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Zwischen Resignation und Gewalt

Vor einem Jahr kam es in den Banlieus französischer Großstädte zu schweren Ausschreitungen. Ein Jahr später hat sich im Bewusstsein der Bevölkerung manches geändert. Zahlreiche Initiativen wollen die Situation der Vorstadt-Bewohner verbessern. Das Hauptproblem aber, die hohe Arbeitslosigkeit, besteht nach wie vor.

Von Claudia Deeg und Stefanie Markert |
    Es ist ein sonniger Tag. Clichy-sous-bois, knapp 15 Kilometer nordöstlich von Paris. Eine 28.000-Einwohner-Stadt. Das Viertel in der Nähe des Rathauses wirkt auf den ersten Blick freundlich. Ruhige Straßen, kleine Einfamilienhäuser mit Gärten. Hunde bellen. Eine Frau holt ihre dreijährige Tochter aus der Vorschule ab.

    " Ich mag Clichy. Ehrlich, ich finde es hier angenehm. Aber es ist so, dass man sich am besten raushält... Die Krawalle... manchmal ist es laut, manchmal bekommt man Angst. Dann ziehen wir uns zurück - in unser Haus, schließen die Fensterläden und warten, bis es vorbei ist. "

    Ein alter Mann steigt in sein Auto. Aus dem Wagen ruft er zu: Wenn ich aus der Stadt zurückkomme, weiß ich nicht, in welchem Zustand ich mein Haus wiederfinde. Hier wird ständig eingebrochen. Seiner Nachbarin - einer alten Frau - haben sie vergangene Woche die Handtasche aus der Hand gerissen und ihr dabei mehrere Finger gebrochen. Durch einen kleinen Park gelangt man von dem Wohnviertel zum Rathaus, einem ehemaligen Jagdschloss. Der Putz - zart-orange - blättert langsam ab. Olivier Klein ist hier stellvertretender Bürgermeister.

    " Ich glaube, die Krawalle haben auf jeden Fall Spuren hinterlassen. Die Menschen in Clichy sous bois haben gezeigt, dass sie diesen Moment überwinden wollen, gemeinsam arbeiten wollen, Initiativen wurden geboren. Aber im Konkreten hat sich wenig verändert - seit einem Jahr. Die Arbeitslosigkeit, die Wohnsituation, die Verkehrsanbindung, die Schulen - das ist alles nach wie vor sehr besorgniserregend. Wenig, fast nichts hat sich seit einem Jahr verändert."

    Sackgasse. Die Waldstraße endet vor einem hohen Tor mit einem Schild: STOP! Die Elektrizität ist stärker als Du. Eine Fratze, der die Haare zu Berge stehen, schaut einen an. Das Graffiti hat der französische Stromanbieter EDF angebracht. Hinter dem Tor - vor einem Jahr - passierte ein Unglück. Der Auslöser für wochenlange Krawalle.

    Donnerstag, 27. Oktober 2005
    Um 18 Uhr 44 geht ein Notruf bei der Feuerwehr von Clichy-sous-Bois ein. Drei Jungen aus Einwandererfamilien verstecken sich nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei in einer Hochspannungsanlage. Ziad und Bouna sterben durch Stromschläge. Muhitin überlebt schwerverletzt. Noch in derselben Nacht kommt es in der nordöstlichen Pariser Vorstadt zu Straßenschlachten.

    Zwei Tage zuvor hat sich Innenminister Nicolas Sarkozy mit großem Begleitschutz zu später Stunde in ein Problemviertel begeben. Dorthin, wo die Jugendarbeitslosigkeit doppelt so hoch ist wie im Landesdurchschnitt, dorthin, wo Banden ihre eigenen Gesetze schreiben. In Argenteuil verspricht er Anwohnern, den Zitat: "Abschaum" mit einem Hochdruckreiniger zu säubern. Sarkozy verteidigt sich:

    " Ich benutze keine rohen oder gar gewalttätigen Vokabeln. Ich bin gut erzogen. Aber ich nenne einen Rowdie einen Rowdie und einen Mörder einen Mörder. Und ich weiß nicht, warum das Wort Abschaum vulgär sein soll. "

    Die Jugendlichen fühlen sich provoziert.

