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100 Jahre "An Anna Blume"
„Du tropfes Tier, ich liebe Dir!“

„Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A“, sang Max Herre vom Rap-Kollektiv Freundeskreis 1996. Die Zeile stammt aus dem Gedicht „An Anna Blume“ des Dada-Künstlers Kurt Schwitters, das nun 100 Jahre alt wird. Dass wir es heute noch kennen, liegt auch an Schwitters‘ wegweisenden Marketing-Strategien.

Von Christian Röther | 21.01.2019
    Kunst statt religiöser Symbole - das Grab von Kurt Schwitters auf dem Stadtfriedhof Engesohde in Hannover
    Sogar auf Schwitters‘ Grabstein auf dem Stadtfriedhof Engesohde in Hannover steht, er sei der Vater von Anna Blume (Deutschlandradio / Christian Röther)
    O Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
    Kurt Schwitters performt seine Dada-Liebeserklärung "An Anna Blume". Er veröffentlicht das Gedicht 1919. Genau 77 Jahre später, 1996, da taucht eine Textzeile in einem Popsong wieder auf.
    Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
    Man kann Dich auch von hinten lesen.
    Und Du, Du Herrlichste von allen,
    Du bist von hinten wie von vorne: A - N - N - A.
    Freundeskreis "A-N-N-A"-Song: "Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A / Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A / Du bist von hinten wie von vorn A-N-N-A / Immer wenn es regnet, muss ich an Dich denken ..."
    Omnipräsent in der Popkultur
    Aber nicht nur bei Freundeskreis hat Anna Blume ihre Karriere fortgesetzt. Sie mischt mit in Lyrik und Literatur vieler anderer Autorinnen und Autoren, etwa in Paul Austers dystopischem "Land der letzten Dinge". Nach ihr sind Cafés benannt und natürlich Blumenläden. Sie ist auch als Pseudonym in sozialen Netzwerken absolut gefragt, allein bei Facebook findet man 544 Profile mit dem Namen Anna Blume. Und auch bei YouTube kann man sich jede Menge Videos anschauen, in denen Menschen das ihr gewidmete Gedicht interpretieren:
    "Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir?"
    Das Erfolgsgeheimnis von Anna Blume
    Wie also hat Kurt Schwitters es hinbekommen, dass seine Anna Blume heute noch so populär ist?
    Julia Nantke: "Schwitters war ja nicht nur Künstler, sondern eben auch Werbefachmann, das muss man sagen. Also der hat auch professionell eine Werbeagentur betrieben."
    Julia Nantke ist Literaturwissenschaftlerin. Seit Jahren befasst sie sich mit Kurt Schwitters und seinem Werk. Und seinen Werbestrategien.
    "Er hat auch Aufkleber beispielsweise produzieren lassen damals schon. Also auch das eigentlich ein sehr moderner Zug, wie man das heutzutage auch noch kennt, dass auf der Straße irgendwo an Laternenpfählen oder Ampeln oder so Aufkleber verteilt werden. So hat er das damals auch schon gemacht mit eben Anna Blume als Schriftzug, den er überall in Straßenbahnen, in öffentlichen Gebäuden und so weiter dann verteilt hat."
    Moderne Werbestrategien
    Und nicht nur das. Schwitters hat auch anlässlich einer Reichtagswahl Anzeigen in Zeitungen geschaltet. Sein Slogan: "Wählt Anna Blume!" Und er hat in Hannover Plakate mit den Zehn Geboten anbringen lassen – und dann sein Anna-Blume-Gedicht daneben geklebt.
    "Das war klar, dass das für einen Sturm der Empörung sorgen wird. Gerade wenn man so einen religiösen Kontext dann nimmt und das eben dann mit so einem ‚dadaistischen Unsinn‘ – wie natürlich viele das damals auch einfach gesehen haben – kombiniert. Und das war sozusagen ein geplanter Aufruhr."
    Freundeskreis "A-N-N-A"-Song: "A-N-N-A – one love baby"
    Kein typisches Liebesgedicht
    Freundeskreis machen aus Anna ein melancholisches Liebeslied. Dabei taugt Schwitters‘ "An Anna Blume" eigentlich gar nicht so richtig als Liebeserklärung: fehlerhafte Grammatik, Paradoxa wie "Blau ist die Farbe Deines gelben Haares", und vor allem sehr zweifelhafte Komplimente wie "ungezähltes Frauenzimmer" oder "Dein Name tropft wie weiches Rindertalg". Für die Literaturwissenschaftlerin Julia Nantke liegt gerade darin der Erfolg des Gedichts begründet. "Das macht es eben spannend und rätselhaft auf eine Art und auch sehr unkitschig."
    In der jungen Weimarer Republik wird Schwitters‘ Gedicht viel diskutiert, gelobt, veralbert. Und das Werbe-Genie Schwitters wittert seine Chance: Er baut Anna Blume zur Marke auf. Er klebt ihren Namen in seine Collagen und benennt weitere Texte nach ihr. "Das ist also quasi so ein bisschen wie heutzutage, wenn ein Film erfolgreich ist, dann gibt es natürlich im nächsten Jahr den zweiten Teil und dann den dritten Teil und so weiter. So lange die Sache eben trägt."
    "Diebisch würde ihn das freuen"
    Sogar auf Schwitters‘ Grabstein steht, er sei der Vater von Anna Blume. Aber seine "Tochter" Anna hat eben nie wirklich existiert – und ist gerade deshalb noch heute sehr lebendig.
    Freundeskreis "A-N-N-A"-Song: "Anna, wie war das da bei Dada? Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A. Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A. Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A."
    Dass heute das Publikum seine Textzeile mitsingt, das würde Kurt Schwitters bestimmt sehr freuen. "Ja, diebisch würde ihn das freuen. Und überhaupt, dieses ganze Nachleben, was Anna Blume jetzt vor allem auch auf so Kanälen wie YouTube oder so was führt, das würde Schwitters wahrscheinlich wahnsinnig freuen. Also dass wir ihren 100. Geburtstag feiern öffentlich im Radio, das wäre ihm sicherlich ein großes Fest."
    "Anna Blume, Du tropfes Tier, ich liebe Dir!"