes Plädoyer für moderne Eliten im klassischen, bildungsbürgerlichen Sinne: Elite mit dem Merkmal intellektueller Exklusivität, frei im Denken und verantwortungsbewusst im Handeln. Die humanistischen Idealen verpflichteten Vorreiter und Vordenker der Gesellschaft werden von ihr beschworen - wobei die Autorin nicht ignoriert, dass sie eine aussterbende Spezies betrachtet. Im Interesse der Demokratie aber möchte Heike Schmoll den Ausgezeichneten in der Gesellschaft auch im 21. Jahrhundert Mut geben, sich hervorzutun und die Gesellschaft anzuregen, Hervorragendes wieder zu würdigen. Elite ist für sie kein Zustand des Daseins, sondern eine Lebenseinstellung, die stets aufs Neue reflektiert und errungen werden muss.

    Ganz klar: ein solches Verständnis vom elitären Untersuchungsgegenstand unterscheidet sich eklatant von dem eher exotisch-bunten Bild, das Julia Friedrichs von den jungen Reichen mit all ihren Statussymbolen entwirft: Elite als Kaste, die sich selbst über die Gemeinschaft erhebt oder - bei Heike Schmoll - Elite als gesellschaftlich anerkannte, aber individuell errungene Exzellenz:

    "Ständige kritische Selbstüberprüfung, ein hohes Leistungsethos, die Fähigkeit, Unterschiede auszuhalten und Einsamkeit zu ertragen, sind nur einige der mentalen Voraussetzungen von Eliten. Sobald Eliten sich selbst für das Maß aller Dinge halten, machen sie sich zum Gegenteil dessen, was sie zu sein beanspruchen."

    Die ehrenhalber promovierte evangelische Theologin und Germanistin redet also weder einer tradierten Günstlingswirtschaft oder dem Corpsgeist von Hochgeborenen das Wort. Vielmehr möchte sie stumpfsinnigen Kadern und eigenschaftslosen Opportunisten, die unsere Gesellschaft lähmen und normieren, Exzellenz im Denken und Handeln entgegenstellen. Starke Eliten, mündige, unabhängige Denker gelten Heike Schmoll als Garant für einen funktionierenden demokratischen Rechtsstaat.

    "Das gilt allerdings nur dann, wenn der Zugang zu allen Eliten zumindest prinzipiell offen bleibt. Jede Gesellschaft hat Eliten, ob sie will oder nicht. Aber von der Beschaffenheit ihrer Eliten hängt ihre eigene Zukunftsfähigkeit ab. Die Demokratie ist der Elitenbildung in besonderer Weise aufgeschlossen, weil keine politisch dominante Elite die Bildung anderer Eliten verhindern oder gleichschalten muss und es sich bei Eliten in der Demokratie immer um plurale Eliten handelt."

    Diese Eliten konstituieren sich durch Bildung - und hier beginnt Heike Schmoll mit einer bitteren Analyse unseres Bildungssystems. Scharf rechnet sie ab mit politisch gewollten, rücksichtslos eingeführten Reformen, die nicht nur das historisch gewachsene Alleinstellungsmerkmal der deutschen Universität als Ort von Forschung und Lehre opfern, sondern auch in den Schulen verheerend wirken.

    Ein technokratisch-funktionalistisches Verständnis von Bildung setze sich durch, Instant-Bildung, die nichts anderes als Unbildung hervorbringe. Der Verlust an Zeit und Muße begünstige das Mittelmaß. Auf der Strecke blieben unterschiedliche Begabungen, das freie Lernen und die Erfahrung des Denkens als konstitutives Element der Persönlichkeitsentwicklung.

    Diese Philippika wider den totalitären Ungeist in mediokren Schul- und Wissenschaftsverwaltungen ist als Hilferuf zu verstehen. Die entsprechenden Kapitel im Buch von Heike Schmoll sollten sich Bildungspolitiker hinter ihre feige angelegten Ohren schreiben: Hier enttarnt jemand kenntnisreich und sehr zugespitzt den großen Bluff der vermeintlich so modernen Reformen. Der Bologna-Prozess raubt unserem Bildungssystem die Freiheit - und die Möglichkeit, Eliten - besonders gebildete Individuen - auszubilden, die diese Gesellschaft im guten Sinne befruchten könnten.

    "Die Utopie von der Chancengleichheit sowie die Auffassung, dass vor Gott beziehungsweise vor dem Gesetz alle gleich seien, ließ die Skepsis gegenüber Eliten in demokratischen Systemen wachsen. Doch sind gerade Demokratien auf ihre unterschiedlichen, prinzipiell offenen Eliten angewiesen. Diese müssen sich den Vereinnahmungen einer zuweilen Autoritätssüchtigen, verehrungswilligen Öffentlichkeit widersetzen. Denn die Vereinnahmung brächte sie um ihre Daseinsberechtigung.

    Sie dürfen sich nicht als exzentrische Sonderklasse über sich selbst erheben, brauchen aber ein hohes Maß an Unabhängigkeit, um sich in Entscheidung und Haltung nicht korrumpieren zu lassen. Sie müssten sich in politisch ruhigen Zeiten durch Klugheit auszeichnen, durch schnelle Auffassungsgabe, Weitsicht, Entscheidungskraft sowie Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. In der Ausnahmesituation sollten die Eliten eine kritische Situation in ihren negativen und positiven Folgen vor sich sehen und dann beherzt eingreifen können.

