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100. Todestag
Jeanne Hébuterne - Gefährtin bis zur Selbstaufgabe

Jeanne Hébuterne war die letzte Lebensgefährtin des Künstlers Amedeo Modigliani - und selbst Malerin. Ihr Werk steht im Schatten ihres Liebhabers, der zu den teuersten Malern der Moderne gehört. Als der exzessive Alkoholiker 1920 stirbt, nimmt sie sich am Tag darauf mit 21 Jahren das Leben.

Von Anja Reinhardt | 25.01.2020
    Selbstporträt von Jeanne Hébuterne (1898-1920)
    Selbstporträt von Jeanne Hébuterne (1898-1920) (picture alliance / Heritage-Images / Fine Art Images)
    Das Pariser Künstlerviertel Montparnasse im Ersten Weltkrieg, im Jahr 1917: Jeanne Hébuterne, eine 19-jährige Schönheit mit dichtem, rotbraunem Haar und Amedeo Modigliani begegnen sich zum ersten Mal. Jeanne, die aus bürgerlichen und streng katholischen Verhältnissen stammt, will Malerin werden. Der damals 32-jährige Modigliani ist kein ganz Unbekannter mehr, trotzdem völlig mittellos.
    "Das ist schon ein harter Kampf gewesen. Keine Heizung zu haben und kaum was zu essen zu finden und sich irgendwelchen Fusel reinzuziehen, um den Tag zu überstehen. Ich meine, man muss schon sehr davon überzeugt sein, dass man malen will, dass man Künstler sein will", sagt Anette Kruszynski, Kunsthistorikerin und Kuratorin an der Kunstsammlung Nordrhein Westfalen.
    Künstlerische Begabung schon als Kind sichtbar
    Treffpunkt der künstlerischen Bohème ist das Café La Rotonde: Pablo Picasso, der mexikanische Maler Diego Rivera, der Bildhauer Constantin Brâncuşi, der Schriftsteller und Filmemacher Jean Cocteau: Sie alle wärmen sich hier auf, diskutieren, trinken. Modigliani ist ein exzessiver Alkoholiker, dennoch verliebt sich Jeanne Hébuterne, die Zeitgenossen als schüchtern und still beschreiben, mit großer Entschlossenheit in Amedeo.
    "In dem Augenblick, wo sie diese Entscheidung gefällt hat, war sie ein Outlaw. Davon muss man ausgehen. Und dazu gehört natürlich in gewisser Weise auch ein Willen. So sehr sie sich vielleicht an Modigliani angelehnt hat oder Muse war oder Gefährtin bis zur Selbstaufgabe."
    Jeanne fällt schon als Kind mit ihrer künstlerischen Begabung und ihren Zeichnungen auf, die Eltern lassen sie zusammen mit dem älteren Bruder André an der Kunst-Akademie Colarossi studieren. Die Salon-Malerei interessiert sie nicht, sie orientiert sich an der Avantgarde, an den sogenannten Fauves vor allem. Ein Selbstporträt aus dem Jahr 1917 zeigt sie als mädchenhafte Frau mit dicken Zöpfen, Stirnband und Kimono, die den Betrachter skeptisch fixiert. Modigliani malt reduzierter, noch flächiger und überbetont die Linie, was in Hébuternes Arbeiten Spuren hinterlässt.
    "Da ist sie noch auf der Suche. Ich glaube, das wäre interessant geworden, wenn sie weiter gemalt hätte, weil sie hätte diesen Verlust von Amedeo überwinden müssen und sich auf eigene Füße stellen müssen - vielleicht wäre das viel, viel interessanter geworden."
    Sehr bald beziehen die beiden eine kleine Wohnung, die Beziehung ist von Anfang an schwierig, denn Modigliani ist: "Ein komplizierter Charakter. Ein Schwein und eine Perle. Traf ihn 1914 in einer Konditorei. Er sah häßlich, wild und gierig aus." So Amedeos frühere Geliebte Beatrice Hastings.
    Ein Besucher betrachtet das Gemälde "Liegender Akt" des italienischen Malers Amedeo Modigliani.
    Die Art Modiglianis, Gemälde zu malen, hinterließ auch in Hébuternes Arbeiten Spuren. (dpa / Johannes Schmitt-Tegge)
    Jeanne wird nach wenigen Monaten schwanger, die gemeinsame Tochter kommt 1918 in Nizza zur Welt, wohin sich das Paar vor einer drohenden Invasion deutscher Truppen gerettet hat. 1919 kehren sie zurück nach Paris. Während Hébuternes Malerei kaum wahrgenommen wird, nimmt Modigliani an Ausstellungen Teil. Sein Lieblingsmotiv: Jeanne. Er malt sie weich und biegsam. Die Realität allerdings ist brutal, wie sein Freund André Salmon berichtet:
    "Er riss sie am Arm, die verkrampfte Hand auf ihrem zarten Handgelenk. Er riss sie an ihren langen Zöpfen und ließ sie nur für einen Augenblick los, um sie gegen das Gitter des Jardin du Luxembourg zu schleudern, trunken vor Wut und Haß."
    Selbsttötung am Tag nach der Beerdigung Modiglianis
    Modigliani, gezeichnet von Alkohol, Rauschgift und seiner Tuberkulose, stirbt am 24. Januar mit 35 Jahren. Jeanne Hébuterne kehrt am Tag der Beerdigung ins Elternhaus zurück, die Eltern hatten die Beziehung immer missbilligt. Einen Tag nach dem Tod ihres Geliebten, in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1920 stürzt sie sich, 21 Jahre alt und mit dem zweiten Kind im achten Monat schwanger, aus dem fünften Stock des Hauses und stirbt.
    "Sie hat ja offensichtlich keine Perspektive mehr gesehen, als er nicht mehr lebte. Aber was wäre aus der Frau geworden, wenn sie einfach weitergemalt hätte, ohne dass sie Modigliani gekannt hat, und ohne dass sie sich aus dem Fenster stürzt?"
    Modiglianis Bilder steigen nach seinem Tod recht schnell im Wert, während Jeanne Hébuterne als Malerin in Vergessenheit gerät. 1992 werden ihre Bilder in einem Keller gefunden - ein kleines Oeuvre aus Ölbildern, Zeichnungen und Aquarellen. Knapp hundert Jahre nach ihrem Tod kann sie sich endlich behaupten: Im Herbst 2018 erzielt ein von Jeanne Hébuterne gemaltes Selbstportrait bei einer Auktion 247.000 Euro.