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Zwischen den Stilen

Unter dem Motto "Gratwanderung" steht eine Publikation mit 23 österreichischen Komponisten. Sie zeigen eine breite stilistische Vielfalt: Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen und traditionellen Kompositionsmethoden.

Von Egbert Hiller |
    Es geht um Neue Musik, und zwar aus Österreich. Ich stelle Ihnen eine dreiteilige CD-Reihe mit neuen Einspielungen vor, herausgegeben vom österreichischen Musikinformationszentrum: "Gratwanderung zwischen den Stilen – Austrian Young Composers".

    "Thomas Wally, Caprice for Stringtrio
    Trio EIS
    Austrian Young Composers 3
    CD 3, Track 8"

    Musik von Thomas Wally, einer der 23 Tonkünstler, die auf der CD-Publikation "Austrian Young Composers" vertreten sind. Geboren zwischen 1975 und 1984, sind sie alle in eine Szene der zeitgenössischen Musik hineingewachsen, in der ästhetische Grabenkämpfe längst der Vergangenheit angehören. Nun, das Komponieren ist dadurch nicht leichter geworden, denn so verführerisch die scheinbar unbegrenzte Verfügbarkeit der stilistischen Mittel einerseits ist, so schwer ist es andererseits, sich nicht beirren zu lassen und zu einer eigenen Klangsprache zu finden. Vor diesem Hintergrund ist das Motto "Gratwanderung" gut gewählt. An Grenzüberschreitungen zu Pop, Jazz und Volksmusik besteht jedenfalls kein Mangel, ebenso wenig wie an humorvoller und kritischer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen und traditionellen Kompositionsmethoden.

    Sehr produktiv mit der Tradition ging Gerald Resch in "Grounds" für Ensemble um. Mit dem besonders im 16. und 17. Jahrhundert in England verbreiteten "In Nomine" griff er einen berühmten Cantus firmus der Musikgeschichte auf. Bereits der Titel des viersätzigen Werks, "Grounds", verweist auf diesen Cantus firmus, der in ständig veränderter Form präsent ist, jedoch in jedem Moment strukturell in Gerald Reschs strengen Tonsatz eingebunden ist.

    "Gerald Resch, Grounds
    Ensemble die reihe, Ltg.: Christian Muthspiel
    Austrian Young Composers 2
    CD 2, Track 8"

    Zum Gegenschlag holt Eva Reiter in ihrem "Konter" von 2009 aus. "Aktive Defensivtechnik: Ein Gegner wird abgewehrt, indem man während der Schlagbewegung des Angreifers diesen mit einem nahezu gleichzeitigen eigenen, kräftigen Schlag überrascht", heißt es in der Werkbeschreibung über "Konter". Gegen wen oder was sich der Gegenangriff richtet, lässt Eva Reiter offen, aber es gäbe ja genug, wogegen man sich wehren könnte.

    Dass Eva Reiter nicht gerade den Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen hat, zeigt allein schon ihre Biografie. Die gebürtige Wienerin studierte Blockflöte und Viola da Gamba, eine Karriere auf dem Feld der Alten Musik schien vorgezeichnet. Mehr und mehr rückte aber die experimentelle kompositorische Arbeit in den Vordergrund; und darin lotet Reiter das Spannungsverhältnis zwischen akustischen und elektronischen Klängen aus. Inspiriert dazu wird sie von Alltags- und Umweltgeräuschen aus dem großstädtischen Leben. Vermeintlich elektronische Klänge sind oftmals akustisch erzeugt, aber die Elektronik ist stets zum "Konter" bereit.

    "Eva Reiter, Konter
    Ictus Ensemble
    Austrian Young Composers 2
    CD 2, Track 7"

    Ganz anders als Eva Reiters "Konter" klingt die "Inner-Solare Musik" von Hannes Dufek, der ebenfalls in Wien geboren wurde. Langsam, aber doch mit Nachdruck entfalten sich dicht verwobene Klangflächen. Flirrende Verschwebungen und gleißende Linien versinnbildlichen die Kraft der Sonne – zumindest in der Vorstellung des Komponisten, der bemüht ist, in seinem Schaffen die Mitte zwischen Anarchie und Struktur zu halten. Bereits mit drei Jahren habe er auf dem Klavier herumgehämmert; eine wichtige Rolle bis heute spielen improvisatorische Elemente, die er aber im schöpferischen Prozess zähmt. Dieser fruchtbare Konflikt ist auch in "Inner-Solare Musik" spürbar – unter der Oberfläche brodelt und knistert es.

