Mittwoch, 13. März 2024

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"11 Freunde"-Chefredakteur
Hooligan-Krawalle nicht überraschend

Es war abzusehen, dass aus England, Russland und Deutschland "problematisches Personal" zur Fußball-Europameisterschaft nach Frankreich reist: Das sagte "11 Freunde"-Chefredakteur Philipp Köster im DLF. Deshalb sei es erstaunlich, wie lax die Sicherheitskräfte damit umgegangen seien.

Philipp Köster im Gespräch mit Peter Kapern | 13.06.2016
    Englische Fußballfans fliehen vor Tränengas, das die französische Polizei eingesetzt hat, um Auseinandersetzungen zwischen englischen und russischen Hooligans zu beenden.
    Englische Fußballfans fliehen vor Tränengas, das die französische Polizei eingesetzt hat, um Auseinandersetzungen zwischen englischen und russischen Hooligans zu beenden. (dpa-Bildfunk / AP / Darko Bandic)
    Köster sagte, es gebe Berichte über eine mangelnde Trennung rivalisierender Fangruppen, über hohen Alkoholkonsum und ein fehlendes Flaschenverbot im Hafen von Marseille, wo es Ausschreitungen gegeben habe. "Das sind alles Dinge, die man hätte vermeiden können, wenn man es ernst genommen hätte."
    Mit Blick auf die angedrohten Strafen für England und Russland wegen der Hooligan-Krawalle sagte Köster, er rechne mit Geldstrafen, nicht aber mit einem Ausschluss der Nationalmannschaften von dem Turnier oder anderen Sanktionen. "Der UEFA ging es darum, Handlungsfähigkeit zu präsentieren." Eine weitere Aufarbeitung erwarte er nicht, weil dann auch herauskommen könnte, dass es französische Sicherheitsbehörden seien, die ihren Job nicht gemacht hätten.
    Der "11 Freunde"-Chefredakteur kritisierte zudem, dass das Turnier von 16 auf 24 Mannschaften erweitert wurde. Das habe dem Turnier nicht gut getan und sei ein historischer Fehler. "Da waren sehr viele Spiele dabei, wo man den Eindruck hat, da kämpft David gegen Goliath." Er betonte, das sei nur geschehen, "um den kleinen Nationen noch ein bisschen den Hintern zu pudern." Die Leidtragenden seien die Fans, die dann Karten gekauft hätten, um maue Spiele zu schauen.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Gemischte Gefühle hat das erste EM-Wochenende in Frankreich hinterlassen. Die Equipe Trikolore hat ihr Auftaktspiel gewonnen, die schiere Masse an Sicherheitskräften lindert offenbar erfolgreich die Furcht vor neuen Terroranschlägen, aber dann verbreiteten die Hooligans Furcht und Schrecken.
    Bei uns am Telefon ist Philipp Köster, der Chefredakteur des Fußball-Magazins "11 Freunde". Guten Morgen, Herr Köster!
    Philipp Köster: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Kapern: Sprechen wir zunächst mal über die unschönen Seiten der noch jungen EM. Die Polizei scheint von der Hooligan-Gewalt völlig überrascht worden zu sein. Sie auch?
    Köster: Ja, nicht unbedingt. Natürlich war der Fokus ganz allgemein auf die Terrorabwehr gelegt worden, aber es war auch schon klar, dass gerade aus England, aus Russland, auch aus Deutschland problematisches Personal nach Frankreich reisen würde. Und dann war es doch erstaunlich, wie insbesondere in Marseille doch sehr, sehr lax mit diesen ganzen Plänen umgegangen wurde. Die Kollegen, die da waren, berichteten, dass es nur eine ungenügende Fan-Trennung gab, dass sehr viel Alkohol ausgeschenkt wurde, dass es kein Flaschenverbot am Hafen gab, wo es dann ja zum Schluss auch noch relativ derbe geknallt hat. Das sind alles so Dinge, die hätte man eigentlich vermeiden können, wenn man dieses Problem richtig ernst genommen hätte.
