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100 Jahre Acht-Stunden Tag
Der lange Kampf um faire Arbeitszeiten

Zum 1. Januar 1919 wurde Realität, wofür die Arbeiterbewegung lange gekämpft hatte: der Acht-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich. Und auch 100 Jahre nach der historischen Errungenschaft diskutieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber kontrovers über das Thema Arbeitszeitgestaltung.

Von Gerhard Schröder | 30.12.2018
    Ärztinnen demonstrieren gegen Arbeitsbedingungen an der Charité (Archivbild von 20015)
    Der Acht-Stunden-Tag ist lange schon erstritten - aber gesellschaftliche Realität ist er heute lange nicht überall (picture-alliance/ dpa/ Steffen Kugler)
    "Arbeiter und Soldaten, der unglückselige Krieg ist zu Ende. Das Morden ist vorbei. Die Folgen des Kriegs, Not und Elend, werden noch viele Jahre auf uns lasten."
    Deutschland im November 1918. Ein Land in Aufruhr und Chaos. Die deutsche Armee geschlagen. Die Monarchie am Ende. Die Stimmung revolutionär.
    "Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik."
    Am 9. November rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann in Berlin die parlamentarische Republik aus, in München übernahmen revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. Die alte Ordnung, sie schien hinweg gefegt zu werden. Und mit ihr auch die alten Macht- und Grundbesitzverhältnisse.
    Krisensitzung der Industriellen
    Das jedenfalls war die Sorge des illustren Kreises, der sich am 14. November im Nobelhotel Adlon am Pariser Platz in Berlin, unweit des Brandenburger Tores, zusammenfand. Darunter Hugo Stinnes, Ernst von Borsig und Ewald Hilger, die wichtigsten Repräsentanten der deutschen Schwerindustrie. Aufgeschreckt von den revolutionären Umtrieben auf den Straßen suchten sie nach einem Weg, wie der drohende Umsturz zu verhindern wäre.
    "Ich bin einer der eifrigsten Verfechter des Nichtverhandelns mit den Gewerkschaften von jeher gewesen", rief Ewald Hilger, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, seinen Zuhörern zu. Um dann für einen radikalen Kurswechsel zu werben:
    "Wir kommen heute ohne die Verhandlungen mit den Gewerkschaften nicht weiter. Denn nur durch die Verhandlungen speziell mit den Gewerkschaften können wir Anarchie, Bolschewismus, Spartakusherrschaft und Chaos verhindern."
    Und das hieß: Anerkennung der Gewerkschaften als gleichberechtigte Verhandlungspartner der Arbeitgeber und Einführung des Acht-Stunden-Tages. Darauf hatten sich zuvor der Großindustrielle Hugo Stinnes und der Gewerkschaftsführer Carl Legien geeinigt. Eine Sensation, erklärbar nur aus der besonderen historischen Situation, sagt der Historiker Michael Schneider:
    "Es war die revolutionäre Situation am Ende des Ersten Weltkriegs, die dazu führte, dass den Arbeitgebern klar war, dass, wenn sie nicht den Stimmen der Besonnenheit, nämlich den Gewerkschaften, Zugeständnisse machen, dann werden sie von der Revolution hinweggefegt und die Eigentumsordnung gleich mit."
    In den Gewerkschaften überwogen die Pragmatiker
    Von Revolution und Umsturz träumten auch in den Gewerkschaften einige, aber sie waren in der Minderheit. Es überwogen die gemäßigten Kräfte, die Pragmatiker, die auf Verhandlungen und Reformen setzten:
    "Und da war der Acht-Stunden-Tag wegen seiner hohen symbolischen Bedeutung das Mittel der Wahl. Wenn der garantiert wird, dann konnte man vor die Arbeiter hintreten und sagen: Auch ohne Rätediktatur, auch ohne eine gewaltsame Revolution führt der gewerkschaftliche Erfolg weiter zu sozialen Verbesserungen."
