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Zwischen Mann und Frau

Im Zentrum der Novelle von Gregor Eisenhauer steht das Verhältnis von Jan und Elena. Und doch ist "Im Eis" auch ein gesellschaftlich brisanter Text, eine Art pars pro toto einer Gesellschaft, die an ihrer Kälte zugrunde zu gehen droht. Denn indirekt blickt Eisenhauer über die Zweierbeziehung hinaus auf die gesellschaftlichen Bedingungen.

Von Cornelia Staudacher | 06.06.2005
    "Also wenn man das Rechenexempel macht, es gibt acht Millionen Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, jede fünfte ungefähr. (...) Es ist die Frage, wie geben diese Frauen diese Traumatisierung weiter, Täter machen Opfer, machen Täter, machen Opfer. Das ist eine Endlosschleife der Gewalt, die man nicht durchbrechen kann, die noch nicht mal debattiert wird. Deshalb ist diese Novelle der literarische Versuch, mal exemplarisch aufzuzeigen, wie ein Mann, der weder zu klug noch zu dumm ist, reagiert, wenn er einem Opfer von Gewalt begegnet. "

    Ob es Jan, Protagonist und Ich-Erzähler der vorliegenden Novelle, am Ende gelingt, diese Endlosschleife der Gewalt in seiner Beziehung zu Elena zu unterbrechen, bleibt unklar. "Im Eis" endet mit einem offenen Schluss. Die inzwischen vier Monate währende Beziehung zwischen Jan und Elena steht von Anfang an auf dem Prüfstand. Elena, die von früher Jugend an vergewaltigt, geschlagen, gedemütigt wurde, kann kein wirkliches Vertrauen fassen, was sich vor allem darin äußert, dass sie sich Jan sexuell verweigert. Jan auf der anderen Seite versucht zwar, sie zu verstehen, sie so anzunehmen, wie sie ist, verfällt jedoch, ausgelöst durch die Kränkung der Zurückweisung, immer wieder in Selbstzweifel und Selbstmitleid.

    "Die Diskussion, die ich anstoßen will, ist einfach die, geht das, indem man’s zum Gespräch macht, indem man‘s öffentlich macht, geht das, kann man Menschen Hilfen an die Hand geben, jenseits therapeutischer Betreuung, das man über so Sachen ehrlich sprechen kann.
    Es muss diesen umfassenden Dialog darüber geben, warum wir an Gewalt inzwischen so gewöhnt sind, dass wir das Thema gar nicht mehr eigens diskutieren, wir erziehen Kinder mit Gewalt, wir lassen zu, dass Frauen Tag für Tag sexueller Gewalt ausgesetzt sind, und wir machen es, wenn überhaupt nur in Frauenzeitschriften (selten) zum Thema. (.....) Wir haben eine unendlich steigende Zahl von Depressiven, psychisch Verstimmten, wir haben unglaublich viele Alkoholiker, Drogensüchtige, Tablettensüchtige, alles mitunter auch Folgen von Gewalt, die an diesen Menschen verübt wurde, wird nicht zum Thema gemacht. "

    Zwar steht im Zentrum der Novelle das Verhältnis von Jan und Elena. Und doch ist "Im Eis" auch ein gesellschaftlich brisanter Text, eine Art pars pro toto einer Gesellschaft, die an ihrer Kälte zugrunde zu gehen droht. Denn indirekt blickt Eisenhauer auch über die Zweierbeziehung hinaus auf die gesellschaftlichen Bedingungen. Jan schwankt zwischen Eifersucht, Selbstmitleid und Gewaltphantasien, in denen er sich mit dem Vergewaltiger identifiziert; Elena, die als junges Mädchen von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde und sich später prostituierte, hat eine insgesamt labile psychische Konstitution, die sich in einem steten Wechsel zwischen auftrumpfenden Gebärden, aggressiven Ausfällen und Phasen großer Anlehnungsbedürftigkeit niederschlägt, in denen deutlich wird, wie sehr sie auf Liebe, Vertrauen und Verständnis angewiesen, wie verletzlich sie ist. Es heisst von ihr, sie sei eine ausgesprochen schöne und begehrenswerte Frau. Ihr Name verweist auf die Namenspatronin aus der griechischen Mythologie.

