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125 Jahre Nord-Ostsee-Kanal
Einmal quer durch Schleswig-Holstein

Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine der wichtigsten und interessantesten künstlichen Wasserstraßen der Welt. Er ist ein Durchstich-Kanal und hat auf seiner kompletten Länge denselben Wasserstand. Die riesigen Schleusenanlagen in Brunsbüttel und Kiel schützen ihn vor Sturmfluten und Tidenhub und machen ihn zu einem stehenden Gewässer.

Von Alfried Schmitz | 28.06.2020
Nord-Ostsee-Kanal Fähre bei Sehestedt
Ein Schiff passiert den Anleger der Nord-Ostsee-Kanal-Fähre bei Sehestedt (imago/penofoto)
Auf rund 100 Kilometer Länge durchquert er Schleswig-Holstein von der Kieler Förde im Osten bis zur Elbmündung bei Brunsbüttel im Westen und erspart den Schiffen die lange und nicht ungefährliche Fahrt durch Kattegat und Skagerrak um die dänische Halbinsel herum.
Schon die Wikinger hatten von solch einem günstigen Seeweg für ihre Eroberungszüge und ihren Handelsverkehr geträumt. In den vergangenen Jahrhunderten hatte es immer wieder zahlreiche Pläne und Versuche gegeben, einen Kanal zwischen Nord- und Ostsee zu bauen.
Nord-Ostsee-Kanal Schleusen in Kiel Holtenau
Die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt
Er war das Vorzeigebauprojekt des Deutschen Reichs. Fast 9.000 Arbeiter aus ganz Europa erschufen die Wasserstraße durch Schleswig-Holstein. Nach nur acht Jahren Bauzeit eröffnete Kaiser Wilhelm II. am 21. Juni 1895, vor 125 Jahren, den Kanal – gerade wird er aufwändig saniert.
Doch erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte dieses riesige Vorhaben mit großem technischem Aufwand und tausenden von Arbeitskräften realisiert werden. Im Juni 1887 erfolgte durch Kaiser Wilhelm I. in Kiel-Holtenau die Grundsteinlegung für das gigantische Projekt. Nach nur acht Jahren Bauzeit konnte der Kanal im Juni 1895 durch Kaiser Wilhelm II. mit einer feierlichen Zeremonie, ebenfalls in Kiel-Holtenau, eröffnet werden.
Im Juni 2020 hatte man zum 125. Geburtstag des Nord-Ostsee-Kanals an der Kieler Förde eigentlich eine großangelegte Jubiläums-Veranstaltung geplant, doch die musste wegen der Corona-Pandemie ausfallen.
Zwischen den Schleusen
Von einer frei zugänglichen Aussichtsplattform können interessierte Besucher gegen eine kleine Gebühr einen Blick von oben auf die Kiel-Holtenauer Kanalschleusen werfen. Ich darf heute ausnahmsweise die Sicherheits-Absperrungen passieren und mit Reiner Mischke, dem Betriebsstellenleiter der Schleusen-Anlage, ganz nah ran. Eine Besichtigungstour mit Nervenkitzel inklusive, denn wir gehen über das Schleusentor.
"Bitte nicht über die gelbe Linie treten…"
"Okay"
(Alarmklingel ertönt)
"Was heißt das?"
"Dass man das Tor nicht mehr betreten soll"
"Das heißt, das Ding geht schon auseinander?"
"Nein, noch nicht. Das ist 90-Sekunden-Warnung und dann fährt das Tor erst auf. Ja, irgendwann ist es zu weit und dann fallen Sie halt rein."
Zum Glück falle ich nicht vom Schleusentor, das sich nun langsam in Bewegung setzt, ins Wasser, sondern gelange mit einem kleinen Hüpfer auf die Mittel-Plattform, die zwischen den beiden großen Schleusenkammern liegt, die jeweils 40 Meter breit und über 300 Meter lang sind. Auf der schmalen Arbeitsinsel befinden sich der Aufsichts-Tower des Schleusenmeisters und noch einige andere kleinere rundumverglaste Gebäude.
"Was hat er für eine Funktion, der da jetzt drin sitzt im Häuschen?"
"Das ist unser Schleusengehilfe, nennt sich der. Das ist der Vormann der Schleusendecksleute, der aber auch gleichzeitig die Torbewegung an den Innentoren überwacht. Der gibt die Tore frei für das Fahren und achtet darauf, dass sich keiner auf dem Tor befindet oder noch aufs Tor raufspringt."
Kleine Boote, große Pötte – die Schleuse ist für alle da
An beiden Seiten der Plattform befinden sich jede Menge Poller zum Festmachen der Schiffe. In der südlichen Kammer wartet ein kleines Sportboot darauf, bis das Schleusentor in seinem seitlichen Bunker verschwunden ist und es in den Kanal einfahren darf.