    Am 15. November unterzeichneten die Gewerkschaften und die Arbeitgeber das sogenannte Stinnes-Legien-Abkommen, benannt nach den Verhandlungsführern der beiden Lager. Den wichtigsten Punkt übernahm die von dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert geführte Übergangsregierung und führte per Verordnung den Acht-Stunden-Tag zum 1. Januar 1919 ein – bei vollem Lohnausgleich. Eine Forderung, für die die Arbeiterbewegung über ein halbes Jahrhundert gekämpft hatte.
    Das Stinnes-Legien-Abkommen von 1918 über den Acht-Stunden-Tag wurde bald aufgeweicht. "Der Friedensengel sieht jetzt so aus", spottete der Simplicissimus 1923 unter einer Darstellung des Industriellen Hugo Stinnes als Engel.
    Das Stinnes-Legien-Abkommen von 1918 über den Acht-Stunden-Tag wurde bald aufgeweicht. "Der Friedensengel sieht jetzt so aus", spottete der Simplicissimus 1923 unter einer Darstellung des Industriellen Hugo Stinnes als Engel. (picture alliance / dpa / akg / E. Schilling)
    Schon 1830 hatte der britische Sozialreformer Robert Owen - erschüttert von den elenden Arbeitsbedingungen in den englischen Fabriken - drastische Arbeitszeitverkürzungen gefordert. Acht Stunden arbeiten, acht Stunden Freizeit, acht Stunden schlafen, so lautete seine Parole, die bald zum Slogan der internationalen Arbeiterbewegung wurde.
    1866 forderte die Internationalen Arbeiter Assoziation – unter Mitwirkung von Karl Marx und Friedrich Engels - die gesetzliche Einführung des Acht-Stunden-Tages. Die SPD nahm die Forderung drei Jahr später in das Eisenacher Programm auf. Und 1889 schloss sich die zweite Internationale an und rückte den Acht-Stunden-Tag ins Zentrum der Arbeiterdemonstrationen am 1. Mai.
    Degussa und Bosch waren vorangegangen
    Die Arbeitgeber wollten davon allerdings nichts wissen.
    "Die Arbeitszeit der Arbeiter, welches auch ihre Arbeiten sein mögen, wird vom Fabrikherrn nach den Umständen und der Jahreszeit bestimmt. Jeder Arbeiter ist verpflichtet, länger als gewöhnlich und auch sonntags zu arbeiten, wenn es die Umstände verlangen." - So steht es in einer Preußischen Fabrikordnung aus dem 19. Jahrhundert. In den Werkshallen bestimmte nur einer, nämlich der Fabrikbesitzer. Die Arbeiter hatten sich unterzuordnen. Und so lange zu arbeiten, wie es ihnen befohlen wurde. Also sehr lange:
    "Mein Vater war Spinnmeister, er hat jeden Tag 14, 15, 16 Stunden bei der Arbeit stehen müssen. Von morgens vier bis abends acht. Und zwar ohne jede Unterbrechung. Selbst ohne Mittagspause."
    "Ich hatte in der Fabrik gearbeitet, mit 14-stündiger Arbeitszeit an der Drehbank, und war durch diese überlange Arbeitszeit schrecklich krank geworden. Wir verdienten furchtbar schlecht und dann hungerten wir so schrecklich, dass wir systematisch zum Diebstahl gezwungen wurden. Wir machten die Mieten auf und stahlen Brot, wo wir nur konnten."
    Es gab Ausnahmen, fortschrittliche Unternehmer, die schon früh auf sozialen Ausgleich, statt auf Ausbeutung setzten. Die Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt Degussa in Frankfurt gehörte dazu. Sie führte schon 1884 freiwillig den Acht-Stunden-Tag ein. Auch der Stuttgarter Industrielle Robert Bosch zählte zu den Vorreitern:
    "Ich habe früh, schon im Jahr 1906, die achtstündige Arbeitszeit eingeführt, weil ich sie für die wirtschaftlichste hielt und für die zuträglichste zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft."
    Der Massenstreik im Crimmitschau
    Die meisten Arbeitgeber allerdings dachten gar nicht daran, den Arbeitern freiwillig entgegenzukommen.
    "Ich hatte Euch in der letzten Geschichtsstunde versprochen, dass wir uns mal ins Museum begeben wollen, um an Ort und Stelle, bei den Dokumenten, den Crimmitschauer Streik zu besprechen."
