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Zwischen Belgrad und Kanada

Nicht erst seit den geopolitischen Verwerfungen der jüngsten jugoslawischen Kriege darf man David Albahari einen Grenzgänger nennen. Albahari wurde 1948 in Pec geboren. Im fernen Mittelalter war diese Stadt Wiege der serbisch-orthodoxen Kultur, heute liegt sie im vorwiegend albanisch besiedelten Kosovo. Den weitaus größten Teil seines Lebens verbrachte Albahari in Belgrad. Dort engagierte er sich als Mitglied der jüdischen Gemeinde, betätigte sich als Übersetzer englischsprachiger Literatur und veröffentlichte seit den siebziger Jahren eigene literarische Texte, die von der Kritik gern als politikferne Auseinandersetzung mit der Sprache im Geist der Postmoderne interpretiert wurden.

Von Martin Sander | 14.07.2005
    Als der großserbische Nationalismus unter Slobodan Miloševic triumphierte, verwandelte David Albahari einen Gastaufenthalt im kanadischen Calgary in ein ebenso dauerhaftes wie letztlich freiwilliges Exil. Seit 1994 lebt er in Kanada, veröffentlicht aber auch in Serbien und wurde er 1997 mit dem Literaturpreis der staatstragenden Wochenzeitschrift "NIN" bedacht.

    Im freiwilligen kanadischen Exil ist für David Albahari nicht nur die Zerstörung der kulturellen Identität Jugoslawiens ein zentrales Thema. Wenigstens ebenso entschieden hat sich der der Autor der traumatischen Erfahrung der Grenzüberschreitung zugewandt. Es geht um seine eigene Wanderung aus einem geschichtsübersättigten Europa in ein, wie es scheint, von Geschichtslosigkeit geprägtes Amerika. Tatsächlich erscheint der Übergang von der alten in die neue Welt in Albaharis Texten weniger als Flucht oder gar Befreiung denn vielmehr als ein Verzweiflungsschritt, der ins Bodenlose mündet.

    " Von all dem erzähle ich jetzt, da die Worte längst jede Bedeutung verloren haben und jedes laut gesprochene Wort - gleich in welcher Sprache - so fremd klingt, dass ich es in Wörterbüchern nachschlagen muss.

    Entschlossenheit und Gewissheit verließen mich eigentlich schon im Flugzeug. Während ich flog und, wie ich glaubte, dem brodelnden Abgrund entkam, näherte ich mich, ohne es zu wissen, einem anderen, in mir selbst verborgenen Schlund, genauso brodelnd und wüst, genauso voller Zweifel und Ratlosigkeit. Als ich aus dem Flugzeug in den eisigen Nordwind trat, flatterte ich wie eine Vogelscheuche. Nur die Stiefel hielten mich durch ihr Gewicht am Boden, alles andere gab es nicht mehr."

    Nach den Aufsehen erregenden Erfolgen der Romane "Mutterland" sowie "Götz und Meyer" hat der Eichborn Verlag dem deutschsprachigen Publikum nun zweiundzwanzig Erzählungen von David Albahari in der Übersetzung von Mirjana und Klaus Wittmann vorgelegt. Albahari setzt in alltäglichen, mitunter beklemmenden und nicht selten skurrilen Geschichten eine absurde Welt stets aufs neue in Szene. "Kyrillisch lernen" lautet der Titel einer dieser Geschichten. Der Erzähler lässt zwei Außenseiter der kanadischen Gesellschaft aufeinander treffen und sogleich wieder aneinander abprallen. Die Grundfragen des Glaubens werden zwischen dem nach Kanada emigrierten orthodoxen Priester einer serbischen Gemeinde und Sturmwolke, dem Indianer und Urenkel eines mächtigen Stammeshäuptlings, aufgeworfen. Eine Antwort auf diese gemeinsamen Fragen finden die beiden Outsider der kanadischen Gesellschaft nicht. Sie bleiben sich fremd, jeder betrachtet den anderen wie einen Außeririschen.

    Mehrfach wendet sich der Erzähler seiner jugoslawisch-jüdischen Familiengeschichte zu. Wenn er den Tod eines Onkels, des Tuchhändlers Ruben Rubenovic behandelt, gerät das zugleich zu einer Parabel über die Unmöglichkeit Realität in der Literatur einzufangen. Der sterbende Onkel entgleitet immer wieder den Beschreibungsversuchen des Erzählers. In der Erzählung "Schatten" lässt Albahari wiederum einen serbischen Autor auf Lesereise in eine kleine Stadt zurückkehren, deren Lage sich durch den Zerfall des Landes grundlegend gewandelt hat. Das Wiedersehen wird zum Erlebnis der Fremdheit, statt Wiedererkennung bewirkt es Orientierungsverlust.

    " Die Lampe am Bett funktionierte nicht; von der Zimmerdecke hingen Spinnweben; im Bad tropfte der Hahn, der Toilettendeckel aus Plastik war der Länge nach gesprungen und mit einer Schnur am Wasserrohr befestigt. Vor 23 Jahren, als er sich zum letzten Mal in P. aufhielt, wirkten die Zimmer dieses Hotels - vielleicht gerade dieses! - wie luxuriöse Zufluchtsorte in der provinziellen Eintönigkeit, in der sich damals das Leben abspielte. Seitdem hatte es freilich den Krieg gegeben, alles war verändert, als hätte jemand den Tisch gedreht, und die Menschen, die an ihren Plätzen sitzen geblieben waren, hatten jetzt Gläser und Teller vor sich, die nicht die ihren waren. So kam es auch, dass das Städtchen P., das sich einst einer bequemen Lage inmitten des Landes erfreute, jetzt nahe der Grenze lag ..."

    Die entfremdete Welt - in Albaharis Geschichten wird sie spürbar durch die Sprachlosigkeit ihrer Protagonisten. Nahezu pausenlos findet der Autor neue Bilder der Sprachlosigkeit zwischen Kulturen und Menschen. Nahezu pausenlos ruft Albahari die Stille aus, indem er das Gespräch seiner Figuren immer wieder verstummen lässt: Diese Botschaft des Verstummens überbringt der Erzähler in immer neuer Form, mal wortreich und gleichsam im Plauderton, mal durch ein Gleichnis, philosophisch knapp, wie in der kurzen Titelerzählung: "Fünf Wörter".


    " Ich kenne viele Wörter, benutze aber nur wenige. Wenn man mich etwas fragt, antworte ich; wenn nicht, schweige ich. Wie viele Wörter braucht der Mensch, um auf eine jede Frage zu antworten? Zwei, drei, höchstens fünf: "ja", "nein", "vielleicht", "keine Ahnung". Alle anderen sind überflüssig, vor allem, wenn man selbst keine Fragen stellt."

    In dem Band "Fünf Wörter" gestaltet David Albahari die Erscheinungsformen der Sprachlosigkeit in unserer Zeit. Brillant meistert er dabei die ebenso universale wie paradoxe Herausforderung der Literatur: in Sprache zu verwandeln, was sich der Sprache entzieht.

    David Albahari
    "Fünf Wörter"
    Eichborn Verlag