    " Er hat Öl ins Feuer gegossen. Alle unsere Viertel sind solidarisch. Er riskiert, dass die Sache ganz stark wird. "

    Und sie wird ganz stark. Sonntag, 30. Oktober: Vor der Moschee von Clichy explodieren Tränengasgranaten. Die Lage gerät außer Kontrolle:

    Ein Polizist nennt Einsatzorte. Die Jugendlichen werfen Molotowcocktails und Steine, Schüsse fallen. Die Einsatzkräfte reagieren mit Gummigeschossen und Tränengas. Ein Randalierer ruft:

    " Wir hören sofort auf damit, wenn ihr uns Arbeit gebt und die Möglichkeit uns auszudrücken, in einen Dialog zu kommen."

    Mittwoch, 2. November
    Premierminister Dominique de Villepin kündigt Hilfe an:

    " Am Morgen haben wir Notmaßnahmen beraten, besonders für Arbeit und Ausbildung. Ein Aktionsplan wird noch vor Ende November verabschiedet. Die gesamte Regierung ist mobilisiert. "

    Montag, 7. November
    Die Unruhen haben auf die Provinz übergegriffen. 274 Kommunen sind betroffen. In der Nacht wird die Rekordzahl von 1408 Autos angezündet. Dutzende Menschen werden verletzt, Hunderte verhaftet. Ein 61-jähriger wird am Rande der Ausschreitungen zusammengeschlagen und stirbt. Inzwischen brennen nicht nur Autos, Müllcontainer oder Garagen, sondern auch Kinderkrippen und Klassenzimmer. Die Stimmung kippt zu ungunsten der Jugendlichen.

    " Das darf man sich nicht erlauben, Kindereinrichtungen anzuzünden. das kann man nicht tolerieren. "

    Dienstag, 8. November.
    Die Regierung zieht Konsequenzen und aktiviert ein Gesetz aus der Zeit des Algerienkrieges. Premier de Villepin vor der Nationalversammlung.

    " Der Ministerrat hat heute morgen ein Dekret verabschiedet. Es erlaubt auf der Basis eines Gesetzes von 1955 den Präfekten in Abstimmung mit dem Innenminister Ausgangssperren zu verhängen. "

    Montag,14. November
    Erstmals seit Beginn der Unruhen hält Präsident Jacques Chirac eine Fernsehansprache. Er kündigt einen zivilen Bürgerdienst an, der 50.000 Jugendlichen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern soll. Und er versichert:

    " Ich möchte es den Kindern der schwierigen Viertel sagen, egal welcher Herkunft, sie alle sind Söhne und Töchter der Republik."

    Donnerstag, 17. November
    Der Ausnahmezustand ist eher symbolisch. Ausgangssperren werden kaum verhängt. Die Polizei spricht erstmals von einer Rückkehr zur Normalität. Dazu hat auch das starke zivile Engagement der Bevölkerung beigetragen. Die Unruhen haben Frankreich wachgerüttelt.

    Aber für wie lange? Natürlich kann die Politik in einem Jahr nicht viel verändern, sagt
    der stellvertretende Bürgermeister Olivier Klein. Das sei ihm klar. Trotzdem ist er enttäuscht.

    " Ich habe nicht den Eindruck, dass es einen wirklichen Willen gibt, die Ereignisse zu überwinden. Nach den Krokodilstränen vor einem Jahr habe ich das Gefühl, dass die Politik dazu neigt zu sagen, die Ruhe ist zurückgekehrt, das reicht. Aber nein - das reicht ganz und gar nicht."

    Das breite Interesse an den banlieues und ihren Problemen scheint verflogen. Die Jugendlichen bewegen sich zwischen Gewalt und Resignation - von Ausnahmen abgesehen. Wer nicht dort lebt, kann sich ein Leben dort nicht vorstellen. Da helfen höchstens Geschichten wie die der 15jährigen Doria, die Hauptfigur im Roman von Faiza Guène - der Tochter einer algerischen Einwandererfamilie. Die junge Frau studiert Soziologie in Paris und hat mit ihrem ersten Roman die Bestsellerlisten gestürmt. In Paradiesische Aussichten schildert die das Leben in einer Hochhaussiedlung am Rande von Paris.

    Was für ein beschissenes Schicksal. Das mit dem Schicksal ist sowieso völlig frustrierend, weil man nichts daran ändern kann. Du kannst tun, was Du willst, am Ende hast Du immer die Arschkarte.