    Eliten erweisen sich gerade darin als authentisch, dass sie den Ausnahmezustand sehr schnell begreifen, handelnd eingreifen und dadurch auch für eine begrenzte Zeit von ihrer Macht Gebrauch machen, aber keine dauerhaften Herrschaftsansprüche daraus ableiten. Denn die Zivilgesellschaft braucht selbstbewusste Bürger, aber keine selbstherrlichen Eliten."


    Während also Heike Schmoll als strenge Richterin und Verfechterin humanistischer Ideale auftritt, sammelt Julia Friedrichs als muntere Reporterin bunte Eindrücke in exotischen Parallelwelten. Was sie erlebt, spiegelt sie an ihren eigenen Erfahrungen - an dem, was sie als Kind in einem freundlich aufgeklärten westdeutschen Aufstiegs- und Mittelstandsmilieu als selbstverständlich kennengelernt hat.

    "Als ich vier war, konnte ich lesen und schreiben. APAP OLLAH - haben meine Eltern stolz aufbewahrt. Hallo Papa. Ich habe falsch herum geschrieben, weil das für Linkshänder einfacher ist, aber immerhin. Mit viel gutem Willen hätte man daraus eine besondere Begabung und damit einen besonderen Förderbedarf konstruieren können. Hat man aber nicht.

    Ich bin in den städtischen Kindergarten gegangen, in die Grundschule unseres Viertels, aufs Gymnasium, dann zu einer Uni, die das angeboten hat, was ich studieren wollte. Ganz normal - wie alle eben. Etwas anderes stand überhaupt nicht zur Diskussion. Ich habe den Eindruck, dass es dieses 'ganz normal' seit einigen Jahren nicht mehr gibt. Der Druck, möglichst früh möglichst viel zu leisten, wächst."


    Auch Julia Friedrichs richtet ihren Fokus auf die Frage, wo Eliten herkommen, wo sie gebildet werden. Die junge Reporterin begibt sich zu mehr oder minder dubiosen Eliteschmieden, die jungen Karrieristen oder vom Ehrgeiz zerfressenen Eltern ultimative Aufstiegsmöglichkeiten versprechen: in den Kindergarten, der drei Monate alten Babys eine Berieselung auf Englisch angedeihen läßt, um sie fit für die Globalisierung zu machen, auf champagnergesättigte Insider-Parties der Jungen und Teuren, und sie reist zu Akademien und Internaten, die Abschlüsse zu verkaufen scheinen, nicht aber intellektuelle Leistung anregen.

    An all diesen elitären Orten erlebt Julia Friedrichs einen Lebensstil totaler Abschottung von der als niedrig abgestempelten Allgemeinheit. Die Gier nach dem Bessersein treibt ihre Gesprächspartner um, zugleich wird deutlich, dass sich diese allerhöchstens mit ihresgleichen messen. Julia Friedrichs erlebt soziale Selektion pur. Leider geht sie der Klientel, die sie bisweilen naiv bestaunt, auch auf den Leim.

    Ein wenig oberflächlich sind ihre Analysen, ihre Beobachtungen aber sind treffsicher, und sie kokettiert nicht mit ihrer Verwunderung über das Erlebte: Der Geld- und Altadel ist vor ihr nicht sicher, ebenso wenig neureiche Bluffer. Überflüssigerweise garniert sie ihre Reportagen mit unausgegorenen Versuchen, dem Begriff Elite auch theoretisch auf den Grund zu gehen. Dafür aber stehen ihr weder Erfahrung noch Methodik zu Gebote. Das macht aber nichts, denn erstens lesen sich die Reportagen sehr locker und zweitens kann Heike Schmolls Band zur Hand nehmen, wer der Elite als abstraktem Begriff oder in seiner historischen Dimension auf den Grund gehen will.

    Im Zusammenspiel der beiden Bände wird deutlich, wie stark die Berater und diejenigen, die Berater heranzüchten und dressieren, allein auf die funktionale Nutzbarkeit von Bildung fixiert sind. Menschlichkeit wird reduziert auf Rituale, Bildung muss sich rentieren, die Quittung für die teure Ausbildung schlägt sich später auf dem Gehaltskonto nieder.
    So ergänzen sich beide Bücher: Das eine flott geschrieben und als Homestory der Aristokratie deutscher Hochstapler und reicher Wichtigtuer angelegt, mit einem Gruselfaktor bei den Kapiteln, die zeigen, wie Geschäftemacher an der Angst vor dem Abstieg verdienen, wie sich der Wirtschaftsadel hinter Statussymbolen verschanzt und wo geistloser Corpsgeist regiert.

    Der andere Band ist theoretischer angelegt, viel dichter - und doch bringt er den Leser bisweilen ins Träumen. Durch den Text von Heike Schmoll strömt ein angenehmer Hauch von Idealismus - und das nicht etwa romantisierend oder nostalgisch verklärt, sondern auf höchst anregende Weise. Denn nicht nur Bildungspolitikern, sondern auch den Eliten hierzulande, wäre eine Prise mehr Idealismus zu wünschen.

    Heike Schmoll: Lob der Elite
    C.H. Beck Verlag, 173 Seiten, 17,90 Euro

    Julia Friedrichs: Gestatten: Elite
    Verlag Hoffmann und Campe, 255 Seiten, 17,95 Euro