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100 Jahre Theremin
Geistersounds aus der Antenne

Lev Thermen, später Leon Theremin genannt, gilt als Meister unirdischer Klänge. Der Physiker schuf das Theremin, ein Instrument, das durch Fuchteln in der Luft geisterhafte Töne erzeugt. Auf Druck des sowjetischen Geheimdienstes entwickelte er die Technik zu einer Abhörvorrichtung weiter.

Von Mathias Schulenburg | 05.08.2020
    Leon Theremin bei einer Präsentation seines Theremins in Paris.
    Das Theremin wurde 1920 als erstes spielbares elektronisches Instrument vom russischen Physiker Lew Theremin erfunden. (Getty Images / Bettmann)
    Die "Good Vibrations" brachten der amerikanischen Popgruppe "The Beach Boys" 1966 Platz eins der Musikcharts in den USA und Großbritannien ein. Das charakteristische Jammern war Lew Sergeyewitsch Thermen, später im Englischen Leon Theremin, zu verdanken, einem sowjetischen Physiker, der den geisterhaften Toneffekt auf der Suche nach einem elektronischen Minen- und Metalldetektor gefunden hatte und daraufhin eine außergewöhnliche Klangmaschine konstruierte. Am 5. August 1920 stellte er sie der Öffentlichkeit unter dem Namen "Ätherophon" vor.
    In der Musik und beim Film eingesetzt
    Das Instrument, das später in Theremin umbenannt wurde, beeindruckte vor allem die Musikeravantgarde, die den Sound gerne zur Ankündigung schweren Ungemachs verwendete, wie in Alfred Hitchcocks Film "Spellbound".
    Dabei schien das Instrument ganz harmlos: Es war anfangs eine Art Stehpult, aus dessen einer Kastenseite eine senkrechte Stabantenne ragte; an der anderen Seite war eine Ringantenne befestigt. Beide Antennen reagierten auf nahe Körper; die Stabantenne veränderte abstandsabhängig die Amplitude, die Ringantenne die Frequenz eines Schwingkreises im Kasteninneren. Verstärker und Lautsprecher komplettierten das Gerät. Kurzwellenamateure kannten die Effekte und empfanden sie als Störung. Thereminspieler dagegen vermochten das Publikum berührungslos tief zu rühren. Jammerlaute wurden durch schnelles Fingerflattern in der Luft erzeugt. Die Musikkritik der Londoner "Times" hörte dagegen eine "Kuh mit Sodbrennen" heraus.
    Die Thereminspielerin Carolina Eyck
    100 Jahre Theremin: Der Sound des Unsichtbaren
    In der Filmmusik wird das Theremin – ein berührungslos spielbares, elektronisches Musikinstrument – gern in Science-Fiction- oder Horror-Filmen eingesetzt. Jetzt feiert es sein 100-jähriges Jubiläum.
    Auf einer Weltreise, die Leon Theremin mit dem Segen der russischen Regierung unter anderem nach London, Paris und in verschiedene deutsche Städte führte, reiste ein Theremin mit und erregte beträchtliches Aufsehen, das den Erfinder schließlich in die USA führte.
    In einem Straflager gefangen
    1938 verschwand er. Er war, wohl auf der Flucht vor Gläubigern, wieder in die Sowjetunion gegangen und dort in ein Straflager für Wissenschaftler geraten, wo er auf Drängen des Chefs des Geheimdienstes NKWD, Berija, unter anderem neue Abhörtechniken entwickelte, darunter ein Gerät von solcher Raffinesse, dass es westliche Geheimdienstler später nur noch "das Ding" nannten.
    "Berijas Forderungen waren einschüchternd. Die Abhörvorrichtung durfte keine Drähte zeigen, keine normalen Mikrofone, das Gehäuse durfte keine Neugier wecken und musste unbemerkt an einer akustisch ergiebigen Stelle angebracht werden."
    US-Botschafter wurde jahrelang unerkannt abgehört
    Für Leon Theremin stand mehr denn je auf dem Spiel. Berija durfte man nicht enttäuschen, und er fand einen Weg ...
    "4. Juli 1945. Der amerikanische Unabhängigkeitstag wurde auch in der Botschaft in Moskau gewürdigt. Averell Harriman, der Botschafter, öffnete die Türen für seine russischen Gäste, darunter eine singende Gruppe sowjetischer Pioniere, die ihm eine große hölzerne Gedenktafel in der Gestalt des amerikanischen Präsidentensiegels mit Adler, Olivenzweig und Pfeilbündel überreichte - ein ‚Zeichen der Freundschaft‘ und Beleg der hohen sowjetischen Holzschnitzkunst", so Theremins amerikanischer Biograf Albert Glinsky.
    Harriman bedankte sich und hängte das mit diskreter Abhörtechnik gefüllte Siegel über seinen Schreibtisch. Dort hing es bis 1952 und übermittelte, was der jeweilige Botschafter und seine Besucher so alles sagten, per Hochfrequenzfunk, wenn der sowjetische Lauschposten das Siegel seinerseits anstrahlte und die raffinierte Schaltung darin mit Energie versorgte.
    Theremin erhielt den Stalinpreis erster Klasse, allerdings die geheime Variante.
    Er wurde nach Stalins Tod rehabilitiert. 1992 richtete das Moskauer Konservatorium ein Theremin-Zentrum ein. Im Jahr darauf starb der Meister unirdischer Klänge, friedlich, im Schlaf, im Alter von 97 Jahren. Sein russischer Biograf, Bulat Galeyev, fand die passenden Worte:
    "Ich würde gerne glauben, dass – wenn es Engel gibt – diese den unsterblichen Teil der Seele unseres sowjetischen Doktor Faustus davontragen, vielleicht sogar zusammen mit seiner kommunistischen Parteikarte und einer Beschreibung seines ‚Kathodischen Elektromusikalischen Instruments‘."