    Diese Grundstimmung lastet auf vielen französischen Vorstädten. In 751 so genannten urbanen Problemzonen in Frankreich leben rund 5 Millionen Menschen. Hauptsächlich Einwandererfamilien - meistens mit französischem Pass. Das weitverbreitete Gefühl: Ich habe eh keine Chance. Hier komme ich sowieso nicht raus. Ihre Musik ist der RAP. In den Liedern klagen sie über die Situation in den banlieues.

    Ein 18jähriger hetzt zur Schule. Fast die Hälfte der Bewohner in Clichy-sous-bois ist jünger als 25. Angesprochen, wie es denn so ist, hier zu leben, sagt er nur.

    " Das ist mies hier. Es ist dreckig, überall gibt's Ratten. Die Krawalle, die brennenden Autos. Einfach Mist. "

    Heruntergekommene Hochhäuser mit Satellitenschüsseln gespickt. In einem Hauseingang steht eine Gruppe Jugendlicher. Weite Hosen, Rapper-Klamotten. Einer zieht seinen Rollkragenpullover hoch, um nicht erkannt zu werden. Gesten, die einschüchtern sollen. Der Wortführer kommt von der Elfenbeinküste.

    " Die kleinen Jungs sind für nichts getötet worden. Sie sollen uns bloß nicht weiß machen, die hätten gestohlen oder so. Die kamen vom Fußballspielen. Sie hatten noch einen Fußball dabei. "

    Es gab keine Entschuldigung der Polizei, keine Erklärungen, keinen Willen zur Aufklärung. Das hat sie rasend gemacht. Die Jungs sagen, sie waren vor einem Jahr dabei - bei den - wie sie es nennen - "Dummheiten". Geändert hat sich ihrer Meinung nach kaum etwas. Immerhin, es seien ein paar Initiativen und Verbände entstanden, die sich verstärkt um Kinder und Jugendliche kümmern. Welche Bedeutung solche Organisationen haben, zeigt sich in Bobigny - einer Nachbarstadt von Clichy-sous-bois.

    Fanta Sangaré aus Mali sitzt hinter einem übervollen Schreibtisch. In einem kleinen Gebäude zwischen Hochhäusern ist ihr Verband untergebracht. Die Mitarbeiterinnen verstehen sich als Vermittlerinnen zwischen Behörden und Familien in Bobigny, sie geben juristische Unterstützung und bieten Sprachkurse an. In unserem Viertel ist es während der Krawalle ruhig geblieben, sagt Fanta stolz.

    " Wir haben jeden Abend 40 Kinder hier zur Hausaufgabenbetreuung. Und die Mütter, die Französischkurse machen. Vier Gruppen jeden Tag mit 15 Frauen, da erreicht man viele. Jede erzählte von ihrer Stadt, von der Entstehung der Krawalle und wir sprachen über Bobigny. Wenn wir hier Kinder auf der Straße gesehen haben, haben wir sie angesprochen. Ich glaube, durch den Dialog haben wir Krawalle in unserem Viertel verhindert."

    Im Schnitt werden täglich 115 Autos in Frankreich abgefackelt. Über 20.000 Mülleimer brannten bereits in diesem Jahr. Das Verhältnis zwischen den Bewohnern und der Polizei in den Vorstadtsiedlungen ist angespannt. Auch für Familienvater Mathieu ist das schlechte Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen das Grundproblem. Er selbst habe einen kleinen Eindruck davon bekommen, erzählt der 40jährige. Mathieu ist klein, zierlich. Hinter dem Lenkrad seines Wagens im Dunkeln mag er jünger aussehen.

    " Es kommt vor, dass ich nachts von der Arbeit zurückkomme. Einmal sind sie mir gefolgt. Als sie mich am Steuer sahen, dachten sie, ich sei ein Jugendlicher. ... Sie hielten neben mir. Monsieur, Kontrolle, Papiere, Führerschein. Als ich ihnen meinen Ausweis gab, sie mein Alter sahen, wurden sie ganz schnell ruhiger. Sie haben gemerkt, ah - der nicht, wir haben uns geirrt. Verstehen Sie."