    Der Rundfunk der DDR begleitete 1963 einen Grundschullehrer beim Besuch des Crimmitschauer Heimatmuseums. Dort, im sächsischen Crimmitschau, hatten die Arbeiter 1903 den ersten großen Massenstreik organisiert, um den Zehn-Stunden-Tag durchzusetzen.
    "Ihr wisst, in Crimmitschau war vor allem viel Textilindustrieindustrie. Crimmitschau war als das Klein-Manchester allgemein bekannt."
    8.000 Frauen und Männer arbeiteten in den sächsischen Textilfabriken, der Lohn war – im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland - besonders niedrig, die Arbeitstage mit zwölf oder 14 Stunden besonders lang.
    "Und mussten die größeren Kinder auch mitarbeiten?" "Selbstverständlich. Es war zwar vom Staat offiziell ein Verbot der Kinderarbeit erlassen. Aber die Frauen und Männer, die Weber von Crimmitschau, verdienten so wenig, dass ihre Kinder trotz des Verbotes mit in die Fabrik gehen mussten, um ein paar Pfennige dazuzuverdienen."
    Im Januar 1904, nach einem halben Jahr, brach der Streik zusammen, die Textilfabrikanten hatten gewonnen. Vorerst.
    Acht-Stunden-Regelung schnell wieder aufgeweicht
    15 Jahre sollte es noch dauern, bis der Acht-Stunden-Tag Realität wurde. Begünstigt durch einen verheerenden Krieg, der das Ende der Monarchie in Deutschland besiegelte, und den Beginn einer neuen Zeit.
    Doch was so einmütig beschlossen schien, war schon bald wieder in Frage gestellt. 1923 – also vier Jahre nach der Einführung – beschloss die Regierung auf Druck der Arbeitgeber eine neue Arbeitszeitverordnung - mit weitgehenden Ausnahmen vom Acht-Stunden-Tag. Und davon machten die Arbeitgeber reichlich Gebrauch. Theodor Leiphart, der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, stellte 1930 frustriert fest:
    "Heute müssen wir erkennen, dass die 48-stündige Arbeitswoche noch zu lang ist. Besonders bedauerlich aber ist, dass viele Arbeiter und Arbeiterinnen auch jetzt noch länger als 48 Stunden arbeiten müssen, wo viele Millionen ganz ohne Arbeit sind. Die weitere Verkürzung der Arbeitszeit ist gewiss nicht das einzige Mittel, die Krise zu überwinden. Aber eines der allernotwendigsten."
    Dann übernahmen die Nationalsozialisten die Macht, Gewerkschafter wie Theodor Leiphart wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Der Acht-Stunden-Tag existierte zwar noch auf dem Papier, nicht aber in der Realität. Zusatzschichten wurden verordnet, um Deutschland für den Zweiten Weltkrieg zu rüsten.
    "Hauptsache ist, man spannt mal aus"
    Nach der Kapitulation Deutschlands 1945 setzte der Alliierte Kontrollrat die 48-Stunden-Woche wieder in Kraft, doch den Gewerkschaften reichte das schon bald nicht mehr. In den fünfziger Jahren, als die Wirtschaft boomte und die Unternehmensgewinne in die Höhe schnellten, forderten sie einen angemessenen Anteil am Aufschwung. In Form von ordentlichen Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen:
    "Hauptsache ist, man spannt mal aus. In der Natur und auch zu Haus. Kurzum, es wird auf Fälle das Wochenende zur Jungbrunnquelle. Genau gesagt heißt das Panier: Samstags gehört der Vati mir."
    Rund 35.000 Arbeiter und Angestellte demonstrierten am 08.12.1978 in Duisburg gegen Aussperrung. | Verwendung weltweit
    Demonstration für die 35-Stunden-Woche im Dezember 1978 in Dortmund (dpa)
    Mitte der 1950er-Jahre forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund den arbeitsfreien Samstag. Und das hieß nichts anderes als Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden. Was der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer gar nicht so schlecht fand:
    "Eine Verkürzung der Arbeitszeit scheint mir ein berechtigtes Verlangen zu sein."