    "Wenn Sie den Helena-Stoff betrachten: Überall, wo man Helena hingesetzt hat, hat sie Unglück gebracht. Es ist ja so manchmal, als laste auf mancher Schönheit ein Fluch, dem man sich nur schwer entziehen kann, wie‘n Medusengesicht. Man erstarrt dann einfach. (....) Aber das Kuriose, von Helena weiß man eigentlich gar nichts. Sie ist der Spiegel der Erwartungen der Männer, mit denen sie zu tun hat. So ist sie vom Äußeren auch nur ein Spiegel, und als er dann ihre Geschichte erfährt, da kommt es zum Unheil. "

    Wie in einer Versuchsanordnung wird die Beziehung von Jan und Elena seziert. Eisenhauer, der schon in früheren Werken eine äußerst große Stilsicherheit bewiesen hat, befleißigt sich hier eines unterkühlten, sachlich-nüchternen, zudem apodiktischen Stils. Gern verwendet er Metaphern des körperlichen Schmerzes. So spricht Jan von seiner "Akupunktur des Leidens" und konstatiert: "Ich ließ keine Gelegenheit aus, Nadelstiche zu setzen". Ein anderes Mal behauptet er kalt-zynisch: "Im Grunde war ich glücklich mit ihrer Vergangenheit. Sie ersparte mir die Zukunft".

    Eisenhauer erzählt nicht, beschreibt nicht und versucht auch nicht, psychologische oder gesellschaftliche Zusammenhänge aufzudecken. Sein Ton ist affirmativ wie in einem Essay und läßt weder Widerspruch noch Zweifel zu.
    Der schwierigen Beziehung von Elena und Jan wird er damit nur bedingt gerecht, denn der Ambivalenz des Lebens begegnet man literarisch am sinnfälligsten mit dem Mittel der Ironie. Die aber verbietet sich wohl angesichts der Brutalität des Themas, das Eisenhauer ins Zentrum seiner Novelle gestellt hat und zu Recht mit allem zu Gebote stehenden Ernst abhandelt. Von Anfang an betont er die besondere Tragik dieser Beziehung, die dem "Pantoffelglück" einer normal verlaufenden bürgerlichen Ehe diametral entgegensteht.

    "Worüber unterhält sich ein Liebespaar der normalen Art. Darüber, dass man vielleicht irgendwann Kinder haben will oder ein Haus einrichten will, oder, oder, oder. Das ist dieses Pantoffelglück, und das ist doch (....) deutlich zu unterscheiden von dem Glück, das entsteht, wenn jemand eine Frau trifft und glaubt, ihr helfen zu können, indem er das Leid, das sie erfahren hat, wegwischt, sei es durch Fürsorge, durch Zuhören oder sei es durch die Eröffnung der Aussicht ‚gemeinsame Zukunft für beide‘. Da rückt man viel enger zueinander, weil das Vertrauen ist viel größer, das gezeigt wird, auf beiden Seiten, sie erzählt ihre Geschichte, er nimmt sie an, er will ihr zukünftig vertrauen, sie hat ihm schon vertraut, und das ist etwas, was er einlösen muss, das ist ja ein Vertrauensvorschuss, den er zurückzahlen muss. "

    Aber nicht zurückzahlen kann, auch deshalb nicht, weil er ein Mann ist, der dazu neigt, sich in Larmoyanz und Selbstanklage zu ergehen. So kommt es, daß der coole, leicht schnoddrige Ton, in den sich der Protagonist fortwährend flüchtet, eher zynisch als ironisch anmutet, und die literarische Umsetzung eines Milieus, in dem es vorwiegend gewalttätig und obszön zugeht, etwas Holzschnitt haft bleibt, etwa so, wie sich Lieschen Müller das Rotlichtmilieu vorstellt oder wie es aus mittelmäßigen Filmen bekannt ist. Was bleibt, ist das unabdingbare Engagement des Autors, dem sich dieser "Monolog des Kummers", wie er die Novelle nennt, regelrecht aufzwang. Er hat sich der Herausforderung mit gedanklicher Schärfe und sprachlicher Verve gestellt.

    "Es gibt zwei, drei Themen, die wichtig sind, die brennen, das ist eins davon, und dann soll man sich auch darüber unterhalten.
    Es gibt nur eine Möglichkeit, dem Unglück, das eine Frau oder ein Mann erlebt hat, zu entkommen, indem man immer wieder neue Erzählungen seiner selbst, neue Romane seiner selbst dichtet. "

    "Im Eis"
    Von Gregor Eisenhauer
    (Schwartzkopff Buchwerke)