Michael Köhler: Wer war eigentlich dieser redegewandte, gut aussehende Kopf des Bauhauses Walter Gropius? Anfang März erscheint eine Biografie des Buchautors und Designhistorikers Bernd Polster, der ihn im Untertitel den "Architekten seines Ruhms" nennt. Bernd Polster ist einigen Ungereimtheiten und Legendenbildungen nachgegangen und kratzt beträchtlich an der Heiligengeschichte vom Bauhausgründer. Bernd Polster, Sie haben eine neue Biografie über Gropius verfasst, eine Art Denkmalsturz. Was zählen sie zu den Ungereimtheiten, die ihnen aufgefallen sind?
Bernd Polster: Ja, es ist eigentlich ziemlich offensichtlich. Als Herr Gropius Direktor wurde in Weimar, übrigens Direktor der Kunsthochschule, war aber weder Künstler noch Kunsthistoriker und nicht mal ein Zeugnis in der Architektur konnte er vorweisen. Wieso wird so jemand Direktor einer Kunsthochschule, die er dann Bauhaus nennt? Das ist dann nochmal eine andere Sache.
Köhler: Es gibt eine Biografie, von der Sie sagen sie sei selber Teil einer - ich ergänze - konstruierten Selbstbiographie von Gropius. Sie räumen ein bisschen auf, kratzen am Lack und entmystifizieren. Warum ist das nötig?
Polster: Man muss vielleicht mal kurz sagen die Biografie stammt von Herrn Reginald Isaacs. Das war ein Kollege von Walter Gropius, dem er eine Professur in Harvard besorgt hatte und ihn dann angeleitet hat diese Biografie zu schreiben unter seiner Ägide. Das sind tausendzweihundert Seiten. Wer hat Zeit das zu lesen? Wer hat Zeit das zu kontrollieren? Ich hatte es Gottseidank und bin dann darauf gekommen: es ist ein riesiger Irrgarten. Es werden falsche Fährten gelegt, es werden Dinge verschwiegen. Das ist eine der probatesten Methoden, die er auch in seinem Leben immer wieder gerne angewendet hat, gerade wenn es um Vorgänger ging.
Leidenschaftlicher Husar im Dienst des Neuen
Köhler: Was ist falsch an dem, was wir bisher von Walter Gropius wissen, was wir jetzt durch Sie erfahren und in ein anderes Licht gerückt werden muss?
Polster: Was mir aufgefallen ist an Isaacs Biografie ist zum Beispiel, dass da die Jugend und die Kindheit kaum vorkommt. Und die Jugend und die Kindheit und die ersten Berufsjahre fallen ins Kaiserreich - das ist immerhin ein Vierteljahrhundert von 1883 bis 1918. Da erfährt man verdammt wenig drüber. Das hat mich dann doch sehr interessiert und ich würde mal kurz sagen: Walter Gropius ist, durch und durch, durch das Kaiserreich geprägt worden und zwar in einem Maße, wie man sich das kaum vorstellen kann. Also bis dahin, dass sein Lebensziel bis in den Weltkrieg hinein, man kann sogar sagen bis zur letzten Sekunde des Weltkriegs, war er ein leidenschaftlicher Husar. Das war das höchste Ziel seines Lebens und um jetzt kurz eine Verbindung zu schlagen: Vieles in seinem Denken folgt dem Schema des Kampfes. Er hat zu Anfang, also in den ersten Jahren, als es viel Streit ums Bauhaus gab - weil das natürlich etwas Modernes war und das wird ja erst immer abgelehnt -, das hat er "meinen großen Bauhaus-Kampf" genannt und man kann dieses Wort Kampf von ihm, gebraucht in der Literatur, immer wieder finden. Für ihn war es ein Kampf, wenn man will ein Kreuzzug der Moderne.
Köhler: Aber sind sie nicht gerade angetreten - wenn Sie sagen, er kommt aus dem Obrigkeitsstaat, er ist als Beamtensohn am Berliner Tiergarten groß geworden -, ist das nicht gerade vielleicht guter Grund zu sagen: "Nein, wir schütteln das jetzt alles mal ab, wir sind Kinder der neuen jungen Demokratie, wir bauen eine demokratische Kunstschule auf?" Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie, da sind noch ganz alte autoritäre, autokratische Strukturen am Werke.