Vom Kanal her nähert sich ein rundes Dutzend Segelboote im Motorbetrieb. Die wollen in die gerade noch offene Südkammer einfahren. Vom Schleusenmeister im Aufsichtsturm erhalten sie eine klare Ansage.
"Hier eine Durchsage für die Sportboote, die anlaufen: Kommen Sie zügig in die Schleuse, laufen Sie zügig in die Schleuse ein! Sonst klemmen wir Sie ab!"
Die Fähre "Adler I" auf dem Nord-Ost-Seekanal verbindet die Kieler Stadtteile Wik und Holtenau
Die Fähre "Adler I" auf dem Nord-Ost-Seekanal verbindet die Kieler Stadtteile Wik und Holtenau (Dlf/Johhannes Kulms)
"Also jetzt erwartet er das nächste Schiff, das von der Kieler Förde kommt und deswegen versucht er, die natürlich schnell rein zu locken, damit die Schleuse wieder klar ist, wenn der nächste von außen ankommt."
In der Nordkammer warten derweil schon zwei große Pötte auf ihre Kanalfreigabe Richtung Nordsee. Hinten die "Selene Prahm", ein geschlossenes Bunkerschiff, das wahrscheinlich Getreide geladen hat. Vorne, an erster Position "Annette". Ein Frachter für Sonderladung. Bestückt mit drei riesigen Kränen, die jeder für sich 250 bis 350 Tonnen Ladung an Bord hieven können. Im Moment holt die Mannschaft mit einem kleineren Kran am Bug des Schiffes Proviant für die Weiterfahrt an Bord. So wird die rund 20-minütige Liegezeit in der Schleuse sinnvoll genutzt. "Time is Money" im Frachtverkehr.
"Die Nordkammer fährt jetzt auf, um "Annette" und "Selene Prahm" in den Kanal rein zulassen. So jetzt werden die Leinen von "Annette" losgeschmissen, von den Pollern abgehakt, von dem Schiff eingeholt und dann setzt es sich jetzt auch in Bewegung und fährt in den Kanal ein."
Highway für Schiffe
Der Nord-Ostsee-Kanal ist mit jährlich 30.000 Schiffspassagen die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Allerdings dürfen ihn nur Schiffe befahren, die höchstens 235 Meter lang, 32,5 Meter breit, 40 Meter hoch sind und nicht mehr als 9,50 Meter Tiefgang haben. Die größeren müssen den Umweg um die dänische Halbinsel nehmen. Ein ausgeklügeltes Ampelsystem sorgt für die Regelung des immensen Schiffsverkehrs in beide Fahrtrichtungen. Kommen sich zwei große Schiffe im Kanal entgegen, gibt es Ausweichbuchten.
Auch "Annette" und "Selene Prahm" müssen außerhalb der Schleuse erst einmal den Gegenverkehr abwarten, den Reiner Mischke per GPS und einer speziellen App auf seinem Mobiltelefon überwacht.
"Es kommen noch drei Fahrzeuge insgesamt."
"Der wird dann hier irgendwo in Position gehen?"
"Der wird bis zur Grenze fahren und sich da an die Dalbenreihe, das sind diese schwarzen Stützen, die da im Wasser rein gerammt sind, da kann er sich gegenlehnen oder da kann sogar auch festmachen, wenn er will und würde da denn die Zeit entsprechend abwarten."
Gefährliches Gewässer
Auf dem Kanal gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 15 Stundenkilometern. Außerdem besteht für die großen Schiffe nicht nur Lotsenpflicht, es kommen zusätzlich sogar noch Kanalsteuerer mit an Bord. Das erhöht die Passagekosten auf über 9.000 Euro für einen 20.000 Tonner.
Ein Frachtschiff fährt bei Brunsbüttel in den Nord Ostsee Kanal
Ein Frachtschiff fährt bei Brunsbüttel in den Nord Ostsee Kanal (imago stock&people)
Aber diese Kanalexperten kennen jede Krümmung, alle Tücken der Wasserstraße, die zwar an der Oberfläche zwischen 100 und 160 Meter breit ist, sich aber nach unten hin, wegen des trapezförmigen Querschnitts, verjüngt und an der engsten Stelle nur noch 44 Meter im Sohlenbereich misst. Diese Bauweise macht den Kanal so gefährlich.
Kanalgeschichte im Marineviertel
Um mehr über die Besonderheiten und mehr über die Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals zu erfahren, gehe ich jetzt von der Holtenauer Schleuse zum Kanalmuseum, das sich ein paar hundert Meter entfernt im historischen Marineviertel befindet. In einem ehemaligen Kriegsmarine-Kasernengebäude, wie das gesamte Viertel noch in der Kaiserzeit aus dunkelrotem Backstein gebaut, treffe ich den Journalisten und Buchautor Burkhard Hackländer. Der ist Jahrgang 1953, norddeutsches Urgestein, leidenschaftlicher Segler und ausgewiesener Experte, was die Geschichte seiner Heimatstadt Kiel und des berühmten Kanals angeht, dessen Bau hier, in der Fördestadt, seinen Anfang nahm.
