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Zypries fordert mehr Sachlichkeit in der Diskussion über Unschuldsvermutung

In der Debatte über das Prinzip der Unschuldsvermutung im Anti-Terror-Kampf hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zu mehr Sachlichkeit aufgerufen. Die von Innenminister Schäuble ausgelöste Diskussion werde sehr pointiert geführt, sagte die SPD-Politikerin. Sie wies erneut darauf hin, dass das Prinzip zwar bei der Strafverfolgung, nicht aber bei der Gefahrenabwehr gelte. Daher sei nicht völlig klar, wie Schäubles Forderung zu verstehen sei, meinte Zypries.

Moderation: Bettina Klein | 19.04.2007
    Bettina Klein: Guten Morgen, Frau Zypries.

    Brigitte Zypries: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Der Innenpolitiker und Ihr Parteikollege Klaus-Uwe Benneter, wir haben es gerade im Bericht gehört, sagt, ein Minister, wie Schäuble, der Hysterie verbreitet, wird selbst zum Sicherheitsrisiko. Ist das eine aus Ihrer Sicht zutreffende Bezeichnung für Ihren Kabinettskollegen?

    Zypries: Nein, natürlich nicht. Es ist natürlich auch pointiert und überspitzt, wie das dann halt in der politischen Auseinandersetzung manchmal so rüberkommt.

    Klein: Ja, rüberkommt... Es ist ja eine ganz klare Aussage. Frau Vogt, die stellvertretende SPD-Vorsitzende, meint sogar, Schäubles Vorschläge oder er selbst würden zunehmend zu einer Gefährdung für Freiheit und Demokratie. Muss sich Ihre Partei vielleicht etwas besser die Worte überlegen, die sie wählt in dieser Auseinandersetzung? Oder finden Sie das richtig?

    Zypries: Ich habe den Eindruck, dass die Debatte im Moment etwas aufgeheizt ist und dass deshalb Missverständnisse von beiden Seiten schon dazu führen, dass es da zu deutlichen Unschärfen kommt.

    Klein: Welche Missverständnisse meinen Sie?

    Zypries: Sie haben den Innenminister zitiert mit diesem Wort, die Unschuldsvermutung gilt nicht. Er hat damit ja Recht bei der Gefahrenabwehr. Aber die Form, wie es gesagt wird, führt eben dazu, dass andere es nicht verstehen, wie er es vielleicht meint oder offenbar meint. Dann kommt es eben zu solchen Äußerungen auch in einer Situation, wo man vorher schon zahlreiche Änderungsvorschläge zu Gesetzen bekommen hat und nicht so richtig weiß, was er denn nun eigentlich meint.

    Klein: Aber wenn Sie sagen, die Unschuldsvermutung gilt nicht bei der Gefahrenabwehr, das stimmt aus rechtspolitischer Sicht, was ist denn daran misszuverstehen bei Politikern, die sich ja doch ein bisschen mit der Materie auskennen sollten?

    Zypries: Ich glaube, im ersten Moment versteht man es eben nicht so, sondern man geht davon aus, dass man sagt, die Unschuldsvermutung gilt natürlich. Das ist einer unserer ersten Grundsätze. Aber die Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist etwas, was auch Juristen, die in der Politik sind, vielleicht nicht jeden Tag machen.

    Klein: Aber damit hat Herr Schäuble einfach einen ganz wahren Satz ausgesprochen und man fragt sich schon, weshalb er damit einen solchen Sturm der Empörung auslöst.

    Zypries: Ich habe ja gerade versucht, das zu erklären.

    Klein: Frau Zypries, dann erklären Sie uns noch einmal, weshalb die Unschuldsvermutung bei der Gefahrenabwehr nicht gilt.

    Zypries: Die Unschuldsvermutung kann bei der Gefahrenabwehr nicht gelten, weil da soll ja Gefahr, der Eintritt eines Ereignisses, verhindert werden. Deshalb gilt die Unschuldsvermutung immer nur dann, wenn jemand vor Gericht steht, wenn der Staat ihn also anklagt und sagt,: Du hast eine Tat begangen und jetzt muss ich, Staat, dir nachweisen, dass du es warst. Soweit ich das nicht kann, gilt die Unschuldsvermutung, also nur bei der Strafverfolgung.

    Klein: Die Äußerungen, die Diskussionsbeiträge, die wir jetzt gerade besprochen haben, zeugen ja nicht wirklich von einem verständnisvollen Klima in der großen Koalition. Jetzt soll es ein Spitzengespräch im Kanzleramt geben. Was muss da geklärt werden?

    Zypries: Ich denke, da werden wir verschiedene Fragen ansprechen, die im Moment offen sind. Ich glaube, diese gereizte Stimmung kommt ja ein bisschen auch daher, dass wir über Ostern zahlreiche Vorschläge gehört haben, wo überall was geändert werden soll, ohne dass es so konkret war, dass man sagen konnte, braucht man denn das überhaupt zur Terrorismusbekämpfung, ist es erforderlich und in welcher Form soll es ausgestaltet sein. Es werden immer nur relativ abstrakte Forderungen in den Raum gestellt. Das führt dann irgendwann zu einer gewissen Gereiztheit, die man vielleicht auch verstehen kann.

