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100 Jahre Bauhaus
"Das Bauhaus war eine Idee"

Eine soziale Werkgemeinschaft ohne einheitlichen Stil - so bezeichnete die Design-Kuratorin Jolanthe Kugler das Bauhaus im Dlf. Es habe nicht Gebrauchs-Objekte geschaffen, sondern nach gesellschaftlichen Lösungen gesucht.

Jolanthe Kugler im Gespräch mit Änne Seidel |
    Vernissage der Ausstellung "Bauhaus #allesistdesign" im Vitra Design Museum. Foto: © Bettina Matthiessen
    Jolanthe Kugler, Bauhaus #allesistdesign im Vitra Design Museum (Bettina Matthiessen)
    Änne Seidel: Dunkle Holzmöbel mit geschwungenen Füßen und Lehnen, schwere Teppiche mit kleinteiligen Mustern, dazu opulente Gardinen mit beeindruckendem Faltenwurf – so in etwa sah noch im 19. Jahrhundert das durchschnittliche bürgerlich-deutsche Wohnzimmer aus. Für die Bauhaus-Gründer war dieser Stil, der sogenannte Biedermeier-Stil, der Inbegriff allen Übels. Sie forderten: weg mit den überflüssigen Schnörkeln, weg mit der muffigen Behaglichkeit. Das Bauhaus wollte für den Menschen eine Umgebung schaffen, in der nicht nur ein neues Wohnen, sondern auch ein neues Denken möglich war. Genau 100 Jahre sind seit der Gründung des Bauhauses vergangen, und was einst radikal-modern war, ist heute längst Allgemeingut: schlichte Formen, reduzierte Farben – so sieht es mittlerweile in jedem zweiten Straßencafé aus. Sind die gestalterischen Ideen der Bauhaus-Gründer da überhaupt noch von Belang oder doch eher ein Fall für das Museum? Diese Frage geht heute an Jolanthe Kugler, Kuratorin am Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Was sagen Sie, Frau Kugler, besteht das Bauhaus auch 100 Jahre nach seiner Gründung noch den Praxistest?
    Jolanthe Kugler: Auf jeden Fall. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste Grund ist vielleicht die Tatsache, dass das Bauhaus kein Stil war, das heißt, alles, was wir an Produkten des Bauhauses kennen, kommt zwar aus dem Bauhaus und transportiert auch irgendwie die Idee des Bauhauses, aber es tut eben auch nicht mehr, als eine Idee zu transportieren. Darin liegt aber auch die Faszination des Bauhauses. Es war kein Stil, sondern eine Idee, die Idee einer sozialen Werkgemeinschaft, eines Miteinanders von gleichberechtigten Künstlern und Handwerkern, die gemeinsam und, wie Albers es, glaube ich, es mal ausdrückte, in produktiver Uneinigkeit versuchten, eine neue Welt zu gestalten, eine ohne Teppichmuster und ohne schönen Faltenwurf der Vorhänge.
    Die Gestaltung der Gesellschaft
    Seidel: Sie sagen es: Die Bauhaus-Gründer haben sehr groß gedacht. Es ging ihnen darum, gleich mal die ganze Gesellschaft zu erneuern. Beobachten Sie denn dieses umfassende Verständnis von Gestaltung auch bei der heutigen Generation von Designern?
    Kugler: Ganz stark. Das ist wirklich sehr faszinierend, wie die Designer von heute sich wieder auf das Bauhaus berufen, im Angesicht von Konsumkritik und dem Bewusstsein, dass unsere Ressourcen endlich sind, suchen die Designer wieder nach einer Aufgabe, die über das reine Industriedesign hinausgeht, auf das das Design oder der Designbegriff jahrzehntelang reduziert wurde. Sie versuchen mit allen Mitteln zu definieren, was ihre Rolle eigentlich sein könnte für die Gestaltung natürlich von Produkten, aber die Produkte, die beeinflussen ja auch immer die Gesellschaft. Das heißt, letztendlich geht es über die Produkte und die Gestaltung der Gesellschaft.
    Seidel: Nennen Sie uns doch mal ein paar konkrete Beispiele, also welche Designer oder welche Produkte stehen Ihrer Meinung nach in der direkten Tradition des Bauhauses?
    Kugler: Sind vielleicht nicht die einzelnen Produkte selber. Ich meine, einen Stuhl kann jeder entwerfen, ob vor 100 Jahren oder heute. Es bleibt immer noch eine horizontale Sitzfläche und eine Rückenlehne und der soll irgendwie gut aussehen und im besten Falle auch noch bequem sein, was die Bauhaus-Möbel alle nicht waren, um eine kleine Klammer einzuschieben. Es geht eher darum, um die Art und Weise, wie man an Dinge herangeht, wie begreift man seine eigene Arbeit. Ist man ein Einzelkämpfer oder arbeitet man eher im Kollektiv, obwohl dieses Wort Kollektiv ja auch schon wieder schwierig ist. Es ist eher eine Arbeitsgemeinschaft von Individualitäten, von Individualisten, die versuchen, gleichberechtigt irgendetwas Neues zu tun, aber nicht neu im Sinne von: wir machen jetzt einfach den Stuhl rot und dann ist er neu, weil der letzte war schwarz, sondern welche Dinge brauchen wir eigentlich heute. Das haben die Bauhäusler natürlich sehr stark gemacht. Der Stuhl oder das Produkt oder der Aschenbecher von Marianne Brandt waren nur ein Ausdruck für diese Suche nach angemessenen Formen für die zeitgenössische Gesellschaft, ob damals oder heute.