    Clichy-sous-bois hat keine eigene Polizeiwache. Die Kollegen aus der Nachbarstadt sind zuständig. Das ist nicht gut, sagt Olivier Klein im Rathaus. Der frühere Kommunist - vor einem Jahr ist er aus der Partei ausgetreten - kritisiert wie viele Linke, wie Sozialarbeiter und Soziologen, dass die konservative Regierung vor vier Jahren die Nachbarschaftspolizei abgeschafft hat. Die Polizei zeige heute nicht mehr ihre menschliche Seite, sondern trete nur zum Verhaften auf. Die Beamten früher waren präsent und bekannt, die hatten ihre Kontakte in die cités - meint der stellvertretende Bürgermeister. Heute sei das anders.

    " Die Bewohner, Mütter erzählen uns, dass sie selbst Angst haben vor der Polizei. Angst, dass ihre Kinder kontrolliert werden, dass das nicht gut verläuft. Das ist unerträglich in einer Demokratie. Es muss ein normales Verhältnis geben zwischen den Bewohnern und der Polizei. Dass die Jugendlichen nicht einfach geduzt werden bei Kontrollen, dass ein und derselbe Jugendliche nicht vier, fünf Mal am Tag kontrolliert wird. All das weckt ein Gefühl des Misstrauen, was die Sache noch komplizierter macht."

    Die Polizei wird zunehmend selbst zur Zielscheibe. Nach Angaben des Innenministeriums wurden seit Januar rund 2.400 Polizisten Opfer gewalttätiger Übergriffe. Sind die Jugendlichen früher vor der Polizei abgehauen - wie die drei Jungs vor einem Jahr -, lauern sie heute den Beamten auf. Dass Jugendliche die Polizei angreifen, sei nicht wirklich neu, meint der Soziologe Sebastien Peyrarts. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit den banlieues. Aber die Jugendlichen hätten begriffen, dass sie Angst machen, dass sie Angst einjagen können.

    " Was neu ist und für die ganze Gesellschaft beunruhigend, dass den Jugendlichen ihre Macht bewusst geworden ist. Mit welcher Kraft sie gegen die Vertreter der Staatsgewalt in ihren Siedlungen - also gegen die Polizisten - vorgehen können. Sie suchen eine Gelegenheit, um sich an den Institutionen zu rächen - über die Polizisten. "

    Monsieur Renard ist Schuldirektor in Asnieres sur Seine, einem Vorort nordwestlich von Paris. Das Collège André Malraux ist eine gute Adresse unter den schlechten. Das Gebäude sieht gepflegt aus, vor vier Jahren wurde es frisch gestrichen. Sobald irgendwo ein Graffitti auftaucht oder eine Wand besprüht wurde, rücken die Maler an. Es wird drüber gepinselt. Alles soll ordentlich aussehen. Das beeinflusst die Haltung der Schüler zum Gebäude - meinen die Lehrer. Außen sind Kameras installiert. Die sind nicht an, versichert der Schuldirektor und lacht. Von Waffenkontrollen hält er nichts. Aber die Schule hat einen engen Draht zur Polizei, die schnell gerufen wird, wenn es im Schulhof kracht oder wenn Lehrer angegriffen werden. Letztens kam die Polizei und nahm einen Schüler wegen Diebstahl fest. Aber es sei ruhiger geworden. Vor sieben Jahren gab es 23 Disziplinarstrafen im Jahr, in diesem Jahr nur 5 - zählt Monsieur Renard auf.

    " Das Scheitern in der Schule spielt eine große Rolle. Ein junger Mensch, der in der Schule scheitert, langweilt sich. Stück für Stück wird er sich gegen das Schulsystem auflehnen oder gegen die Gesellschaft. Ein teil der Zwischenfälle, die wir hatten, ist darauf zurückzuführen. Das waren Jugendliche, die sich gelangweilt haben, die sich ausgeschlossen fühlten. Denn es ist hart zu sehen, wie andere es schaffen. "

    Die Politik hat erkannt, dass sie diesen Jugendlichen verstärkt helfen muss und so genannte vorrangige Erziehungszonen geschaffen - die ZEPs. Das war vor 25 Jahren. Die Idee dahinter, in sozial schlechter gestellten Wohnvierteln für gleiche Bildungschancen zu sorgen. Kleinere Klassen, mehr Lehrern, etwas mehr Geld. Anfangs gehörten 250 Schulen in Frankreich dazu, heute sind es rund 1000. Jeder vierte Schüler in Frankreich besucht eine solche bevorzugte Schule. Aber auf pädagogischer Ebene tat sich nicht viel. Nach den Krawallen im vergangenen Jahr wurde eine neue Kategorie geschaffen - zu der auch Renards Collège gehört. Er hat zusätzliche Pädagogen bekommen, die er nach Bedarf einsetzen kann. Dort, wo es gerade brennt.

