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Zwischen Ironie und Unbehagen

Als Gert Hofmann 1993 mit 61 Jahren starb, gehörte er immer noch zu den Geheimtipps der deutschen Literatur. Er verursachte eben keinen Aufruhr, richtig "berühmt", wie sein Verlag sagt, ist er einfach nie geworden. Er war ein Lieblingsautor leidenschaftlicher, erfahrener Leser. Eigentlich ist seine Literatur ziemlich elitär.

Von Peter Urban-Halle | 25.01.2006
    Das wollte sie natürlich nie sein. Seine Figuren und ihre Handlungen sind alles andere als elitär, sie sind im Grunde recht normal, es ist nur dieser unaufgeregte Ton und dann besonders die Melodie, die seinen Stil so extraordinär machen. Hofmann war ein Musiker der Literatur, es gibt nicht viele, die ein ähnlich melodiöses Deutsch schreiben, vielleicht wird er da nur noch von dem Schweizer Erzähler Markus Werner überboten.

    "Gut und schön", sage ich. "Doch wovon wollen Sie leben? Proust bezog hohe Renten, wir sind heute blutarm."

    Diese Replik stammt aus der kurzen Geschichte "Studenten am Rande" einer eben erschienenen Sammlung älterer Texte Hofmanns; sie ist in einem fast lupenreinen Pentameter geschrieben, einem antiken Versmaß.

    Andererseits baut Hofmann Sätze, die manchmal nicht ganz vollständig sind, und zwar, um beim Leser einen "Zustand des Unbehagens" hervorzurufen, wie er einmal gesagt hat, er meint ein Unbehagen am Leben. Abgebrochene Sätze, die trotzdem melodisch sind und überdies in einer fast naiven Diktion erzählt - das ist nicht jedermanns Sache. Wie gesagt, seine Literatur ist eigentlich ziemlich elitär.

    Meistens befinden sich seine Personen in etwas heiklen Situationen. In der jetzt vorliegenden Sammlung sitzen die Leute zum Beispiel in einer Zelle, oder sie kommen vom Begräbnis eines Untermieters oder wohnen einem Selbstmordversuch bei. Trotzdem passiert nicht übermäßig viel, jedenfalls nichts Reißerisches, aber die Atmosphäre ist merkwürdig bis beklemmend und hinterlässt Verwirrung. So sehr, dass auch Kritiker zu ganz verschiedenen Erkenntnissen gelangen: Der eine entdeckt in Hofmanns Werk eine "infernalische Welt voller Grausamkeit", während der andere ihn einen "Chefironiker der deutschen Literatur" nennt, bei dem man sich "vor Lachen schüttelt". Vielleicht kommt das daher, dass Hofmann gar nicht so sehr den Schmerz, sondern eher den Schrei an sich darstellen wollte. Seine meisterhafte Erzählung "Der Blindensturz" benannte er nach einem Bild Pieter Bruegels, nach eigener Auskunft hatte er aber bei deren Niederschrift nicht Bruegel, sondern den englischen Maler Francis Bacon im Kopf. Tatsächlich weiß man bei Bacon manchmal nicht, ob die abgebildete Figur, die den Mund aufreißt, vor Schmerz oder vor Lachen brüllt. Dass man zwischen beidem nicht recht unterscheiden kann, ist das eigentlich Entsetzliche, das Gert Hofmann immer zu beschäftigen schien - und damit auch seine Leser beschäftigen muss. Schon 1959 verfasste er ein Feature mit dem vielsagenden Titel "Henry James oder Die Begegnung mit dem Entsetzlichen", in dem von der "Angst vor diesem abgründigen Leben" die Rede ist. Verleger Michael Krüger schreibt in seinem kleinen Nachwort, dass man Hofmanns Beitrag über Henry James streckenweise auch als Selbstporträt lesen könne. Besonders der Aspekt, der sich mit der Handlung beschäftigt, enthüllt in der Tat eine erstaunliche Verwandtschaft zwischen den beiden. Hofmann sagt:

    " Eine Handlung, meint James (...), bleibt stets an der Oberfläche. (...) Ein Roman, man denke an Dickens oder Balzac, würde also, indem er sich plump von Handlung zu Handlung tastet, das Wichtigste, nämlich die Bedingungen und Voraussetzungen allen Handelns, immerzu überspringen."

    Sei es wie hier theoretisch, sei es wie in den kurzen Erzählungen praktisch: Dieser Sammelband, dessen Texte ja teilweise aus dem Nachlas stammen, enthält schon sehr viel, was den späteren Hofmann charakterisiert: die melodischen Sätze, den leicht naiven Ton, die Darstellung des abgründigen Lebens. Hier noch ein Zitat aus einem kurzen Text, der erstmals 1969 erschien:

    " "Mann!" murmelt er und reißt sich hoch, doch ich sehe: allein schafft er's nie, er taumelt und zittert am ganzen Leibe, Fieber hat er wahrscheinlich auch. Nun, ich hab schon manchem zum Zug geholfen, Regen oder nicht. Ich setze mir also die Mütze auf, greife ihm unter die Achsel und bugsiere ihn auf den Bahnsteig hinaus, wo ein scharfer Wind um uns pfeift."

    Gert Hofmann hat seinen Ton schon früh gefunden, schon in den Texten, die gleich nach seinem Umzug aus Leipzig nach Freiburg, von Ost nach West, entstanden. Vielleicht ist der nun vorliegende Band ein bisschen zufällig zusammengestellt; die Gattungsbezeichnung "Erzählungen" stimmt auch nur zur Hälfte. Neben sieben Erzählungen stehen Tagebuchaufzeichnungen aus Freiburg, seine Dankesrede zur Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und Rundfunkbeiträge, darunter ein schönes Essay über die "Phänomenologie des Snobs", dieses Menschen, dem jedes eigene Kunsturteil abgeht und der danach schaut, was gerade en vogue ist; ausgerechnet dieses Essay gab dem so genannten Erzählungsband den Titel. Manche Texte scheinen auch eher Proben zu sein oder Teile einer größeren Arbeit. Miszellen. Aber hingeschludert ist nichts. Alles scheint dreimal gedreht und gewendet. Es sind absolute Kunsttexte, sie sind weder snobistisch, indem sie irgendeiner vornehmen Diktion nacheifern, noch haben sie etwas verlogen Realistisches. Aber Gert Hofmann, einer unserer größten Schriftsteller, hat ja auch seine Wahrheit nie in der Wirklichkeit gesucht.

    Gert Hofmann: Zur Phänomenologie des Snobs. Erzählungen. Edition Akzente. Carl Hanser Verlag, München 2005. 151 Seiten, Euro 14,90.