    Seidel: Jetzt muss man aber ja sagen, dass der Anspruch des Bauhauses, die Gesellschaft zu erneuern, sie sozialer zu gestalten, auch das damals doch eine Utopie geblieben ist. Der Zweite Weltkrieg hat dem Bauhaus ein sehr abruptes Ende bereitet, die Welt ist erneut in die Katastrophe gestürzt. Wie erklären Sie sich, dass der Glaube an diese Bauhaus-Idee und dieser Optimismus vor allem, dass der trotzdem überlebt hat im Design?
    Kugler: Ich bin eigentlich sehr froh, dass der überlebt hat und dass der Glaube an das Gute und an die Möglichkeiten der Gestaltung der Welt auch Katastrophen wie den Zweiten Weltkrieg überleben. Dass es das getan hat, glaube ich, liegt wirklich in der Tatsache begründet, dass das Bauhaus zwar eine Schule war natürlich, es war ja eine Institution oder wurde zu einer Institution, aber letztendlich ist es doch nur eine Idee geblieben, eine utopische Idee, und utopische Ideen haben uns immer schon fasziniert, weil sie über das hinausweisen, was gerade ist. Es ist ja nicht so, dass Utopien nicht verwirklicht werden können, sondern es sind einfach Dinge, die im Moment noch nicht möglich sind, und irgendjemand muss mal, sagen wir mal: die Fassung bewahren, wenn er als Spinner bezeichnet wird, weil er zu weit und zu groß denkt. Das, was das Bauhaus damals gedacht hat, musste zwangsläufig erst mal scheitern, weil es zu weit gedacht war. Die Welt war noch längstens nicht bereit dafür, aber es hat den Weg bereitet für etwas, was vielleicht heute in Teilen verwirklicht werden kann.
    Bauhaus-Stil gibt es nicht
    Seidel: Bleiben wir noch mal einen Moment bei diesem sozialen Anspruch des Bauhauses, bei seinen demokratischen Idealen. Walter Gropius, der Bauhaus-Gründer, hat die Idee der Gleichheit ja immer sehr betont. Also sein Ziel war es, einen einheitlichen Stil zu schaffen, der die Bedürfnisse aller Menschen befriedigen kann. Wenn ich mir jetzt unsere Gesellschaft heute so angucke, dann denke ich mir, hm, das ist doch alles so komplex, so individualisiert, da geht es doch im Design sicherlich auch vor allem darum, individuelle Lösungen für individuelle Probleme zu finden, also doch ganz anders gedacht als das Bauhaus damals.
    Kugler: Ja, diese Dinge sind auch mit großer Vorsicht, glaube ich, zu nehmen. Gropius war ein unglaublich guter Verkäufer. Er war ja selber nicht unbedingt ein genialer Architekt oder genialer Künstler, eher ein, ich würde sagen: ein mittelmäßiger, aber er war genial darin, Ideen zu verkaufen, und wenn Sie eine Idee verkaufen wollen, dann können Sie nicht die Idee in viele Teile zerstückeln, weil dann lässt sie sich nicht verkaufen, sondern Sie müssen sie auf irgendetwas einfach Transportierbares runterbrechen. Das hat Gropius wirklich großartig gemacht. Er hatte diese soziale Werkgemeinschaft immer vor sich hergetragen, nicht eine Schule gemacht, die die Gropius-Schule hieß, wie es damals üblich war, sondern eine Schule, in der es ganz viele Meister gab, die ihr Wissen weitertransportiert haben. Es ist wirklich problematisch, dass er so gut war im Kommunizieren, denn dadurch ist das entstanden, was er eigentlich mit allen Mitteln und vehement in der ganzen Zeit abgelehnt hat, nämlich dieser sogenannte Bauhaus-Stil. Er wollte nie einen einzigen Stil. Es war überhaupt nicht in seinem Interesse, und ich glaube, es lag auch nicht unbedingt in seinem Interesse oder es war nicht sein Anspruch, eine einzige Lösung zu finden. Das sieht man schon am Schulprogramm. Der Lehrplan hat sich die ganze Zeit verändert. Jedes Jahr gab es einen neuen Lehrplan, jedes Jahr gab es eine neue Idee darüber, wie dieser neue Gestalter, dieser neue Designer ausgebildet werden sollte. Es war also eigentlich alles immer in Bewegung, aber wenn Sie es verkaufen müssen, dann müssen Sie es trotz allem runterbrechen, und er hat es runtergebrochen auf wenige Objekte, wie zum Beispiel die berühmte Bauhaus-Lampe, die diese Bauhaus-Idee transportieren sollte. Wenn wir schon bei dieser Lampe sind: Er hat ja Grundsätze formuliert, die besagten, ein Bauhaus-Produkt sollte haltbar sein, es sollte seinen Zweck angemessen erfüllen, es sollte bezahlbar sein und zum Schluss sollte es auch noch schön sein. Wenn wir das mal auf diese berühmte Bauhaus-Lampe anwenden …
    Seidel: Da trifft es nicht wirklich zu. Die ist doch zerplatzt. Der Schirm ist zersprungen, weil er zu heiß geworden ist.