    "Hannes Dufek, (Inner) Solare Musik
    Ensemble Phidias, Duo Soufflée, Chrsitopher Scotney, Kontrabass, Ltg.: Christoph Breidler
    Austrian Young Composers 1
    CD 1, Track 5"

    Von Hannes Dufeks "Inner-Solarer Musik" zurück ins 19. Jahrhundert, zumindest vordergründig. "Ich bin der Ansicht", so bemerkt Judit Varga, "dass man schöne Musik schreiben" soll. Ebenso tritt sie aber auch für "hässliche Musik" ein. Hässlichkeit und Schönheit würden eine starke Einheit bilden, aber: "wenn wir hässliche Klänge auf unser Publikum loslassen, tragen wir die Verantwortung, seine Stimmung behutsam zu lenken und es erst aus dem Konzertsaal zu entlassen, nachdem wir die verursachte Dissonanz wieder aufgelöst haben." Nun, diese Äußerungen von Judit Varga scheinen kaum ins 21. Jahrhundert zu passen – oder vielleicht gerade doch, gerade wieder? In ihrer "Barcarolle pour Frédéric et George" für Klavier huldigt Varga, die in Ungarn geboren wurde, dem polnischen Komponisten Frédéric Chopin, nicht jedoch ohne eigenes Profil zu entwickeln.

    "Judit Varga, quasi amore – love fields
    Judith Varga, Klavier
    Austrian Young Composers 3
    CD 3, Track 4"

    Dass die Welt, in der Frédéric Chopin lebte, beleibe keine "heile Welt" war, klingt in Judit Vargas "Barcarolle pour Frédérik et George" unterschwellig durch. Ganz offen von "Spreu und Scherben" erzählt dagegen Matthias Kranebitter in seinem gleichnamigen Ensemblestück. Darin wollte Kranebitter, der aus Wien stammt, Tabus thematisieren, indem er missglückte musikalische Ereignisse aneinanderreihte, aussiebte und anpasste. Gerade in der Spreu entdeckt er nahrhafte Klänge und Klangkonstellationen.

    "Matthias Kranebitter, Spreu und Scherben
    Ensemble Splithesis, Ltg.: Hari Zlodre
    Austrian Young Composers 3
    CD 2, Track 3"

    Setzte sich Matthias Kranebitter in "Spreu und Scherben" ironisch mit den Erwartungshaltungen in der Neuen Musik auseinander, so übt Manuel de Roo in "Thrillogy" handfeste Sozialkritik – auch das gibt es noch in der Musik des 21. Jahrhunderts. Den Fokus richtet er auf den Hunger in der Welt. Eindringliche Wiederholungen und die düstere Atmosphäre eines Thrillers sollen, so sagt Manuel De Roo, die "höchst bedauernswerten Aspekte des globalen menschlichen Zusammenlebens" verdeutlichen und für pessimistische Stimmung sorgen.

    "Manuel de Roo, Thrillogy
    Tiroler Kammerorchester InnStrumenti
    Austrian Young Composers 1
    CD 1, Track 3"

    So anklagend wie Manuel de Roos "Thrillogy" klingt die Musik von Judith Unterpertinger nicht, aber auch ihr ist der Geist des Widerspruchs nicht fremd. "Ich muss gar nichts", lautet ihr künstlerisches Credo, und sie beschäftigt sich mit, wie sie es ausdrückt, "maschinellen, seelischen und städtischen Zustandsformen". Im Spannungsfeld von Komposition, Improvisation und Performance steht auch "quasi amore – love fields" von 2009, ein Wandelkonzert für fünf Stimmen und Kammerorchester. (00:29)

    "Judith Unterpertinger, quasi amore – love fields
    Tiroler Kammerorchester InnStrumenti, Ltg.: Gerhard Sammer
    Austrian Young Composers 3
    CD 3, Track 3"

    "Als gäbe es immer noch was zu sagen", tönt es in Judith Unterpertingers "quasi amore – love fields". Dass die zeitgenössische Musik tatsächlich immer noch viel zu sagen hat, ist der dreiteiligen CD-Publikation "Austrian Young Composers" eindrucksvoll zu entnehmen. Der Blick auf die junge Szene im Nachbarland Österreich, zu der wie selbstverständlich auch viele Komponistinnen gehören, zeigt eine breite stilistische Vielfalt auf, die sehr originelle individuelle Handschriften erkennen lässt.