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100 Jahre Technische Nothilfe
Der Vorläufer des THW wird gegründet

Zu Beginn der Weimarer Republik gründet ein Freikorps-Mitglied zusammen mit Gleichgesinnten die Technische Nothilfe. Der Vorläufer des heutigen Technischen Hilfswerks sollte in politisch unruhigen Zeiten die öffentliche Versorgung in Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken sichern und vor Streiks abschirmen.

Von Matthias Bertsch | 30.09.2019
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    Kapp Putsch 1920 in Berlin: Die Technische Nothilfe auf dem Weg ins Elektrizitätswerk Schöneberg. (imago / Arkivi)
    "Was unsere Feinde trotz grausamer Maßnahmen während des Weltkrieges nicht erreicht hatten, die völlige Zertrümmerung des deutschen Wirtschaftslebens, drohte nach seinem Ausgange durch die schrankenlosen inneren Kämpfe der Deutschen untereinander zur Wirklichkeit zu werden."
    Mit diesen Worten beschrieb die Technische Nothilfe im Herbst 1919 die Gründe für ihre Entstehung.
    "Im März des Jahres 1919 erreichten diese Kämpfe durch Stilllegung der lebenswichtigen Werke Berlins, wie der Elektrizitätswerke, ihren kritischen Höhepunkt. Da aber in der tiefsten Nacht Deutschlands tauchte auch ein erster Lichtstrahl wieder auf."
    Dieser Lichtstrahl hieß "Technische Abteilung" und ging auf den Pionieroffizier Otto Lummitzsch zurück. Lummitzsch war Mitglied eines Freikorps und sah die revolutionären Umbrüche nach Ende des Ersten Weltkriegs mit großer Sorge – vor allem, was die große Zahl an Streiks anging, die auch Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke betrafen. Gemeinsam mit Gleichgesinnten stellte er Freiwilligenverbände auf, die das Funktionieren wichtiger Betriebe sicherstellten, so der Historiker Arnd Bauerkämper von der Freien Universität Berlin:
    "Zunächst ging es darum, die öffentliche Versorgung zu sichern und vor Streiks abzuschirmen. Deshalb war die Technische Nothilfe natürlich auch bei den Gewerkschaften sehr, sehr unbeliebt, weil sie sozusagen als Streikbrecher galten – und das auch nicht zu Unrecht."
    Wichtige Stütze der öffentlichen Ordnung
    Große Teile des konservativen Bürgertums, aber auch Reichswehrminister Gustav Noske von der SPD sahen in den paramilitärisch organisierten Verbänden dagegen eine wichtige Stütze der öffentlichen Ordnung. Und so rief Noske am 30. September 1919 die Technische Nothilfe als reichsweite Organisation ins Leben. Innerhalb weniger Monate hatte sie bereits 50.000 Mitglieder, darunter viele arbeitslose Ingenieure und ehemalige Soldaten. Während anfangs die Unterbindung von Streiks im Zentrum stand, verlagerte sich der Schwerpunkt Mitte der 20er Jahre in Richtung Katastrophenschutz. Gegen Ende der Weimarer Republik trat dann der paramilitärische Charakter der Technischen Nothilfe wieder stärker hervor.
    "In der nationalsozialistischen Zeit, in der nationalsozialistischen Diktatur, wurde eben dann die Technische Nothilfe auch im Grunde genommen gleichgeschaltet, wurde 1939 auch offiziell eine staatliche Organisation und wurde dann massiv eingesetzt für Zwecke des Regimes, Unterdrückung vor allem, und dann in den besetzten Gebieten eben auch eingesetzt gegen Aufständische, also wurde ein Teil der nationalsozialistischen Kriegführung", so Arnd Bauerkämper.
    Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Technische Nothilfe von den Alliierten aufgelöst, doch 1950 in der Bundesrepublik erneut ins Leben gerufen, diesmal unter dem Namen "Technisches Hilfswerk". Gründer und Direktor war wieder Otto Lummitzsch, der 1934 von Himmler wegen seiner so genannten halbjüdischen Frau aus dem Amt gedrängt worden war. Dass ein Großteil des Führungspersonals auch unter den Nationalsozialisten in der Technischen Nothilfe gearbeitet hatte, wurde weitgehend verschwiegen.
    "Das war natürlich eine der Lebenslügen sehr vieler Mitglieder der Technischen Nothilfe nach 1945 und auch noch in der frühen Bundesrepublik, dass sie gesagt haben: Na ja, ich war ja nur Techniker, ich hatte mit der Politik eigentlich nichts zu tun, oder: ich hab nur Befehle ausgeführt", so Arnd Bauerkämper.
    Katastrophenschutz im Kalten Krieg
    Ähnlich wie sein Vorläufer wurde auch das Technische Hilfswerk anfangs vor allem zur Bekämpfung von Streiks eingesetzt, was bei den Gewerkschaften erneut heftige Proteste auslöste. Dazu kam der vorbeugende Katastrophenschutz im Kontext der Ost-West-Konfrontation, sagt Bauerkämper:
    "Das Technische Hilfswerk wurde eingesetzt zur Einlagerung von Konserven, zur Unterhaltung von Luftschutzbunkern, die ja zum Teil aus dem Zweiten Weltkrieg reaktiviert wurden, die zum Teil neu errichtet wurden, um Schutz vor Atomschlägen zu bieten, also für diese Funktionen, die im Kontext des ausbrechenden und dann auch eskalierenden Kalten Krieges standen."
    Doch es gab auch zentrale Unterschiede zur Technischen Nothilfe. Das Technische Hilfswerk hatte bewusst keine militärische oder paramilitärische Struktur. Außerdem waren die Hilfseinsätze schon früh international angelegt:
    "Bereits 1953 wurde das Technische Hilfswerk eingesetzt, um einen Notstand in den Niederlanden, ich glaube, es ging um eine große Flut, einzudämmen und dort den Leuten zu helfen. Kurzum: man hat also auch versucht, das Technische Hilfswerk für die Versöhnungspolitik einzusetzen, der Bundesrepublik, und das auch sehr erfolgreich. Das Technische Hilfswerk ist gewissermaßen seit den 50er Jahren auch Botschafter dieser neuen Bundesrepublik."
    Und so hat sich das Bild der Technischen Helfer in den letzten hundert Jahren grundlegend gewandelt: vom Streikbrecher in der Anfangszeit zum Katastrophenschützer und Lebensretter heute.