    Seinen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard aber mächtig in Rage brachte:
    "Ein Volk, das auf breitester Grundlage den Wohlstand mehren und auch in Arbeitnehmerhand die Vermögensbildung fördern will. Ein Volk, das um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, ständig hohe Investitionen vornehmen muss. Ein solches Volk sollte sich nicht Überlegungen nach Verkürzung der Arbeitszeit hingeben."
    Teilhabe am Aufschwung, Humanisierung der Arbeit
    Doch es half nichts. 1960 vereinbarten die Arbeitgeber und Gewerkschafter den Einstieg in die Fünf-Tage-Woche. Und es kam – aus Erhards Sicht – noch schlimmer:
    "Der eigentliche Knüller neben der Verkürzung der Wochenarbeitszeit ist dann ja die Verlängerung der Jahresurlaubszeit", sagt der Historiker Michael Schneider:
    "1950 war ein Jahresurlaub von ungefähr zwei Wochen in der Industrie üblich. Und 1975 schon fünf Wochen. Also wenn wir über die Verkürzung der Arbeitszeit reden, sollten wir nicht nur über die Wochenarbeitszeit, sondern eben auch über die Jahresarbeitszeit reden."
    Teilhabe am Aufschwung, Humanisierung der Arbeit - das waren die wichtigsten Argumente in den 1950er- und 60er-Jahren für die Verkürzung der Arbeitszeit. In den 70er- und 80er-Jahren kam – angesichts wachsender Arbeitslosigkeit - ein neuer Aspekt dazu: Die Verteilung der Arbeit auf mehr Schultern. Der damalige IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler am 1. Mai 1988:
    "In den Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit haben wir das unternehmerische Tabu der 40-Stunden-Woche gebrochen. In den Arbeitskämpfen haben wir Signale für die Zukunft gesetzt. Für mehr Menschlichkeit und für mehr Arbeitsplätze."
    1984 kam die 37-Stunden-Woche
    1984 schaffte die IG Metall nach sieben Wochen Streik unter Steinkühlers Führung den Durchbruch: Die Arbeitszeit sank schrittweise zunächst auf 37 Stunden, 1995 dann auf 35 Stunden in der westdeutschen Metallindustrie. Der Versuch, die 35-Stunden-Woche auch in Ostdeutschland einzuführen, scheiterte 2001 allerdings kläglich und stürzte die IG Metall in eine tiefe Krise. Die Zeit für generelle Arbeitszeitverkürzungen ist vorbei, sagt der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann heute:
    "Tatsache ist, der Weg zur 35-Stunden-Woche war vor allem ein beschäftigungspolitisch begründeter Weg. Heute besteht für eine weitere allgemeine Arbeitszeitverkürzung jetzt keine sichtbare Notwendigkeit."
    "Ich bin Mike Schmelich, 43 Jahre, komme aus Sachsen, bin verheiratet, habe zwei Töchter, und seit 20 Jahren arbeite ich hier im BMW-Motorradwerk."
    Mike Schmelich macht die Arbeit Spaß. Der Lohn ist auch okay, sagt er. Das einzige was ihm fehle, sei Zeit. Zeit, die er mit seiner Familie verbringen kann. Die lebt nämlich im sächsischen Weißwasser, drei Stunden Autofahrt von Berlin entfernt. Mike Schmelich musste daher nicht lange überlegen, als ihn der Arbeitgeber nach der letzten Tarifrunde fragte, ob er mehr Geld oder mehr Urlaub haben möchte.
    "Ich habe mich natürlich für mehr Freizeit entschieden. Weil ja gern bei meiner Familie bin und die Zeit mit meinen Töchtern und meiner lieben Frau verbringen möchte. Und deshalb hat sich das gut ergeben, die acht Tage zu erhalten."
