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11.2.1929 - Vor 75 Jahren

Draußen, auf der Piazza Laterana, regnet es in Strömen. Drinnen, im Lateran-Palast, liegt unterschriftsreif ein dreiteiliges Vertragswerk. Sein Inhalt:

Peter Hertel | 11.02.2004
    Erstens: Der Staat Italien schenkt dem Hl.Stuhl, genau genommen dem Papst, ein Territorium, das für Italien künftig Ausland ist und Vatikanstaat heißen wird.
    Zweitens: Italien und der Heilige Stuhl schließen ein Konkordat, wonach die katholische Religion die privilegierte Staatsreligion in Italien sein wird.
    Drittens: Italien verpflichtet sich, der Kirche den Verlust ihrer Besitztümer durch hohe Geldleistungen zu entschädigen.


    Kardinal Pietro Gasparri, der Staatssekretär des Papstes, bittet den italienischen Staatschef, Benito Mussolini, in den Raum, in dem mehr als tausend Jahre zuvor Karl der Große von Papst Leo III. empfangen worden war.

    Ich freue mich besonders, dass ich Sie am siebten Jahrestag der Krönung Seiner Heiligkeit hier begrüßen darf.

    Der Duce stutzt, ehe er antwortet:

    Ach ja, das ist mir nicht entgangen.

    Wirklich nicht? Lange hat sich Mussolini einen Ungläubigen genannt, er hat das Pamphlet "Gott existiert nicht" geschrieben. Aber als Diktator braucht er die Hilfe der Kirche, hat sich nachträglich kirchlich trauen und seine Kinder taufen lassen. Nun benötigt er noch ein Vertragswerk mit der Kirche, um im In- und Ausland seine politische Kreditwürdigkeit nachweisen zu können. An diesem Tag, dem 11.Februar 1929, kann er die Dokumente endlich unterzeichnen.

    Unterdessen hat sich – einige Kilometer entfernt – auf dem Petersplatz eine riesige Menschenmenge versammelt. Sie feiert Papst Pius XI., der auf dem Balkon erscheint und das Ende der sogenannten Gefangenenschaft der Päpste verkündet. Viele knien in den Regenpfützen nieder, schluchzen, schwenken Taschentücher. Der Papst hat wieder einen eigenen Staat, zu dem außerhalb des Vatikans noch drei Basiliken, einige Amtsgebäude sowie die Sommerresidenz Castel Gandolfo gehören.

    Mehr als 1000 Jahre waren die Päpste die Herren des Kirchenstaates gewesen. Er war 1870 verschwunden, als Italien ein Nationalstaat wurde und seine Soldaten Rom besetzten. Papst Pius IX. exkommunizierte die Übeltäter, zog sich trotzig in seine Gemächer zurück und erklärte sich zum Gefangenen des Vatikans. Aber auch wenn er ein Monarch ohne Land war, so war er doch weiterhin ein Souverän. Das entsprach der kirchlichen Lehre, die besagt:

    Wie der Staat ist auch die Kirche souverän. Ihre Hoheitsgewalt hat sie nicht vom Volk, sondern von Gott. Darum sind Kirche und Staat einander zumindest gleichgestellt. Dabei ist die Hoheitsgewalt der Kirche nicht an ein Staatsgebiet gebunden.

    In der Tat unterhielten zwischen 1870 und 1929 viele Staaten diplomatische Beziehungen mit dem Papst bzw. mit dem Hl.Stuhl. So gesehen, gab der Lateranpakt nicht – wie viele meinen - dem Papst die Souveränität zurück, sondern der souveräne Papst erhielt ein eigenes Hoheitsgebiet. Seitdem er wieder einen Staat besitzt, hat er die Möglichkeit, seine Souveränität international sichtbar zu machen und sie umfassend anzuwenden.

    Für den Heiligen Stuhl war der Vertrag ein Schritt auf dem Weg zur gottgewollten Ruhe und Ordnung auf der Welt, wie sie in der traditionellen katholischen Lehre umschrieben ist.

    In dieser Ordnung arbeiten Staat und katholische Kirche eng zusammen. Die Kirche beansprucht dabei, die objektive Wahrheit zu besitzen und deshalb alleinige Trägerin der Staatsreligion zu sein.

    Das erkannte Italien in den Verträgen an. Aber auch wenn dieser Idealfall nicht erreichbar sein sollte, schließt die Kirche mit Staaten Verträge, durch die sie privilegiert wird, wobei sie nach eigener Auffassung nur erhält, was ihr zusteht. In diesem Sinne wurde die Papstkirche oft mit Monarchen und Demokraten handelseinig, aber auch mit Diktatoren. Dabei hat sie die moralische Frage, ob die Ruhe vielleicht nur trügerisch sei, ob sie sich mitschuldig mache an Verbrechen von Machthabern, meist pragmatisch ausgeklammert. Auch mit Hitler schloß der Heilige Stuhl einen Vertrag, das Reichskonkordat von 1933. Nach Abschluß des Lateranabkommens appellierte Pius XI. an die Staaten der Welt, dem italienischen Beispiel zu folgen. Denn nur die Ruhe und Ordnung, in der Staat und Kirche gemeinsam und einträchtig kooperierten, garantiere den Frieden.

    Mit diesem Appell an die Welt verbindet sich heute unsere Bitte an Gott um jene Ruhe und Ordnung in der Welt, in der allein der Friede Bestand hat.