    Kugler: Zum Beispiel. Nur eines von zahlreichen Problemen, die diese arme Lampe immer hatte und auch heute noch hat. Funktional ist das Ding überhaupt nicht, weil es ist eigentlich als Leselampe gedacht, aber wenn Sie schon mal versucht haben, ein Buch darunter zu lesen, dann sind Sie bestimmt kläglich gescheitert, weil der Schirm gibt überhaupt nicht genügend Licht. Sie müssten das Buch unter den Schirm schieben und Ihre Stirn an den Lampenschirm legen, damit Sie irgendetwas sehen können. Dann würden Sie sich die Stirn verbrennen und trotzdem wahrscheinlich nicht besonders erfolgreich sein. Dann ist das Ding wahnsinnig teuer. Es ist ja Handarbeit, immer noch heute größtenteils Handarbeit, damals auch noch silbergetrieben und dann mit dieser handgeblasenen, mundgeblasenen Glaskugel. Also günstig war da dran überhaupt nichts und ist es auch heute nicht. Sie ist nicht funktional, sie ist nicht günstig, sie erfüllt ihren Zweck nicht. Das einzige, was übrigbleibt, ist schön.
    Das Bauhaus behält seine Bedeutung
    Seidel: Gibt es denn vielleicht weniger bekannte Objekte als die berühmte Wagenfeld-Leuchte, von denen Sie sagen würden, eigentlich waren das die wirklich revolutionären Erfindungen des Bauhauses?
    Kugler: Die gibt es, und die gibt es sehr zahlreich, und die hatten wir auch in der Ausstellung, die ich vor ein paar Jahren kuratiert habe, "Das Bauhaus: Alles ist Design", weil es uns schien, dass es eigentlich diese Objekte sind, anonyme Objekte, die die Welt dann tatsächlich auf den Bauhaus-Stil gelüpft haben. Es sind Dinge, die zum Beispiel Wagenfeld designt hat. Wagenfeld war zwar ein Bauhäusler, aber die Dinge, die er dann später gemacht hat, als er schon lange nicht mehr im Bauhaus war, die sind dann wirklich berühmt geworden, wie seine Teekanne oder diese berühmten Glasbehälter, die man so schön stapeln kann. Jeder hatte diese Dinge damals. Marianne Brandt ist ein anderes Beispiel, eine der wenigen Frauen, die einzige Frau, die nicht in die Weberei verbannt wurde wie alle anderen Frauen. Sie war einfach schrecklich unbegabt mit Fäden und Farben und solchen Dingen. Sie durfte in die Metallwerkstatt und hat in der Metallwerkstatt natürlich ikonische Objekte geschaffen, hat aber später dann auch für die Ruppelwerke zum Beispiel die ganze Produktlinie überarbeitet. Das waren Gebrauchsgegenstände – Serviettenhalter und Kakteenständer und solche Dinge oder Handfeger. Sie hat sie überarbeitet, und das waren wirklich Produkte, die wurden in rauen Mengen hergestellt und waren in jedem Haushalt zu finden. Also sind es eigentlich diese anonymen Objekte, von denen gar niemand weiß, dass sie eigentlich von Bauhäuslern gestaltet wurden, die dann diesen Bauhaus-Stil durch die ganze Welt getragen haben.
    Seidel: Dann lassen Sie uns, Frau Kugler, abschließend noch eine Prognose wagen. Sie sagen, 100 Jahre nach seiner Gründung ist die Bauhaus-Idee nach wie vor aktuell. Wird sie auch die nächsten 100 Jahre überdauern und auch für die nächsten Generationen von Designern noch Vorbild sein?
    Kugler: Wahrscheinlich schon, weil die Ideen eigentlich unglaublich schwammig waren, wenn man sie mal genau betrachtet. Sie sind so schwammig, dass jeder sich herausziehen kann, was auch immer ihm gerade dient, um das eigene Tun zu rechtfertigen und ihm eine hübsche Bauhaus-Aura zu verleihen. Von dem her würde ich die Prognose wagen, dass das Bauhaus auch noch die nächsten Jahrzehnte, vielleicht nicht 100 Jahre, aber in den nächsten Jahrzehnten seine Bedeutung nicht verlieren wird.
    Seidel: Sagt Jolanthe Kugler, Kuratorin am Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Morgen geht es in unserer Reihe zum Bauhaus-Jubiläum um das "Bauhaus als Ideologie" – dazu dann ein Gespräch mit dem Architekten und Architekturhistoriker Werner Durth.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Die Leuchtenmanufaktur Tecnolumen weist darauf hin, dass es keine Probleme mit der Qualität und Anwendbarkeit der Wagenfeld Leuchte gegeben hat oder gibt.