    Wunsch nach mehr Freizeit besteht weiter
    Mehr Geld oder mehr Freizeit, viele Beschäftigte in der Metallindustrie können wählen. Das haben Arbeitgeber und Gewerkschaften in der letzten Tarifrunde so vereinbart. Und überraschend viele Metaller haben sich für mehr Freizeit entschieden, sagt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann:
    "Wir waren selber sehr überrascht, wie groß der Zuspruch ist, etwa im Schichtbereich mit 70, 80 Prozent derer, die diesen Anspruch haben. Und nach unseren neuesten Zahlen deutlich über eine Viertelmillion Menschen, die sich entschieden haben, ich wähle die freie Zeit statt einen zusätzlichen Entgeltbaustein."
    Flexiblere Arbeitszeiten, mehr Selbstbestimmung – vielen Beschäftigten ist das wichtiger als höhere Löhne, berichtet Hofmann. Deshalb habe die Gewerkschaft ihre Tarifpolitik neu ausgerichtet: weg von der starren 35-Stunden-Woche hin zu beweglicheren Arbeitszeiten. Wer länger arbeiten will, kann länger arbeiten. Wer aber mehr freie Zeit braucht, um die Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen, der kann die Wochenarbeitszeit vorübergehend auf 28 Stunden verkürzen. So die Kernpunkte des Tarifabschlusses in diesem Jahr.
    Symbolfoto: Geschäftsmann mit Baby im Arm im Homeoffice 
    Digitalisierung und Home Office bieten neue Chancen für die Arbeits- und Freizeitgestaltung - aber auch neue Schwierigkeiten (imago stock&people)
    Es ist ein wegweisender Abschluss, sagt Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg:
    "Diese Debatte liegt absolut im Trend. Denn Arbeitszeitflexibilität, das brauchen nicht nur die Betriebe, das brauchen mehr und mehr auch Arbeitnehmer. Denn das Haushaltsmodell, dass der Mann sein Leben lang Vollzeit arbeitet und die Frau bleibt zu Hause, das gibt es heute kaum noch. Beide Partner arbeiten. Dementsprechend wird mehr Flexibilität gebraucht. Deswegen gehen solche Überlegungen in die richtige Richtung."
    Flexible Arbeitsmodelle durch Digitalisierung
    Viele Beschäftigte gehen auch gar nicht ins Büro oder in den Betrieb – sondern arbeiten von zu Hause aus. Zumindest gelegentlich. Zum Beispiel bei BMW in Berlin:
    "In unserer Abteilung machen das alle Mitarbeiter. Haben ja auch alle Kinder, und jeder hat dafür das Verständnis und das Vertrauen, dass das klappt. Sind ja auch alle erreichbar. Und deshalb kommt das gut an."
    Die Digitalisierung öffnet da ganz neue Wege. Und die müssen wir nutzen, sagt auch Rainer Dulger, er ist Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Das heiße aber auch: Die Arbeitszeiten müssten noch flexibler werden. Eine tägliche Obergrenze – in der Arbeitszeitverordnung von 1994 sind das zehn Stunden – hält er für überholt:
    "Dass man nicht länger als zehn Stunden am Tag arbeitet, da bin sehr dafür. Aber wie Sie die zehn Stunden aufteilen, das ist der Punkt. Wie lang die Ruhezeiten sein sollen, das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben heute in einigen Bereichen bis zu zehn, elf Stunden Ruhezeiten. Wenn heute abends einer um 23 Uhr an seiner Präsentation feilt, dann darf er am nächsten Morgen nicht um acht ins Büro. Damit würde er seine Ruhezeiten verletzen. Das sind Themen, über die man sprechen müsste, wie man das regeln kann, dass es unseren modernen Umgebungsbedingungen gerecht wird."
    "Die Menschen wollen abschalten"
    Ständig erreichbar, ständig einsatzbereit – ist das die Zukunft der Arbeit? Ist der Acht-Stunden-Tag – einhundert Jahre nach seiner Einführung – ein Anachronismus, der nicht mehr in die modernen Zeiten passt? IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagt nein: Flexibilität ist gut, aber wir müssen die Beschäftigten auch schützen.
    "Mobiles Arbeiten heißt nicht, erreichbar 24 Stunden am Tage, sondern beinhaltet auch ein Recht auf Abschalten. Und deswegen halte ich auch die Debatten um die Eingrenzung der Ruhezeiten für abstrus. Die Menschen wollen abschalten und brauchen da auch einen Anspruch, das zu tun."