"1887, am 3. Juni, war Spatenstich. Kiel war Reichskriegshafen geworden. Und den Spatenstich nahm Wilhelm I. vor, neunzigjährig noch aus Berlin angereist. Auf die Frage, warum er als nun Neunzigjähriger, immerhin war er ja nun auch ein alter Herr, die lange Reise von Berlin noch auf sich nahm, erwartete man nun eine patriotische Antwort und er soll ganz trocken gesagt haben: "Och, ich war schon lange nicht mehr in der Provinz!".
Kanal mit Geburtsfehler
Hauptinitiator des Kanals war allerdings nicht Wilhelm I., der dann übrigens ein Jahr später im berühmten Drei-Kaiser-Jahr 1888 verstarb, sondern der Mann, der wirklich im Reich die Strippen zog: Bismarck. Der "Eiserne Kanzler" hatte schon 1864 im Deutsch-Dänischen Krieg entscheidende Weichen für das Kanal-Projekt gestellt, als er Schleswig-Holstein von Kiel aufwärts für Preußen eroberte. Bismarcks Plan war es, nicht nur einen perfekten See-Handelsweg zu schaffen, sondern auch eine strategische Wasserstraße, um die deutschen Flottenverbände in Nord- und Ostsee im Ernstfall schnell zusammenführen zu können.
Undatiertes Porträt des preußischen Staatsmanns Otto Fürst von Bismarck (1815−1898)
Undatiertes Porträt des preußischen Staatsmanns Otto Fürst von Bismarck (1815−1898) (imago)
"Als der Kanal dann 1895 eingeweiht wurde, hatte er einen furchtbaren Geburtsfehler. Er war nämlich zu klein. Die Flottenrüstungsprogramme des Deutschen Reiches, immer in Konkurrenz mit England und dann gab es ja noch diese persönlichen Eitelkeiten zwischen dem deutschen Kaiser und dem englischen König, die ja Verwandte waren, führten dazu, dass die neuen Großkampfschiffe, für die der Kanal ja gebaut war, zu groß waren. Dann hat man ihn gleich mal zwischen 1907 und 1914 verbreitert."
Gleichzeitig wurde er auf elf Meter Tiefe ausgebaggert und es wurden Hochbrücken gebaut, die seitdem eine Schiffshöhe von 40 Metern erlauben.
Kostenlose Fährverbindung als Regierungsgeschenk
Als der Kanal gebaut wurde, ging er wie ein schmerzhafter Schnitt durch Schleswig-Holstein, trennte unzählige Ländereien, Familien und Gemeinden.
"Und die Regierung hatte sich verpflichtet, alle Verkehrswege, die unterbrochen wurden, kostenfrei wieder herzustellen. Durch Fähren, durch Brücken. Und das gilt bis heute. Die Kanalfähre in Holtenau ist kostenlos. Zahlt die Bundesregierung und die anderen Fähren auch, sind alle kostenfrei. Das Deutsche Reich hatte sich damals verpflichtet, das so zu machen und die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger muss das auch so machen."
Eine Fahrt mit dem Schuhkarton, wie die Kieler ihre Holtenauer Fähre nennen, ist übrigens ein absolutes Muss. Pausenlos verkehrt sie zwischen Süd- und Nordufer und bringt Fußgänger und Radfahrer hin und her. Ein Besuch der Nordseite lohnt auf jeden Fall. Hier gibt es direkt an der Förde nicht nur einige reizende Lokale, sondern auch jede Menge historische Bauten. Aus der Kaiserzeit stammt auch noch ein Leuchtturm, der zu den schönsten weltweit zählt.
Taufe mit Hindernissen
Im Turmfundament befindet sich der Grundstein mit der Gründungsurkunde des Kanals, um dessen Namensgebung es zu Beginn einige Verwirrung gab.
"Als er dann eingeweiht wurde, am 21. Juni 1895, sollte er eigentlich Nord-Ostsee-Kanal heißen, so wie er heute heißt. Dann hat aber im allerletzten Moment Kaiser Wilhelm II. gesagt: "Nee, ich nenne ihn nach meinem Großvater!". Das wusste kein Mensch und die Gedenkmünzen, wir haben hier eine, waren geprägt mit "Nord-Ostsee-Kanal". Und er hat es im letzten Moment in "Kaiser-Wilhelm-Kanal" umbenannt und so hieß er dann bis 1945 und die offizielle Umbenennung die war glaube ich 1948. Und seitdem heißt er offiziell "Nord-Ostsee-Kanal" im Englischen, im Internationalen heißt er sowieso "Kiel-Canal" und ist die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt."
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