Polster: Das kann man wohl sagen. Ja, das ist eine interessante Mischung von Autokratie und lässig, die wiederum auch mit etwas anderem zusammenhängt: Nämlich dass er natürlich erhebliche Defizite hatte, die ich ja vorhin angedeutet habe. Und wie kommt man damit zurecht? Er hatte da eine ganz phantastische Methode, er hat die Sachen andere machen lassen. Das hat er sowohl in seinem Architekturbüro, da war es der Adolf Meyer, von dem wohl sämtliche wichtigen Entwürfe sind, bis er das Büro verlassen hat. Im Bauhaus waren das die Studenten. Es ist doch eine komische Universität, wo fast ausschließlich alle Entwürfe, die entstehen, von den Studenten sind und nicht von den Dozenten oder von den Lehrern. Das ist ja merkwürdig.
Köhler: Jetzt lassen Sie, Herr Polster, die Katze aus dem Sack. Sie haben mir gesagt, es gibt keinen handschriftlich signierten abgöttisch gezeichneten autorisierten Entwurf von Walter Gropius?
Polster: Ja, das ist so etwas was mich neugierig gemacht hatte. Das ist auch nicht von mir, das ist aus seiner Werkbiografie von Winfried Nerdinger, dem Architekturhistoriker. Der ist also hinabgestiegen in dieses Archiv, das eines der größten Archive eines Architekt ist - das ist in Amerika im Busch-Reisinger Museum -, und er stellt also ganz einfach fest: es gibt keine einzige Zeichnung in diesem großen Konvolut von Gropius, die ihm zuzuordnen ist! Das ist doch schon eine Aussage und man muss sich natürlich fragen, warum haben sich daran eigentlich nicht schon eher Leute gestört? Also es gibt dann immer Eiertänze, wo versucht wird zu erklären, wie er dann doch entworfen hat, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Das ist eigentlich die Methode: immer zu seinen Gunsten zu argumentieren. Das Zeichnen war damals und wahrscheinlich auch noch heute eine ganz wichtige Grundfähigkeit für Architekten bei der Entwicklung der Entwürfe. Und ähnlich ist es im Design. Und diese Fähigkeit hatte er einfach nicht besessen, und die Zuordnung der Sachen, die Urheberschaft ist mehr als zweifelhaft, aber durch den großen Namen, den er sich geschaffen hat wird sie ihm einfach automatisch zugerechnet.
Köhler: Worin lag denn sein großes Talent außer dass er ein verdammt gut aussehender Mann war, was Alma Mahler auch erkannt hat, und ihn nach einer Affäre dann recht bald geheiratet hat, ich glaube bis 1920 ging die Ehe. Paul Klee, der Maler, hat ihn mal einen "Silberprinz" genannt und wollte damit den aristokratischen Geist von Walter Gropius zum Ausdruck bringen. War er denn nur ein geschickter PR-Mann?
Polster: Ich würde sagen: nicht nur. Natürlich war er auf alle Fälle ein geschickter PR-Mann. Er war sehr redegewandt, er war offensichtlich auch attraktiv, und er war ein guter Organisator. Was er nicht war: ein kreativer Architekt und Designer. Das war er nicht, und das musste er natürlich kaschieren, und da hat er dann noch eine Fähigkeit entwickelt: Er war auch ein ziemlich guter Hochstapler.
Köhler: Wie belegen Sie das?
Polster: Durch Zufall ist er zur Architektur zurückgekommen, die er ja eigentlich schon aufgegeben hatte, weil er zweimal am Architekturstudium gescheitert ist. Durch einen riesigen Zufall, nämlich dass er einen Herrn Osthaus, der ein großer Mäzen und Förderer der modernen Bewegung war, vor dem Ersten Weltkrieg in Madrid getroffen hat und die da Wein getrunken haben und der Osthaus sich dann offensichtlich in den rund zehn Jahre jüngeren Gropius - attraktiv wie wir eben schon gesagt haben - verguckt hat.