    " Sie können auch eine gewissen Auszeit nehmen, bei bestimmten Kursen. Sie können Physik oder Musik ausfallen lassen, um dann ein paar Wochen intensiv mit einem Schüler zu arbeiten, ihm die Grundlagen in Französisch oder Mathematik zu vermitteln. Damit er wieder Anschluss findet."

    Die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreichs Vorstädten ist nach wie vor extrem hoch. Teilweise bis zu 40 Prozent. Wer aus dem Unruhedepartement Seine-Saint Denis kommt, ist abgestempelt und hat es besonders schwer einen Job zu finden - selbst bei guter Vorbildung. Der Arbeitgeberverband MEDEF hat deshalb die Initiative "Unsere Viertel haben Talente" ins Leben gerufen. Von 200 Jugendlichen, die im vergangenen Jahr mitgemacht haben, haben 72 einen Job gefunden. In diesem Jahr sollen es noch mehr werden. Der 29jährige Emerand hat einen Master für Statistik in der Tasche. Seit acht Jahren lebt er in Frankreich. Seine Familie kommt aus Kamerun. Er hofft, über die Initiative eine Arbeit zu finden, obwohl er aus dem Unruhe-Departement stammt.

    " Wir sind hier mehr oder weniger ausgeschlossen. Die meisten. Wenn man aus dem 93. Departement kommt, das ist nicht gut, dann das Foto - auch nicht gern gesehen. "

    Es gab viele Erklärungsversuche nach dem Ausbruch der Krawalle vor einem Jahr. Polygamie, der Islam, ethnische oder kulturelle Gründe. Aber das waren nicht die Ursachen, sagen Soziologen. Es waren auch nicht die polizeibekannten Kriminellen, die die Autos und Gebäude angezündet haben. Im Gegenteil: Die meisten fielen zum ersten Mal auf. Über fünftausend Festnahmen in drei Wochen.

    Viele verschiedene Gründe spielten eine Rolle, je nach Stadt seien sie unterschiedlich - nur eines sei allen gemeinsam, sagt Olivier Klein: das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Deshalb habe sich der Protest in ganz Frankreich ausgeweitet, sei die Wut gestiegen. Es sei eine tiefgreifende Bewegung gewesen, so stark wie die Verzweiflung der Jugendlichen.

    " Die Frage, die sich doch stellt ist die, nach dem Gefühl ausgeschlossen zu sein, nicht dazu zugehören. Ich habe damals im Radio gehört, wie sich Journalisten wunderten, dass sogar Jugendliche mit Abitur und Diplomen Steine geschmissen haben! Ja, klar, sie werfen Steine, weil sie sich auch ausgeschlossen fühlen. Präsident Chirac hat es gesagt, jedes Kind soll sich als Kind der Republik fühlen. Aber leider, heute fühlen sich auch nicht mehr wie Kinder der Republik als vor einem Jahr."

    Viele befürchten, dass es wieder massive Krawalle geben wird. Wenn nicht heute oder morgen - dann zu einem anderen Zeitpunkt. Die Jugendlichen im Hauseingang in Clichy-sous-bois jedenfalls sind frustriert.

    " Es brodelt im Fass, es läuft täglich über. Es wird immer wieder solche Krawalle geben, solange es die Übergriffe der Polizei gibt. Es gab solche Übergriffe und es ist ruhig geblieben. Aber die Stille bedeutet nicht, dass wir es vergessen haben. "

    Auch die Sozialarbeiterin Fanta in Bobigny ist sich sicher.

    " Es kann wieder losgehen. Es kann sogar schlimmer werden als beim letzten Mal. Das ist schlimm, besonders für die Menschen, die das erleben müssen. Die Situation der Familien hier hat sich nicht gebessert. Die Armut, das Elend - das sieht man täglich. Das ist der Alltag der Menschen. Das ändert sich nicht. "