    Kapern: Wenn Sie von einer ungenügenden Fan-Trennung sprechen, dann könnte Ihnen dafür der Orden des Euphemismus der Woche verliehen werden. Als im Fernsehen nämlich zu sehen war, wie russische und britische Hooligans in direkt nebeneinander liegenden Blöcken im Stadion von Marseille platziert waren, da habe ich mich gefragt, ob an den Verantwortlichen für das Sicherheitskonzept alles vorbeigegangen ist, was in den letzten 20, 30 Jahren in diesem Bereich geschehen ist.
    Köster: Definitiv! Das sind ja so Standardregeln, dass man schaut, dass man diese Burschen möglichst weit auseinanderhält. Andererseits war es auch so, dass gerade in Marseille, aber auch in anderen Stadien der Schwarzmarkt floriert und somit nicht richtig zu kontrollieren ist, welche Fans da nun nebeneinander sitzen.
    Und in diesem Falle war es auch noch so, dass gewaltbereite russische Anhänger das dann noch ausgenutzt haben. Es gab ja schreckliche Szenen, insbesondere diese Leuchtrakete, die dann auch in einen englischen Block hineinflog.
    Das sind alles Dinge, die kann man besser machen, die muss man auch besser machen, wenn man am Ende dieser vier Wochen nicht nur Schlagzeilen über Gewalt und Ausschreitungen lesen möchte.
    "Es war ein ganz geplanter Angriff"
    Kapern: Die Polizei scheint, ein sehr, sagen wir mal, eigentümliches Konzept zu verfolgen. In Marseille wurde ihr auch massiver Gewalteinsatz vorgeworfen, der üppige Gebrauch von Tränengas, auch dort, wo gar keine Hooligans am Werke waren. Aus Lille war gestern zu hören, dass die Polizei viel zu zögerlich mit den deutschen Hooligans umgegangen sei. Finden die das rechte Maß nicht, oder was ist da los?
    Köster: Wahrscheinlich wird es schon darauf ankommen, jeweils zu schauen, was vor Ort los war. In Lille gestern Nachmittag auf dem zentralen Platz war es ganz eindeutig so, dass deutsche Anhänger Krawalle gesucht haben. Sie haben auf unbescholtene und auch nicht an Krawallen interessierte ukrainische, Fans eingeschlagen. Es war ein ganz geplanter Angriff, es war sehr, sehr viel Volk unterwegs, von dem man sagt, die haben eigentlich wenig Interesse an Fußball, dafür umso mehr Interesse an Schlägereien. Das war allerdings für die Polizei, da die Innenstadt ja relativ voll war, sehr, sehr schwer zu unterscheiden. Die Fußballfans tun ja auch sehr, sehr viel dafür, gerade die, die sich schlagen wollen, dann nicht sofort erkannt zu werden. Andererseits wurde auch noch eine Reichskriegsflagge gezeigt, die zwar nicht verboten ist, aber doch zumindest politisch sehr, sehr fragwürdig ist, und da gab es natürlich schon den Eindruck auch unter den deutschen Anhängern, dass hier eine ganze Menge Leute unterwegs sind, die Schlägereien gezielt suchen.
    Kapern: Die UEFA mahnt, die UEFA droht, die UEFA startet eine Untersuchung gegen den britischen und gegen den russischen Verband. Welche Entscheidung wird die UEFA denn fällen?
    Köster: Zunächst einmal, glaube ich, ging es jetzt der UEFA nur mal darum, Handlungsfähigkeit zu präsentieren und das selber nicht unkommentiert zu lassen. Ich glaube, am Ende wird es Geldstrafen geben, wird es möglicherweise auch noch freundliche Ermahnungen geben, aber darüber hinaus, dass man möglicherweise für zukünftige Turniere oder Qualifikationsrunden noch Sanktionen zu befürchten hat, das sehe ich eher nicht, zumal am Ende dieser Untersuchung ja auch rauskommen könnte, dass es vor allem die französischen Sicherheitsbehörden waren, die hier ihren Job nicht ordentlich gemacht haben.
