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100. Geburtstag von Gideon Klein
Komponist im Getto Theresienstadt

Der tschechische Pianist und Komponist Gideon Klein gehörte zu den aktivsten Protagonisten des erstaunlichen Musiklebens, das sich während des Zweiten Weltkriegs im Getto Theresienstadt entfaltete. Am 6. Dezember 1919, vor 100 Jahren, wurde er in Perov geboren - und im Alter von 25 Jahren von der SS erschlagen.

Von Albrecht Dümling | 06.12.2019
    Luftbilad von Terezín mit Umrissen der festungsanlage, die gut zu erkennen sind
    Das Luftbild zeigt das heutige Terezín aus 1.000 Meter Höhe. Die Stadt ist eine Festung, die Ende des 18. Jahrhunderts errichtet wurde (Wildfisch/ Roland Wildberg, Uta Fischer)
    Die Tschechoslowakei war als selbstständiger Staat gerade erst entstanden, als Gideon Klein am 6. Dezember 1919 in der mährischen Stadt Prerov, zu deutsch Prerau, zur Welt kam. Sofort erkannten die jüdischen Eltern seine große Begabung, die nicht nur die Musik betraf. Im Alter von elf Jahren zog der Junge mit seiner Schwester nach Prag, wo er das Gymnasium besuchte und einen Klavierkurs am Konservatorium belegte. Ein Jahr nach dem Abitur folgte im Juni 1939 der Studienabschluss am Konservatorium.
    Prag war inzwischen von deutschen Truppen besetzt. Klein wurde als Jude aus dem öffentlichen Musikleben ausgeschlossen, konnte aber an der Universität noch Musikwissenschaft studieren. Eine von ihm damals geschriebene Arbeit über Mozarts Streichquartette bewertet der Geiger Thomas Mandl so:
    "Darin beweist dieser 20-Jährige nicht nur eine souveräne Kenntnis Mozarts, sondern des ganzen Umfeldes, das für Mozart damals maßgeblich war."
    Da Gideon Klein als Pianist nicht mehr öffentlich auftreten durfte, verstärkte er seine Tätigkeit als Komponist. Nach mehreren Streichquartetten entstand 1939 sein Bläser-Divertimento, das Einflüsse von Arnold Schönberg und Leoš Janáček verbindet.
    Komponist in Theresienstadt
    Ende 1941 richteten die Nazis in der alten Festung Theresienstadt ein Getto ein. Gideon Klein wurde als einer der ersten Juden dorthin deportiert. Seine Schwester Eliška, die das Getto überlebte, erinnert sich:
    "Gideon Klein ist am 4. Dezember nach Theresienstadt gekommen mit dem sogenannten Aufbaukommando - das waren nur junge Männer - und in Theresienstadt begegnete er unserem sehr nahen Freund Rafael Schächter. In dieser Zeit hat der Schächter in den Sudeten-Kasernen schon einen Chor gegründet. Gideon hat für den Schächter Volkslieder harmonisiert. Und so hat das eigentlich angefangen."
    Gideon Klein gehörte zu den Pionieren des Theresienstädter Musiklebens, das trotz der erbärmlichen Lebensbedingungen dort aufblühte. Der Komponist Viktor Ullmann schrieb über ihn:
    "Gideon Klein ist zweifellos ein sehr bedeutendes Talent. Sein Stil ist der kühle, sachliche der neuen Jugend; man darf sich über diese merkwürdig frühe, stilsichere Abklärung wundern."
    Im Getto schuf Klein Chorwerke, ein Streichtrio und eine Klaviersonate. Diese ist geprägt durch die Auseinandersetzung mit Arnold Schönberg, Alban Berg und Josef Suk.
    In Auschwitz von den Nationalsozialisten erschossen
    Gideon Klein wirkte in Theresienstadt als Pianist, Komponist und Konzertorganisator, aber auch als Erzieher der Jugend. Sie beeindruckte er durch Vorträge und Gedicht-Rezitationen. Viele seiner Zuhörer sahen ihn als Vorbild, so auch der Geiger Paul Kling:
    "Gideon Klein war für uns junge Leute der Spiritus Agens des ganzen Musiklebens. Schon seine Erscheinung: Sein Gesicht hätte am besten Kokoschka oder Schiele gemalt." Auch Thomas Mandl, der wie Kling Theresienstadt überlebte, betrachtete ihn als charismatische Gestalt.
    "Gideon Klein war nicht nur für mich, sondern für alle Menschen, die mit ihm zu tun hatten, sozusagen das Bild des romantischen Genies, des Maestro."
    Umso grausamer war das Ende. Im Oktober 1944 wurde dieser junge Künstler nach Auschwitz transportiert und in ein Arbeitslager gebracht. Am 27. Januar 1945, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, wurde er von abziehender SS ermordet. Gideon Klein war 25 Jahre alt. Seine überragende Begabung konnte sich nicht mehr entfalten.
    Auch sein Streichtrio, dessen Variationsthema an die mährische Heimat erinnert, blieb unvollendet.