Freitag, 29. März 2024

Archiv

100. Todestag des Symbolisten
Fernand Khnopff - die Kunst des Rätselns

Fernand Khnopff bediente sich verschiedener Techniken, um in seinen Gemälden das Seelenleben des Menschen im Zeitalter der Industrialisierung auszuloten. Hundert Jahre nach seinem Tod am 12. November 1921 gilt der belgische Dandy als einer der markantesten Symbolisten.

Von Carmela Thiele | 12.11.2021
Eine Frau lauscht den Klängen eines Pianos, eingetaucht in eine andere Welt. Der Salon, der rote Sessel, der Kamin und der Spiegel – das alles existiert in diesem Moment für sie nicht. Ihr schwarzes Kleid - eine Fläche, ohne Konturen. Fernand Khnopffs Gemälde "Schumanns Werken zuhörend" aus dem Jahre 1883 schildert keine Handlung, sondern einen Moment der Innerlichkeit. Der Kunsthistoriker Ralph Gleis:
"Aber es ist kein Porträt, denn sie hält die Hand vor das Gesicht. Sie ist einfach nur in einer ganz in sich gekehrten Pose, und das In-sich-gekehrte, das ist natürlich der Ausdruck des Symbolismus schlechthin. Hier geht es darum, sich mit sich und seiner Seelenwelt auseinanderzusetzen, zumal wenn die Impulse von der Musik herrühren."

Das Malereistudium brach Khnopff ab

Als Fernand Khnopff das Bild malte, war er 25 Jahre alt und einer der Mitbegründer der Ausstellungsgemeinschaft Les Vingt, Die Zwanzig, in Brüssel. Dem am 12. September 1858 auf Schloss Grembergen bei Dendermode geborenen und in Brügge aufgewachsenen Sohn eines Juristen stand die Welt offen. Das Malereistudium an der Académie royale des Beaux-Arts in Brüssel hatte er abgebrochen. Les Vingt ermöglichte ihm den Austausch mit Künstlern und Dichtern, zu denen James Ensor, Theo van Rysselberghe und Henry van de Velde gehörten. Khnopff wurde zum führenden Vertreter des belgischen Symbolismus. Der Kunsthistoriker Ralph Gleis:
"Der Symbolismus ist kein Stil, sondern hat eine große Stilvielfalt, und die kann technisch sogar in das Impressionistische gehen, also das, was wir als lockeren Farbauftrag auf die Leinwand direkt wahrnehmen. Es gibt Landschaftsbilder von Fernand Khnopff, die eben durchaus impressionistisch duftig gemalt sind, indem sie versuchen, eine Stimmung einzufangen. Allerdings kommt der Zugriff immer eher aus der Gedankenwelt, aus der Literatur und nicht aus dem Gegenwartsbezug und dem totalen Wiedergeben des Augenblicks."

Das Schaffen von Rätseln als Aufgabe der Kunst

Khnopff zitierte in seinen Bildtiteln oftmals die Dichter, die ihn inspirierten. Sein Gemälde "I lock my door upon myself", "Ich schließe mich selbst ein" aus dem Jahre 1891, spielt auf eine Zeile aus einem Gedicht von Christina Rossetti an. Hinter einer Reihe verblühter Lilienstengel erscheint das Gesicht einer Frau mit offenem, rotem Haar. Die Arme hat sie auf einen mit schwarzem Stoff bedeckten Tisch aufgestützt, ihr Kinn ruht auf ihren Handrücken. Den Hintergrund bildet ein vielteiliges Tableau voller Anspielungen auf sein eigenes Werk. Ein Ausblick aus einem Fenster etwa entpuppt sich als Landschaftsbild des Malers. Dazu Ralph Gleis:
"Man hat gar keinen Orientierungspunkt. Ist das jetzt innen oder außen, diese Szene? Ist die Frau, die uns anblickt, in einem Trancezustand oder in einem Traum, ist das drogenberauscht, ist das eine Absenz? Wir stehen vor lauter Rätseln und das war genau das Programmatische. Nicht die Auflösung von Rätseln, sondern das Schaffen von Rätseln ist die Aufgabe der Kunst hier."
Bilderrahmen aus verschiedenen Epochen hängen am 15.12.2012 in Düsseldorf (Nordrhein- Westfalen) im Rahmenmuseum. Dem Besucher des Museums bietet sich eine Sammlung von Rahmen von der Gotik bis zum 19. Jahrhundert.
Als die "Münchener Secession" gegründet wurde
"Münchener Secession" klingt nach Aufbruch in eine neue Ära der Kunst, den Mitgliedern ging es aber um etwas anderes: verbesserte Ausstellungsmöglichkeiten, internationale Kontakte und die Befreiung von der Dominanz einflussreicher Malerfürsten und der Obrigkeit.

Der Mensch - zurückgeworfen auf sich selbst

Mehrfach stellte der Dandy auf den Münchner Sezessions-Ausstellungen aus, 1896 wurde ihm bei der ersten Schau der Wiener Secession ein ganzer Saal zur Verfügung gestellt. Den Mittelpunkt seines Schaffens bildete ab 1902 sein selbstentworfenes Atelierhaus in Brüssel, eine Villa, über der sein Motto "Passé / Futur", prangte, denn zwischen Vergangenheit und Zukunft vermitteln seine Bilder. Das sei selbst bei seinen Landschaften so, meint Ralph Gleis:
"Das ist nicht die gesehene, sondern die erträumte Landschaft. Es ist ein Wunschbild, ein Bild, das von innen herauskommt und sich dann sozusagen mit der Realität trifft auf einer gewissen Ebene. Aber genauso ist auch umgekehrt alles Geschaute nur eine Oberfläche und ein Symbol für eine tiefer liegende Wahrheit."
Der Belgier traf den Nerv eines von der Evolutionstheorie und der Psychoanalyse verunsicherten Zeitalters. Bis zu seinem Tod am 12. November 1921 blieb Fernand Khnopff seiner zwischen Seelenschau und Reflexion changierenden Malerei treu. Wie kaum eine andere Kunst zeigt sie das Zurückgeworfensein des Menschen auf sich selbst.