    Klein: An welchen Punkten muss Klarheit geschaffen werden, um diese Gereiztheit auszuräumen?

    Zypries: Ich denke, wir sollten uns darüber verständigen nach der Anhörung im Deutschen Bundestag, wie es mit dem Passgesetz weitergeht. Da gab es ja einige Forderungen über Ostern. Ich denke, wir müssen uns darüber verständigen, wie es mit dem Luftsicherheitsgesetz weitergeht und zahlreichen anderen Gesetzen, die der Innenminister vorbereitet.

    Klein: Sie selbst sind gestern auch scharf kritisiert worden wegen den neuen Bestimmungen zur Speicherung von Daten im Telefon- und Computerverkehr. Inwieweit wird das noch mal ein Thema werden?

    Zypries: Das ist ein Gesetz, was wir ja gestern erst im Kabinett verabschiedet haben. Dieses Gesetz sieht keinerlei neue Ermittlungsmaßnahmen vor. Das heißt, wir bleiben bei den Ermittlungsmaßnahmen, die die Prozessordnung schon lange kennt. Wir geben im Grunde mehr Bürgerrechte, wenn Sie so wollen, weil wir die Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, sich gegen Telefonüberwachungsmaßnahmen im Nachhinein zu wehren, erweitern und vor allen Dingen auch die Benachrichtigungspflichten sehr viel klarer und deutlicher fassen. Insofern passt dieses Gesetz nicht ganz in diese Diskussion, die wir gerade hatten. Sicherlich wird es, wie jedes andere Gesetz auch, im Deutschen Bundestag heftig diskutiert werden, und da wird sich vielleicht auch die eine oder andere Änderung noch ergeben.

    Klein: Sie sind in ähnlicher Schärfe dafür auch angegriffen worden, teilweise auch von Oppositionspolitikern, wie Ihr Kabinettskollege Schäuble eben heute für seinen Vorstoß und für einen Satz, von dem Sie sagen, das ist eine vollkommene Selbstverständlichkeit. Wo sehen Sie denn zwischen sich und Schäuble im Moment die Hauptdifferenzen bei diesen Fragen?

    Zypries: Das kann man so gar nicht benennen, weil wir uns über konkrete Punkte noch nicht verständigt haben. Also es geht immer - und das ist völlig normal - um die Abgrenzung dessen, was brauchen wir wirklich zur Terrorabwehr, welche Maßnahmen sind erforderlich, welche bringen uns weiter? Reichen die Gesetze, die wir haben oder brauchen wir wirklich mehr? Das ist doch das, was man als erstes mal bestimmen muss. Wenn man dann sagt, man braucht mehr, muss man gucken, dass man eine Maßnahme schafft, die verhältnismäßig ist, das heißt, die erforderlich ist und die geeignet ist und die auch nicht zu sehr in die Rechte anderer eingreift. Wir müssen ja immer sehen, die Zahl der von den Sicherheitsbehörden festgestellten Gefährder in Deutschland ist ja doch sehr, sehr gering im Verhältnis dazu, dass wir 82 Millionen Einwohner haben. Und man muss immer sehen, wen man trifft mit einer Maßnahme und wie viel man damit erreichen kann. Das sind Diskussionen, die man, so meine ich wenigstens, immer nur am sehr konkreten Einzelfall diskutieren kann.

    Klein: O.k., das werden wir tun. Das war jetzt auch relativ allgemein. Lassen Sie uns zu einem konkreten Fall kommen, den Sie heute in Luxemburg versuchen wollen zu beschließen - auf europäischer Ebene. Es sollen Mindeststandards festgelegt werden gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Was genau wollen Sie unter Strafe stellen?

    Zypries: Es geht darum, dass wir europaweit beschließen wollen, dass die Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen Menschen aufgrund deren Rasse, Hautfarbe oder anderer solcher Gründe verboten ist. Die Aufstachelung zu einer Tat, das ist die Voraussetzung.

    Klein: Aber ein Aufruf etwa, wie "Tötet alle Christen" bleibt theoretisch straffrei. Damit haben sich offenbar die Briten durchgesetzt. Empfinden Sie das als Fortschritt?

    Zypries: Nein, das ist kein Fortschritt. Das ist allerdings eine sehr alte Verhandlungslage, die wir nicht mehr aufmachen konnten. Wir haben bei unseren Verhandlungen aufgesetzt auf den Kompromiss, den die Luxemburger Präsidentschaft vor zwei Jahren erreicht hatte, um überhaupt eine Chance zu haben, vorwärts zu kommen, und konnten diesen Punkt deshalb nicht mehr ändern, weil der schon aus dem Luxemburger Kompromiss stammt. Das ist nicht sehr schön, das will ich gerne zugestehen. Auf der anderen Seite glaube ich, ist es ein echter Mehrwert, wenn wir sagen können, es gibt bestimmte Standards in Europa, die auch nicht mehr verändert werden können und nach denen eben diese Aufstachelung gegen andere Menschen wegen ihrer Rasse oder Hautfarbe nicht zulässig ist.

    Klein: Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries war das. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Zypries: Bitte schön.