    Ausschluss der englischen Mannschaft "reaktiv unmöglich"
    Kapern: Und den Ausschluss von Mannschaften aus dem Turnier, den halten Sie für ausgeschlossen, wenn die Fan-Gewalt weitergeht?
    Köster: Ich halte zumindest den Ausschluss einer englischen Mannschaft, wenn man einigermaßen noch am zivilen Frieden interessiert ist, für relativ unmöglich. Wenn man sich vorstellt, dass die Engländer ausgeschlossen werden und sich noch 80, 90, 100.000 englische Fans in den französischen Städten bewegen, dann ist das tatsächlich eine Sache, die wahrscheinlich eher noch mehr Krawalle hervorbringt, als man ohnehin schon gesehen hat.
    "Zwischendurch fehlte ein bisschen die Konzentration"
    Kapern: Fußball gespielt, Herr Köster, wurde ja auch noch. Gestern Abend die deutsche Mannschaft, 2:0 gegen die Ukraine. Welche Erkenntnisse hat der Fachmann gewonnen?
    Köster: Ja es war mühsam, wie sich die deutsche Elf da geschlagen hat. Insbesondere zum Ende der ersten Halbzeit bekam man ja doch Angst und Bange, weil die deutsche Mannschaft doch gerade in der Abwehr nicht besonders sattelfest wirkte. Sehr viel kam über die Außenseite. Aber sie hat sich zum Schluss befreit. Sie hat das, was ja inzwischen moderner Ballbesitz-Fußball genannt wird, relativ konsequent durchgezogen.
    Zwischendurch fehlte ein bisschen die Konzentration. Man merkte, die Mannschaft ist noch nicht so richtig im Turnier. Aber ein 2:0 zum Auftakt insbesondere gegen eine der beiden stärkeren Gegner, wenn man die Nordirländer als Kanonenfutter bezeichnet, dann wird das, glaube ich, schon der Weg ins Achtelfinale gewesen sein.
    Kapern: Fußball-Turniere prägen ja oft den Stil des Fußballs für die nächsten Jahre. Lässt sich nach sieben Spielen schon erkennen, ob es da ein neues, Zukunft prägendes Spielkonzept gibt?
    Köster: Nein, nach sieben Spielen sicherlich noch nicht. Vor allem aber hat man den Eindruck, dass die Erweiterung von 16 auf 24 Mannschaften dem Turnier nicht gut getan hat. Da waren sehr, sehr viele Spiele dabei, wo man den Eindruck hatte, da kämpfen doch David gegen Goliath, außerdem Mannschaften, die das Fußballspiel nicht so richtig erfunden haben, wie Wales oder die Slowakei. Möglicherweise kehrt man lieber zu 16 Mannschaften zurück und dann ist das Turnier auch schneller vorbei.
    "Ich halte das für einen historischen Fehler"
    Kapern: Halten Sie das für möglich, dass die UEFA die Teilnehmerzahl noch mal begrenzt?
    Köster: Nein, leider Gottes nicht. Ich halte das auch für einen historischen Fehler. Man hat das Turnier verwässert, man hat dafür gesorgt, dass das Turnier gerade in den ersten zwei Wochen eigentlich ein Witz ist, weil von 24 Mannschaften nur acht ausscheiden und der Rest noch weiterkommt. Das ist ohne Not geschehen, einfach nur, um den kleinen Nationen noch ein bisschen den Hintern zu pudern. Das macht nicht so richtig Spaß, gerade für die Leute, die sich dann Karten gekauft haben und sich diese mauen Spiele angucken müssen.
    Kapern: Jetzt wollen wir mal hoffen, dass nicht allzu viele Fans der walisischen oder der albanischen Mannschaft zugehört haben. - Herr Köster, danke für das Gespräch, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und auf Wiederhören.
    Köster: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.