Schöpferischer Umgang mit Defiziten
Köhler: Der Gründer des Folkwang Museums.
Polster Der Gründer des Folkwang Museums und ein großer Mann im Deutschen Werkbund damals, der ihn dann in den Deutschen Werkbund gebracht hat ohne jede Qualifikation. Der ihn dann auch noch zu Peter Behrens gebracht hat, der Architekt, der gerade in Berlin für AEG den größten Auftrag der Reformbewegung ausführte, nämlich die komplette Renovierung der Firma AEG, die damals so etwas Ähnliches war wie Apple heute. Gropius war nicht, wie es überall immer erzählt wird, der Assistent und vielleicht sogar der Büroleiter, sondern er war - wie er selber gesagt hat - das Faktotum! Das heißt, der Behrens hat ihn auch nicht zeichnen lassen, weil das konnte er ja nicht, sondern hat ihn auf Reisen mitgenommen und er musste dies und das für ihn machen, unter anderem auch Tennisspielen mit seiner vierzehnjährigen Tochter. Und das konnte er natürlich gut, wie man weiß. Was er auch gut konnte: als Bauleiter fungieren. Also ist er schöpferisch mit den von Ihnen eingangs genannten Defiziten umgegangen, das kann man sagen. Ich führe das auch auf seine Sozialisation im Kaiserreich zurück, weil er war einfach in der Lage, das Dienstpersonal zu führen. Das Dienstpersonal richtig einzusetzen, und für ihn war im Grunde genommen die ganze Welt Dienstpersonal.
Köhler: Sie hatten zu Hause, muss man sagen, drei Angestellte.
Polster: Das war ganz normal, es können auch vier gewesen sein, also eine Köchin und ein Kindermädchen natürlich, und einen Diener und so weiter. Aber für ihn waren eben alle anderen Leute vor allen Dingen seine Angestellten. Zum Beispiel Adolf Meyer, seinen Partner im Büro, den hat er als Dienstpersonal behandelt. Dessen Urheberschaften und dessen große Qualifikationen - im Gegensatz zu Gropius - hat er immer unterdrückt, hat er immer verschwiegen. Dieses Bild bleibt bis heute bestehen und das ist ja auch erstaunlich.
Auch die Frauen zählte er zum Dienstpersonal
Köhler: Dazu zählt auch, dass es eine Mär gibt von der Förderung der Frauen. Die sind nämlich alle in die Textil- und Keramikklassen gesteckt worden!
Polster: In die Frauenklasse, genau. Also die Frauen waren natürlich auch Dienstpersonal. Also er war, um es mal ein bisschen salopp zu sagen, ein ganz knallharter Hund. Seine eigene Frau, seine zweite, die Ilse, die hat er zu seiner Sekretärin gemacht - die übrigens wahrscheinlich die Autorin der meisten oder wenn nicht aller seiner Texte ist -, die hat er als Husar, der er war, erstmal in einer Attacke erobert. Die hat er einen Tag vor der Hochzeit - und sie war eine Fabrikantentochter, das war eine große Hochzeit! - hat er sie abgeworben und dann wurde die Hochzeit abgesagt, womit natürlich der Bruch seiner Frau mit ihrer Familie besiegelt war. Eine ganz schlimme Sache für sie natürlich, und sie ist dann sehr krank geworden war monatelang im Hospital und musste im Hospital - weil sie ja seine Sekretärin war - die Post erledigen, unter anderem auch die Post an seine anderen Liebhaberinnen! Eine Diagnose ihrer Krankheit hat es nie gegeben, es war psychosomatisch ganz offensichtlich. Also das ist ein Ausmaß an Herrenmenschentum und an Menschenverachtung, das ist schon unglaublich. Und wiederum kann ich natürlich nur die Frage anschließen: wie kann man so etwas hinnehmen und übersehen, in den letzten hundert Jahren und in den letzten dreißig Jahren, seitdem es diese Biografie gibt? Ich würde noch mal ganz kurz zusammenfassen: so wie er die Frauen und seine Partner als Dienstpersonal betrachtet hat, so - könnte man sagen - war eben auch das Bauhaus sein Gutshof.
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