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12.7.1904 - Vor 100 Jahren

Del aire al ire, como una red vacía / iba yo entre las calles y la atmósfera, llegando y despediendo/ en el advenimiento del otono la moneda extendida / de las hojas, y entre la primavera y las espigas / lo que el más grande amor, como dentro de un gunate / que cae, nos entrega como una larga luna.

Von Kersten Knipp | 12.07.2004
    Die Stimme des großen chilenischen Dichters, vielleicht sogar: des Sehers. Denn spätestens seit den 1960er Jahren ist Pablo Neruda mehr als nur ein Lyriker. Der Schöpfer der "Kosmischen Lieder", des "Allgemeinen Gesangs", der "Elementaren Oden", der ehemalige Dissident und überzeugte Kommunist gilt als die große soziale Stimme Lateinamerikas, ja als Gewissen des geschundenen Kontinents. 1971 erhielt er den Nobelpreis, was ihm zusätzliche Autorität bescherte. Wie, wollte ein nordamerikanischer Rundfunksender in den Tagen nach der Ehrung von ihm wissen, hielt er es mit den übermächtigen USA, die damals in den Staaten Südamerikas so finster agitierten? Neruda, der erfahrene Diplomat, äußerte sich unerwartet zurückhaltend.

    We want all investment for Chile, but we don´t want political rules to impose on our real life and our civic life....

    Jedes Investment ist in Chile willkommen, wir wollen nur nicht, dass man uns politische Regeln auferlegt. … Wir wollen keine Regeln vom Ausland, wollen uns unser Schicksal nicht von außen diktieren lassen, das ist unmöglich, das können wir aufgrund der Würde unserer Gesetze nicht hinnehmen.
    ... because we have the dignity and constitution of our law.


    Gut möglich, dass man Neruda, der als Spanischer Konsul im Spanischen Bürgerkrieg tausenden Republikanern zur Flucht nach Frankreich verhalf, als politischen Dichter immer überschätzte. Er selbst wollte sich nie nur auf seine "engagierten" Gedichte reduziert sehen: Die seien zwar auch wichtig – doch machten sie nur den kleinsten Teil seines lyrischen Schaffens aus.

    If you really count, my political poems are really few....

    Wenn Sie nachzählen, werden sie feststellen, dass ich sehr wenige politische Gedichte geschrieben habe. Ich habe tausende von Zeilen geschrieben, aber nur drei bis vierhundert davon sind explizit politisch. Allerdings, ich äußere meine Meinung in ihnen, und das ist in Ordnung so.

    ....I am judging in that way and it´s all right.


    Denn eigentlich stand im Zentrum seiner Dichtung ja etwas Anderes: Die spröde Landschaft Chiles, in deren südlichen Teil er 1904 geboren wurde. Neftali Ricardo Reyes Basualto hieß er da noch; doch als er dann den tschechischen Autor Jan Naruda und dessen Schilderungen des Elends und der Armut in Osteuropa las, war er so ergriffen, dass er, der angehende Dichter, sich fortan auch Neruda, Pablo Neruda, nannte. Fasziniert aber zeigte er sich von der herben Schönheit der Bergwelt der Anden, denen er im "Canto General" ein großartiges Denkmal setzte.

    Si la flor a la flor entrega el altro germen / y la roca mantiene su flor diseminada / en su golpeado traje de diamante y arena / el hombre arruga el pétalo de la luz que recoge / en los determinados manantiales marinos / y taladra el metal palpitante en sus manos.

    Man muss Neruda selber hören, um das Eigentümliche, die auch phonetisch stolze Ruhe seiner Gedichte zu begreifen – einer Ruhe, die sich auch in den Werken anderer im frühen 20. Jahrhundert geborener Künstler spiegelt: des drei Jahre später geborenen Sängers Atahualpa Yupanqui, der sie auf betörende Weise zum Klingen brachte. Es ist die Ruhe einer Landschaft, die schön, aber auch feindlich wirkt – und die ihren Bewohnern so zusetzte, dass sie ihr sogar entflohen. Nerudas Eintritt in den diplomatischen Dienst seines Landes1927 begründet er rückschauend auch mit der strengen Natur seiner Heimat.

    The fact that we have a feeling of isolation.....

    Wir Chilenen fühlen uns isoliert, und darum möchten wir die Grenzen durchbrechen, die die Natur uns gezogen hat. Ich selbst ging kam als junger Mann nach Indien, nach Japan und China.

    .....I went to live in India, I went to Japan and China.


    Doch wo und wie schulte Neruda seine dichterische Stimme? Er selbst mochte in seiner Dankesrede zum Nobelpreis von einem poetischen Rezept nicht reden.

    Ich habe in den Büchern nicht ein Rezept für das Schreiben von Gedichten erlernt. Wenn ich hier etwas über meine Vergangenheit erzählt habe, dann nur, weil ich im Laufe meines Lebens immer jene unumgängliche Beteuerung, jene Formel fand, die mich schützte. Aber nicht, um sich in meinen Worten zu verhärten, sondern um mich mir selbst zu erklären.

    Doch Poesie genügt ihm nicht. 1969 kandidiert er für die chilenischen Präsidentschaftswahlen, zieht die Kandidatur aber zugunsten des von der vereinigten Linken aufgestellten Salvador Allende zurück, der im September 1970 die Präsidentschaftswahlen gewann. Es ist eine aufgewühlte Zeit der Unruhe und des Protests, der "Nueva Canción Chilena", des Neuen, des Protestliedes. Nicht lange hält sich Präsident Allende im Amt. Am 11. September 1973 putscht General Pinochet, Allende begeht Selbstmord. Ein Schock für Pablo Neruda, den er nicht lange überleben wird. Keine Zwei Wochen später, am 23. September erliegt er in Santiago seinem Krebsleiden.